© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/20 / 20. März 2020

Sprachwissenschaftlich drapierte VS-Handreichung
Tabubrüche in Serie
(ob)

Nicht nur zu seiner Freude registriert der Aachener Sprach- und Kommunikationswissenschaftler Thomas Niehr, daß in der Bundesrepublik öffentlich vermehrt über Sprache gestritten wird. Das ginge einher mit einer markanten Politisierung des Streitobjekts. Während es in den vergangenen Jahrzehnten um im Rückblick relativ betuliche Fragen wie den Gebrauch von Fremdwörtern, speziell Anglizismen, oder, schon polarisierender, um die Rechtschreibreform ging, würden momentan gesellschaftlich brisantere Debatten geführt, über „antirassistische“ Implikationen gendergerechter Sprache bis zu „sprachpolizeilichen“ Praktiken im Netz. Als Ursache des ruppiger werdenden Sprechens macht Niehr jedoch nicht die Politik der Herrschenden aus, sondern die Abwehrreaktionen der einzigen Oppositionspartei in den Länderparlamenten und im Bundestag sowie die Kritik in der Gegenöffentlichkeit, jenseits der „Qualitätsmedien“ und des Staatsfernsehens. Niehr untersucht daher in seiner wie eine Handreichung für den Verfassungsschutz wirkenden „Studie“, wie es „Rechtspopulisten“ gelinge, nicht Sachkritik zu üben, sondern offenbar aus purer Lust an „Haß und Hetze“ „Grenzen des Sagbaren“ zu verschieben, um ihre „diskursive Machtposition“ zu festigen und zu erweitern. Durch wiederholte „Tabubrüche und anschließende scheinbare Entschuldigungen“, wie Niehr anhand der Rhetorik Alexander Gaulands (AfD) glaubt nachweisen zu können, hätten sie Kommunikationsmuster etabliert, die einerseits große öffentliche Aufmerksamkeit erregten, andererseits sich des Beifalls kleiner „extrem rechts stehender Kreise“ vergewissern würden (Deutsche Sprache, 4/2019). 


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