© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/20 / 20. März 2020

„Wir müssen eigene Medien aufbauen“
Internetvideos: Mehrere AfD-Politiker produzieren auf Youtube erfolgreiche Bewegtbildformate
Gil Barkei

Rutsch noch ein bißchen zur Seite“, positioniert Vadim Derksen seinen Parteifreund Ferdinand Vogel vor der blau gestrichenen Holzwand, während er konzentriert auf das Display einer kleinen Kamera schaut. Der Sprecher der Jungen Alternative (JA) Berlin und sein Vizesprecher bauen gerade ihr kleines Filmstudio in der Landesgeschäftsstelle der AfD Berlin für eine neue Aufnahme auf. Mittig im Hintergrund leuchtet das Flammenlogo der Jugendorganisation der Alternative für Deutschland, was die Beleuchtungslampen herausfordert. 

„Wir müssen unsere eigenen Medien aufbauen,“ betont der frühere Bundeswehrsoldat Vogel mit Blick auf die deutsche Fernsehlandschaft, in der AfD-Politiker entweder gar nicht in Talkshows und Nachrichtensendungen zu Wort kommen (JF 31-32/18) oder wenn doch in einer Runde mehrheitlicher Gegner vorgeführt werden sollen. „In Österreich gibt es wenigstens ServusTV, aber in Deutschland gibt es nichts ähnliches“, kritisiert er im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT.

Im Juli wurden die beiden Nachwuchspolitiker in den Vorstand der JA Berlin gewählt und setzen seitdem auch auf einen stärkeren Ausbau der digitalen Kanäle und insbesondere der Videoangebote. Im Moment sind die Abo-Zahlen bei Youtube (909) und Instagram (1.325) noch überschaubar, aber die Zugriffszahlen steigen und neue Bewegtbildformate sollen gezielt junge Nutzer erreichen. 

Es fehle eine „Gesamtstrategie“

Den Anfang machten vergangenes Jahr mehrere Straßenvideos aus den Bezirken der Hauptstadt. „Wir experimentieren im Moment noch und schauen, was läuft“, erzählt Derksen. Positiver Nebeneffekt: „Die jungen Mitglieder sollen eingebunden werden, damit sie lernen, wie man mit Videos und sozialen Medien arbeitet – davon kann die Partei nur profitieren.“ Im Oktober haben die beiden damit begonnen, das eigene Studio mit viel Eigenengagement und zusammengesammeltem Equipment aufzubauen.

Seit Mitte Februar laufen nun die ersten Studioproduktionen auf dem Youtube-Kanal der Bundes-JA (1.350 Abonnenten), wie beispielsweise „Patria Berlin“, in der Derksen und Vogel humorvoll die gesellschaftspolitischen Ereignisse der Woche Revue passieren lassen. Produktionen zu spezifischen Hauptstadtthemen sollen auf dem Kanal der Berliner JA folgen. Inspiration holen sich die zwei Autodidakten dabei auch bei erfolgreichen unpolitischen Kanälen. Das Ziel: „Lockere Talk-Formate“ und „weg von dem typischen ‘Boomer-TV’, bei dem eine Person lediglich langweilig in die Kamera erzählt“. Damit sollen die Video-Projekte auch mehr Anklang und Förderung bei der Bundespartei finden.

Die hat mit dem Format „Offen trifft Ehrlich“ auf ihrem eigenen Kanal „AfD TV“ (75.200 Abonnenten) bereits Anfang November einen „Alternativen Talk“ ins Leben gerufen. „In den Medien konnten wir uns zu den Vorwürfen des Verfassungsschutzes kaum äußern. Deshalb hat sich der Bundesvorstand für diese Aufklärungskampagne entschieden“, sagt Jonas Dünzel, der die Vis-à-vis-Gespräche mit Alexander Gauland, Alice Weidel und Co. führte. 

Dünzel moderierte nicht nur auch die AfD-eigene Berichterstattung vom Bundesparteitag 2019, sondern ist auch auf seinen persönlichen Profilen auf Facebook (12.700 Abos), Youtube (2.640) und Instagram (2.900) sehr aktiv: „Kein Mensch liest sich heutzutage noch Pressemitteilungen in Schriftform durch. Nach der Arbeit schauen sich die meisten Wähler oder Interessenten höchstens noch zwei bis drei Videos an. Deshalb bietet Youtube die perfekte Plattform, um kurz und knapp auf interessante Dinge aufmerksam zu machen.“ Mit seinen Videos möchte der sächsische Vertreter im AfD-Bundeskonvent das „falsche Bild“ seiner Partei in der Öffentlichkeit „verändern“ und „junge Wähler ansprechen“.

Dabei hat der 26jährige Zwickauer auch keine Scheu, linke Demonstranten und Antifa-Anhänger mit der Kamera und kritischen Fragen zu konfrontieren. Das komme laut Dünzel bei vielen Nutzern gut an: „Selbst Mitglieder anderer Parteien loben die Videos. Über Instagram und Youtube melden sich jeden Tag Interessenten, die aufgrund der Videos Mitglied bei uns werden wollen.“ Die AfD müsse diese „immense Reichweite“ von Bewegtbildern „noch besser nutzen“ und sollte daher ein „Expertenteam gründen, um regelmäßig gute Videos zu produzieren“. 

Ähnlich sieht das auch der nord­rhein-westfälische AfD-Landtagsabgeordnete Roger Beckamp, der Ende 2018 auf eigene Faust zusammen mit Dünzel aus Marrakesch von der Migrationspakt-Konferenz berichtete. Mit seinen Debattenversuchen bei Erdo?an-Anhängern, Anti-AfD-Protestlern oder Pressevertretern in Chemnitz erzielte der Kölner zudem bereits mehrere hunderttausend Aufrufe bei Youtube (31.300 Abonnenten). 

Er kritisiert gegenüber der JF, daß die AfD „keine Gesamtstrategie“ habe und „jeder so ein bißchen seins mache“. Er fordert: „Die Bundespartei müßte sich mal hinsetzen und schauen, wen wir haben und wer was machen könnte.“ Neben „mehr Budget für eigene Ausrüstung“ und „mehr Redaktionsplanung“ brauche es „verschiedene Leute und neue, sympathische Charaktere“. Und „dann müßte man bereit sein, etwas auszuprobieren und auch mal Geld zu versenken, falls es schiefgeht“. 

Geschehnisse vor Ort zum Vorschein bringen

Aus der Bundesgeschäftsstelle der AfD in Berlin heißt es tatsächlich, daß dort in den kommenden Monaten ein eigenes Bewegtbildstudio entstehen soll.

Für Beckamp sind allerdings vor allem „Straßenvideos“ und das Motto „AfD vor Ort“ vielversprechend: „Schicksale und Geschehnisse“ zum Vorscheinbringen, „über die sonst nicht berichtet wird“, die aber beispielhaft für die Probleme „Hunderter, Tausender Menschen“ stehen. Er habe zum Beispiel eine Rollstuhlfahrerin besucht, die seit Jahren in ihrer Nachbarschaft von „den immer gleichen Personengruppen drangsaliert“ werde. „Wenn sie erzählt, wie ihr Rolli umgeworfen wird, wie Kippen auf sie geschnipst werden … da kriegen Sie Zornesröte im Gesicht.“ Wichtig sei außerdem, den „doch eher drögen parlamentarischen Betrieb humorvoll und heiter aufzubereiten“. 

Einer, der dies „mit einem gewissen Augenzwinkern“ versucht, ist der Bundestagsabgeordnete Stephan Brandner (11.500 Abonnenten auf Youtube). Zusammen mit der Abgeordneten Corinna Miazga (44.600) hat er die Reihe „Brandheiß“ auf die Beine gestellt, in der die beiden Politiker die Höhepunkte, aber auch die „Aussetzer der Altfraktionenvertreter“ aus der jeweils vergangenen Plenarwoche darstellen und launig kommentieren. 

Dazu bietet Brandner seit einem Jahr das eigene Format „5 Fragen und 5 Antworten“ an, in dem er jeden Freitag aktuelle Themen in circa 15 Minuten aufgreift. Für ihn ist Youtube ein wichtiges Instrument: „Ich erreiche viel mehr Menschen, als es mir sonst möglich wäre, insbesondere weil eine herkömmliche Pressearbeit für Abgeordnete der AfD nahezu ausgeschlossen ist. Wir werden nahezu überall ausgegrenzt und ignoriert.“ Auch Miazga hat sich noch ein eigenes Format aufgebaut: Mit „Gegenrede“ betreibt sie ihre „alternative Talkshow“.

Für die Zukunft wünscht sich Brandner mehr Zusammenarbeit mit „anderen etablierten Youtubern“ und „wirklich kontroverse“ Diskussionsrunden; „gerne auch mit Vertretern völlig anderer Meinungen, die aber – im Gegensatz zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk – fair moderiert werden.“