© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 14/20 / 27. März 2020

„Ich wünsche mir das Vertrauen der Bevölkerung“
Diskriminieren die öffentlich-rechtlichen Medien die AfD und tragen so zur Spaltung der Gesellschaft bei? Nein, sagt Kai Gniffke, Intendant des Südwestrundfunks in Stuttgart, „wir berichten fair und unvoreingenommen“
Moritz Schwarz

Herr Professor Gniffke, die Spaltung unserer Gesellschaft vollzieht sich offensichtlich inzwischen an der Frage nach der AfD.

Kai Gniffke: Nach meinem Empfinden hat ein Auseinanderdriften der Gesellschaft nicht bloß mit der AfD zu tun. Wir erleben dieses Phänomen ja in vielfacher Hinsicht: Tradition und Moderne, Stadt und Land, Alt und Jung. Es ist Aufgabe der öffentlich-rechtlichen Medien, eine Plattform zu sein, die allen Seiten Raum gibt und dazu beiträgt, daß die Menschen miteinander ins Gespräch kommen. Und das hat damit zu tun, ob es uns gelingt, unsere Meinungen respektvoll auszutauschen.

Leider ist das kaum der Fall. Daß die AfD immer wieder auch auf „Feinderklärung“ statt auf Dialog setzt, wurde unzählige Male kritisiert, auch in dieser Zeitung. Daß die etablierte Seite aber das gleiche tut – vielleicht sogar in noch radikalerer Form –, ist in den Medien, auch den Öffentlich-Rechtlichen (ÖR), dagegen so gut wie nie Thema.

Gniffke: Unsere Aufgabe ist nicht, der Politik Zensuren zu geben, sondern die gesellschaftliche Lage abzubilden. Bei einer veränderten Parteienlandschaft mußten wir erst dazulernen – aber wir sind immer besser geworden. Ansonsten meine ich, daß auf allen Seiten immer wieder Äußerungen geschehen, die dem Dialog nicht dienlich sind. Übrigens: Ihr Wort „etabliert“ halte ich für unangebracht. Der etablierteste Politiker des Bundestages ist wohl Alexander Gauland. Dessen politische Karriere ja, damals noch bei der CDU, bis in die siebziger Jahre reicht.

Wenn Sie sich doch dem unvoreingenommenen Abbilden verpflichtet fühlen, warum werden dann in den ÖR nur die in der Tat mitunter erheblichen Verfehlungen der AfD intensiv behandelt, die keinesfalls weniger schlimmen der anderen Parteien gegenüber der AfD aber nicht?

Gniffke: Tut mir leid, „Vogelschiß“ habe ich von sonst niemandem gehört. Und ich sehe auch keine Parteilichkeit. Das können wir mit gutem Gewissen für uns in Anspruch nehmen.

Wie erklären Sie sich dann, daß immer mehr Bürger den Medien eben das vorwerfen? Den ÖR vertrauen laut aktueller Studie der Uni Mainz nur noch 67 Prozent.

Gniffke: Das sind zwei Drittel der Bürger. Wären wir wirklich auf irgendeine Art parteilich, wäre das schlimm! Wir würden dann das Wichtigste verspielen, was wir haben – das Vertrauen der Menschen. Alle qualitativen Studien zeigen, daß das Vertrauen in den letzten Jahren zugenommen hat. Das heißt natürlich keinesfalls, daß wir uns darauf ausruhen dürfen – nein, wir müssen es uns jeden Tag neu verdienen. Auch, indem wir unsere Berichterstattung immer wieder selbstkritisch hinterfragen.

Es gibt jede Menge der von Ihnen geforderten Belege – daß selbst die übelsten verbalen Entgleisungen gegen die AfD kaum thematisiert werden, habe ich schon genannt. Weitere Beispiele sind etwa das berühmt-berüchtigte Sonderetikett „(rechts)populistisch“ oder daß die AfD, obwohl stärkste Oppositionsfraktion, kaum in politische Diskussionssendungen eingeladen wird.

Gniffke: Das kann ich so nicht stehenlassen – etwa „rechtspopulistisch“: Zum einen ist diese Zuschreibung sachlich richtig. Zum anderen war ich maßgeblich daran beteiligt, daß wir diese permanente Etikettierung gelassen haben.

Das stimmt, 2016 setzten Sie sich dafür ein, in den „Tagesschau“-Sendungen nicht mehr „permanent das Attribut ‘rechtspopulistisch’ vor dem Parteinamen nennen zu müssen“. Aber die Kritik in diesem Gespräch richtet sich ja auch nicht gegen Sie, sondern an die Adresse der ÖR insgesamt.

Gniffke: Wie eben schon gesagt: Das Attribut ist in der Sache richtig. Schließlich hat sich sogar Alexander Gauland dazu bekannt und die AfD selbst populistisch genannt. Doch etliche Zuschauer haben die ständige Erwähnung – die anfangs nötig war, um die neue Partei zu erklären – als Stigmatisierung empfunden. Und in Talkshows wurde die AfD zu Beginn sehr viel eingeladen.

Auch das stimmt. Doch eine Zählung der AfD im ersten Halbjahr 2019 ergab, bezüglich der Zahlen öffentlich unwidersprochen, daß von 146 Gästen in den vier großen Polit-Talkformaten der ÖR („Will“, „Illner“, „Maischberger“, „Hart aber Fair“) nur acht AfDler waren – entspricht 5,5 Prozent. Zum Vergleich: Linke 9, FDP 11, Grüne 17 Prozent.

Gniffke: Für der Einladungspraxis spielen journalistische Kriterien eine Rolle, etwa welche Bedeutung eine Partei für ein Thema hat oder welche Bedeutung ihr insgesamt zukommt. Und das ist nicht nur eine Frage der Stärke der Bundestagsfraktion, sondern etwa auch, ob man an Regierungen beteiligt ist – und das sind die Grünen zum Beispiel in sechs Bundesländern. Überhaupt wird nicht mit dem Rechenschieber eingeladen. Gibt eine Partei an, zu einem bestimmten Thema noch keine Haltung zu haben, etwa bei der Rentenpolitik, ergibt es keinen Sinn, sie einzuladen.

Zum Beispiel die Woche nach Hanau: Das Attentat war Thema in allen vier genannten Diskussionssendungen, und im Mittelpunkt der öffentlichen Debatte stand der Vorwurf, die AfD habe quasi mitgeschossen. Fairerweise hätte sie sich doch in jeder Sendung mit einem Vertreter verteidigen können müssen. Das war aber nur in einer – „Hart aber fair“ – der Fall. Sie sehen darin keine Diskriminierung?

Gniffke: Kurz zuvor saß Alice Weidel bei „Anne Will“ und Alexander Gauland bei „Maybrit Illner“. Man kann nicht nur einzelne Sendungen, sondern muß das Programm insgesamt betrachten. Und da habe ich nicht den Eindruck, daß wir Meinungen ausgrenzen.

Die AfD steht thematisch im Mittelpunkt und wird (dreimal) nicht eingeladen – das finden Sie, im Ernst, nicht verdächtig?

Gniffke: Nochmal, man muß das Gesamtprogramm sehen, wenn es darum geht, ob alle Meinungen zum Tragen kommen. Denken Sie daran, wie oft die AfD allein in der „Tagesschau“ zu Wort kommt.

Wäre ich von den ÖR würde ich an dieser Stelle feststellen, daß Sie unrecht haben und – bevor Sie etwas erwidern können – schnell die nächste Frage stellen: Was ist mit der Unsitte, nur nach Interviews mit AfD-Vertretern durch den Interviewer andeuten zu lassen, daß das vom Interviewten Gesagte nicht stimmte und der Zuschauer auf der Netzseite des Senders diesen widerlegende Argumente findet. Auch keine Diskriminierung?

Gniffke: Journalisten haben keine Noten zu verteilen. Aber wenn jemand grob Wahrheitswidriges behauptet, müssen wir das markieren. Und das unabhängig von der Parteizugehörigkeit, sonst schürt es nur unnötig Mißtrauen beim Publikum.

Aber „unabhängig von der Parteizugehörigkeit“, so ist es eben nicht. 

Gniffke: Doch, ist es! Aber wie gesagt: es geschieht zu Recht, wenn es um faktisch Wahrheitswidriges geht. Handelt es sich dagegen um eine Meinung, finde ich so etwas unangebracht. Dabei gibt es natürlich Grenzfälle, etwa wenn jemand sagt, der Klimawandel sei nicht menschengemacht. Nach meinem Kenntnisstand stellen alle seriösen Studien diesen Zusammenhang dar. Dennoch, persönlich fände ich es auch nicht unjournalistisch, in einem Grenzfall auf den Hinweis zu verzichten und es den Zuschauern zu überlassen, ihre Schlüsse zu ziehen.

Der „Spiegel“ zitiert Sigmund Gottlieb, bis 2017 Chefredakteur des Bayerischen Fernsehens: „Anfangs haben wir versucht, die AfD aus den Diskussionsrunden rauszuhalten. Dann erreichte sie eine Größe, daß man sie einladen mußte. Man versuchte, ihre Vertreter vorzuführen, befragte sie inquisitorisch, anders als andere Gäste.“ Ist das nicht gleich in mehrfacher Hinsicht – Ausgrenzung, Sonderbehandlung, unfaires Fertigmachen – Diskriminierung? 

Gniffke: Wir haben eine ganze Weile über den souverän-journalistischen und vor allem unvoreingenommenen Umgang mit dem neuen Phänomen Populismus diskutiert. Das gilt besonders für die Anfangsphase von Pegida. Nach und nach wurde die Betrachtung differenzierter. Das sind meines Erachtens nicht alles Nazis.

Neben einer Vielzahl weiterer Diskriminierungsmomente, die hier nicht alle Platz haben, existiert noch eine Art Meta-Moment – nämlich das Framing gegenüber der AfD: Viele, nicht alle, ÖR-Moderatoren machen unterschwellig, durch die Art wie sie über die Partei sprechen – Tonfall, Mimik, abwertende Begriffe, spitze Bemerkungen etc. – klar, was „man“ von ihr zu halten habe. Diese Kritik mag für Sie wie Beckmesserei klingen, doch tatsächlich ist das wohl sogar die wirksamste Diskriminierungsmethode. Denn, wie Kommunikationsforscher wissen, „soziale Erwünschtheit“ beeinflußt Menschen (hier die Zuschauer) weit mehr als Fakten.

Gniffke: Wir haben zu einem professionellen, sachlichen Umgang mit der neuen Partei gefunden, der nun in unserer Berichterstattung gilt. Und das ist mir persönlich auch ganz wichtig! Ob ein Journalist eine Gruppe mag oder nicht, ist kein Nachrichtenkriterium.

Wie kommen Sie darauf, daß dieses Framing überwunden sei? Es gibt zwar auch etliche Beiträge der ÖR über die AfD, die einwandfrei sind, aber ebenso viele, die vor „Haß und Hetze“ wirklich nur so triefen.

Gniffke: Mit Verlaub, Haß und Hetze sicher nicht! Ich bitte Sie aber zu beachten: Wie man in den Wald ruft, so schallt es heraus. Wenn man hört, was einige der Funktionäre verlauten lassen, ist nachvollziehbar, daß Populisten nicht gerade dafür gelobt werden.

Daß es einige unpassende bis absolut unerhörte Äußerungen von AfD-Leuten gibt, ist unbestritten. Aber das kann für einen Profi-Journalisten keine Entschuldigung sein, unsachlich zu werden.

Gniffke: Für die sachliche Berichterstattung spielt persönliches Empfinden keine Rolle. Wenn ich aber daran denke, wie meine Kollegen auf der AfD-Demonstration im Zuge des „Umweltsau“-Kinderliedes vor unserem Funkhaus in Baden-Baden Anfang Januar angepöbelt wurden, kann ich nur sagen, daß ich verstehe, wenn diese dort Schilder mit wenig freundlichen Repliken aus dem Fenster gehalten haben.

Das finden Sie wirklich?

Gniffke: Wenn gedroht wird, wir werden euch aus den Redaktionen vertreiben, wird man nicht noch zum Kaffee hereingebeten. Das hat auf unsere journalistische Arbeit aber keinen Einfluß.

Die AfD ist unter den Parteien mit Abstand am häufigsten Opfer politischer Gewalt und Benachteiligung. Warum gibt es eigentlich keine Reportage der ÖR, die diesen Mißstand thematisiert? Schließlich berichten sie in anderen Fällen politischer Gewalt äußert engagiert.

Gniffke: Das ist falsch, bitte recherchieren Sie. Aus meiner Zeit bei der „Tagesschau“ weiß ich, daß wir solche Vorfälle immer berichtet haben. Auf tagesschau.de finden Sie einen entsprechenden Bericht von vor wenigen Wochen. Außerdem reden Sie heute mit einem Intendanten – der gar nicht ins Programm eingreift und das auch nicht soll. Zum Glück gibt es dazu auch keinen Anlaß. Natürlich sollte immer, wenn wir es mit gesellschaftlich relevanten Phänomenen zu tun haben, darüber berichtet werden. Das ist hier sicher der Fall, und ich finde es richtig, daß wir das tun.

Ja, aber die Frage war, warum es keine Reportagen oder Hintergrundberichte dazu gibt, wie bei anderen Formen politischer Gewalt auch, sondern nur – da haben Sie allerdings recht – Meldungen? 

Gniffke: Nochmal: Wir berichten über all das fair und unvoreingenommen. Meine Erfahrung ist, daß AfD-Veranstaltungen wie Infostände und Parteitage dank Polizeipräsenz und Rechtsstaat in der Regel sicher durchgeführt werden können.

Das ist leider nicht der Fall, wie etliche Verletzte, auch Schwerverletzte, beweisen. 

Gniffke: Wenn Menschen an einer demokratischen politischen Betätigung mit Gewalt gehindert werden, dann ist das natürlich ein Fall für die Berichterstattung. Aber ich finde es falsch, das Opfernarrativ einer Partei zu betreiben. Ob eine Meldung es in die Nachrichten schafft, entscheidet sich anhand journalistischer Kriterien. Und die gelten für jeden Sachverhalt gleichermaßen.

Was meinen Sie mit „Opfernarrativ“? Laut Kriminalpolizeilichem Meldedienst entfielen im vierten Quartal 2019 über die Hälfte aller Gewalttaten gegen Einrichtungen der Bundestagsparteien allein auf die AfD – 62 von 112 Angriffen. Zum Vergleich: auf Platz zwei liegt die CDU mit 12 Attacken. Bei der Gewalt gegen Parteimitglieder führt die AfD erneut mit großem Abstand, nämlich 87 von 202 Angriffen. Auf Platz zwei finden sich die Grünen mit 42 Attacken, also der Hälfte. 

Gniffke: Ich will das nicht schönreden und sage nochmal: Wenn Menschen an der Ausübung ihrer demokratischen Rechte gehindert werden, ist das inakzeptabel. Aber wenn Funktionäre von Zeit zu Zeit die Regeln des respektvollen demokratischen Diskurses fahren lassen, paßt die Opferrolle nicht so gut.

Nach der zehnten Sendung, „so gefährlich“ ist die AfD, mal eine, „so gefährdet“ ist sie?

Gniffke: Zehnmal sicher nicht, aber wenn gehetzt, gespalten und unser Land ständig runtergemacht wird, dann darf man wohl berichten.

Herr Professor Gniffke, wir haben über die Diskriminierung der AfD gesprochen, weil sie als wesentlicher Teil jener Scheidelinie gilt, die die Spaltung unserer Gesellschaft markiert. Wollen wir diese überwinden, müssen beide Seiten – da haben Sie völlig recht – aufeinander zugehen. Ein solcher Schritt wäre, die Lage der jeweils anderen Seite ernst zu nehmen. Wie wollen Sie AfD-Wähler, und vielleicht auch Mitglieder, dafür gewinnen, wenn Sie, wie in diesem Gespräch, zwar gute Absichten zeigen, aber keinerlei Verständnis für deren Diskriminierungserfahrungen? 

Gniffke: Wir gehen fair und unvoreingenommen mit diesem Thema um, das gehört zu unserer journalistischen Neutralität. Unterschiedliche Meinungen sind notweniger Teil des demokratischen Diskurses, sie abzubilden ist unser Auftrag. Das mag uns nicht immer in allen Bereichen sofort gelungen sein, aber wir entwickeln uns weiter.

Glauben Sie wirklich, so zu überzeugen?

Gniffke: Das wünsche ich mir. Daß auch der Teil der Bevölkerung, dessen Vertrauen in die unabhängigen Medien geschwächt ist, sein Vertrauen wiedergewinnt, beim SWR mit Respekt und nicht etwa mit dem „erhobenen Zeigefinger“ behandelt zu werden. Wenn uns das bei allen Bevölkerungsgruppen gelingt, ist das großartig und würde unserem gesetzlichen Auftrag, den gesellschaftlichen Diskurs und Zusammenhalt zu stärken, gerecht.   






Prof. Dr. Kai Gniffke, ist seit September 2019 Intendant des Südwest­rundfunks (SWR), dem gemeinsamen Landessender von Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, der – nach dem WDR – mit 15 Millionen Einwohnern im Sendegebiet zweitgrößten ARD-Anstalt. Der promovierte Politikwissenschaftler begann als Redakteur beim SWR-Landesstudio. 2003 wechselte er zu ARD-Aktuell, der Nachrichtenredaktion des Ersten, die die Tagesschau, die Tagesthemen, das Nachtmagazin und den Digitalkanal Tagesschau24 verantwortet. 2006 übernahm er bis 2019 als Erster Chefredakteur deren Leitung. Kai Gniffke ist Mitglied der SPD und wurde 1960 in Frankfurt am Main geboren.

Foto: Ehemaliger „Tagesschau“- und heutiger SWR-Chef Gniffke: „Unsere Aufgabe ist nicht, der Politik Zensuren zu geben, sondern die gesellschaftliche Lage abzubilden ... eine Plattform zu sein, die allen Seiten Raum gibt und die dazu beiträgt, daß die Menschen miteinander ins Gespräch kommen. Und das hat damit zu tun, unsere Meinungen respektvoll auszutauschen“    

 

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