© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 14/20 / 27. März 2020

Ländersache: Sachsen
Unter die Erde statt unter den Teppich
Paul Leonhard

Exakt 30 Ordner, sind es. Nebeneinander gestellt gut anderthalb Meter Akten. Durchnumeriert und akkurat aufgereiht. Darin: 37.900 Einwände. Ist das viel oder wenig für ein Jahrhundertprojekt wie das einer neuen Eisenbahnverbindung zwischen Dresden und Prag? Jedenfalls zeugt es von regem Bürgerinteresse. „Das ist Basisdemokratie in der besten Art“, lobt Steffen Spittler das Engagement seiner Mitstreiter von der Bürgerinitiative „Basistunnel nach Prag“.

Die Neubaustrecke ist ein wichtiger Teil des europäischen Schienennetzes. Sie verbindet letztlich Mitteleuropa mit den Häfen an Ost- und Nordsee sowie Mittelmeer und Schwarzem Meer. Im konkreten Fall geht es aber nur um die Verbindung zwischen Sachsen und Böhmen, die bisher durch das schmale Tal der Elbe führt, ein nahezu ausgelastetes Nadelöhr. Das sieht man auch in Prag und Berlin so, weswegen die Verkehrsminister Deutschlands und Tschechiens 2019 eine gemeinsame Absichtserklärung unterzeichnet haben. Im Bundesverkehrswegeplan wurde das Vorhaben als „besonders wichtig“ eingeordnet. Bereits 2030 sollen die Milliarden teuren Bauarbeiten beginnen.

Etwa 240 Züge verkehren derzeit täglich zwischen Dresden und Pirna, weiter bis Bad Schandau sind es 170. Da neue Strecken Verkehr anziehen, rechnet die Bügerinitiative für die Neubautrasse mit 384 Zügen täglich, und deren Lärm wollen die 10.000 betroffenen Anwohner nicht ertragen. Sie möchten, daß er verlagert wird, und zwar unter die Erde. Der Fernverkehr soll durch einen Tunnel verlaufen. Mindestens 25 Kilometer lang. 

Die Deutsche Bahn Netz AG als Streckenbetreiber favorisiert eine „teil-offene“ Variante mit zwei kürzeren Tunneln und einer fast 40 Meter hohen Brücke über das Pirnaer Seidewitztal.Die vor zwei Jahren gegründete Bürgerinitiative hat nicht nur die meisten der knapp 38.000 Bürgereinwände organisiert, sondern auch mehrere Alternativrouten vorgeschlagen. Selbst Sachsens Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) lobte die Arbeit: „Das war eine unglaublich exzellente Darstellung.“

Die sogenannte Optimalvariante, in der die Bedenken aller Anwohner und Kommunen berücksichtigt werden, weist nur noch eine maximale Neigung von 6,85 Promille auf, womit selbst schwere Güterzüge mit einer Last von 2.200 Tonnen problemlos die Neubaustrecke befahren könnten. „Diese Strecken sind bis ins Detail geplant, jeder Radius, jede Steigung ist berechnet. Selbst die Gesteinsarten, auf die die Tunnelbauer treffen, sind ermittelt“, sagt Spittler stolz.

Pikant ist noch etwas anderes. Die Bürgerinitiative konnte mit Hilfe einiger Bundestagsabegordneter nachweisen, daß die Netz AG offenbar mit gezinkten Karten spielt. Nicht nur wurden fünf Brücken vergessen, sondern die Volltunnel-Varianten der Bürgerinitiative waren in wesentlichen Punkten negativ verändert worden. Die Bahn wollte Ausschlußkriterien schaffen, vermutet Spittler.

Einwände und Varianten prüft jetzt die Landesdirektion Dresden in einem Raumordnungsverfahren. Ende Juni will sie Stellung beziehen. Die Bahn will dann zwei Trassen durchplanen. Die Entscheidung trifft der Bundestag.