© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 14/20 / 27. März 2020

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Das wird man ja wohl fragen dürfen
Paul Rosen

Corona kann den Bundestag nicht stoppen – bisher jedenfalls nicht, noch gilt die Ansage von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) vom 12. März, wonach es „oberstes Gebot“ sei, die Handlungsfähigkeit des Parlaments zu erhalten – auch wenn die Tagesordnung erheblich eingedampft wurde (Beitrag oben). 

Teile der Opposition scheint die Seuche nicht besonders zu beeindrucken. Sie machen weiterhin ausufernd von ihrem parlamentarischen Fragerecht zu allen möglichen – auch banalen – Themen Gebrauch. Der Bundestag kennt mehrere Formen der Anfragen: Es gibt Große Anfragen der Fraktionen an die Regierung, über deren Antworten debattiert wird. Es gibt Kleine Anfragen, die schriftlich beantwortet werden, schriftliche Fragen von Abgeordneten und mündliche Fragen im Plenum.  

Bei den Anfragen scheint ein Wettbewerb zwischen den Oppositionsfraktionen im Gange zu sein. Koalitionsfraktionen stellen im Regelfall keine Anfragen. Bei Großen Anfragen hat sich nicht so viel getan. In der vergangenen Legislaturperiode gab es bei vier Fraktionen 15 Große Anfragen. In dieser Legislaturperiode sind es bei sechs Fraktionen 23 Große Anfragen, davon elf von der AfD, vier von der FDP, drei von den Linken und fünf von den Grünen.

Aber bei den Kleinen Anfragen, die es bereits ab 1912 im Reichstag gab, ist ein harter Wettbewerb im Gange. Und der Wettbewerb sprengt alle Dimensionen: Gab es in der vergangenen Legislaturperiode insgesamt 3.953 Kleine Anfragen, so sind es in der laufenden Legislaturperiode bereits 6.582.

Häufigster Fragesteller ist die FDP mit 1.917 (Stand 2. März 2020), gefolgt von der AfD mit 1.888 und den Linken mit 1.707. Die Grünen sind weit abgeschlagen mit 1.068 Kleinen Anfragen. Zwei Kleine Anfragen wurden von Linken und Grünen gemeinsam gestellt.

Manche Anfragen bekommen Bedeutung, wenn man zum Beispiel an die AfD-Anfragen zum Kindergeldbezug von Ausländern denkt, die eine enorme  Belastung der Staatskasse offenbarten. Viele Anfragen lassen hingegen die Frage aufkommen, ob die Fraktionen zuviel Personal haben: So will die FDP allen Ernstes wissen, wie es um die „bilanzielle Behandlung von Pfandflaschen in Brauereien“ (Drucksache 19/17902) steht – und das zu Corona-Zeiten. Auch die Kassenbon-Pflicht für Bäckereien ist noch Thema der FDP. Die Regierung soll dazu Stellung nehmen, daß Frankreich diese Bonpflicht abgeschafft hat. 

Die AfD treibt ihre Zahlen hoch, indem sie für jeden Monat fragt, welche Behörde (beispielsweise das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung) und welches Ministerium Korrekturen von Medienberichten verlangt habe. Die Linke arbeitet mit ähnlichen Methoden: Sie fragt für jedes Gesetz nach der „Einflußnahme von Interessenvertreterinnen und Interessenvertretern“. 

Und die Ministerien antworten in allen Fällen mit gleichlautenden Standardsätzen, so daß vom ursprünglichen Fragerecht als Instrument der Opposition zur Kontrolle der Regierung wenig übriggeblieben ist.