© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 14/20 / 27. März 2020

Die Opfer leiden bis heute
Kindesmißbrauch in Großbritannien: Viele Verurteilungen, doch die Angst vor Rassismus behindert Aufklärung
Josef Hämmerling

Kaum ein Tag ohne Meldungen zu Kindesmißbrauchsskandalen in Großbritannien. Mitte vergangener Woche verurteilte das Oberste Gericht in Glasgow Aivars Hauberts, Ailands Aleksanders und Ludvigs Rudevics und Hardis Gindra wegen sexueller Ausbeutung von Kindern zu Haftstrafen. Hauberts, Aleksanders und Rudevics, die alle ursprünglich aus Lettland stammen, wurden schuldig gesprochen, im Jahr 2015 eine 15jährige Schülerin sexuell mißbraucht zu haben. 

Offiziell sollen 19.000 Kinder betroffen sein 

Hauberts und Aleksanders wurden jeweils zu vier, Rudevics zu sechs Jahren Haft verurteilt. Der mitangeklagte Gindra, der zweimal für schuldig befunden wurde, mit der Minderjährigen Sex gehabt zu haben, erhielt ein Jahr Gefängnisstrafe.

Nach Angaben der schottischen Polizei hatte sich die 15jährige im März 2015 mit den Männern getroffen, die sie mit Geschenken überhäuften und zugleich mit Drogen und Alkohol versorgten. Das Mädchen wurde bei verschiedenen Gelegenheiten von den Männern vergewaltigt und sexuell mißbraucht und zudem in unterschiedlichen Stadtteilen Glasgows wie Castlemilk und Kennishead angeboten, um weiter sexuell ausgebeutet zu werden.

Polizei-Inspektor Christopher Nisbet, leitender Ermittlungsbeamter in diesem Fall, zollte dem Opfer Lob und Anerkennung, überhaupt mit der Polizei so offen gesprochen zu haben: „Wir haben viel Zeit mit ihr verbracht, um diesen Fall aufzuklären, und die heute erzielte Verurteilung wäre ohne ihren Mut nicht möglich gewesen.“

Nur wenige Tage zuvor hatte der  Sheffield Crown Court Jasim Mohammed, Nzar Anwar, Kawan Omar Ahmed und Shangar Ibrahimi zu Haftstrafen zwischen 12 und 25 Jahren wegen sexueller Ausbeutung von Kindern verurteilt.Richter Michael Slater unterstrich bei der Urteilsverkündung, daß die Angeklagten alle eine Rolle bei der Mißhandlung „eines extrem verletzlichen und verängstigten jungen Mädchens gespielt“ hätten, das schwere psychische Schäden erlitten habe und weiterhin erleide. Das Opfer wurde mißbraucht, als es zwischen 15 und 17 Jahre alt war.

Beinah parallel dazu verurteilte der Oxford Crown Court drei Pakistaner im Alter von 41, 42 und 44 Jahren zu Haftstrafen zwischen fünf und 24 Jahren. Das Gericht sah es als erwiesen an, daß eine Schülerin zwischen 1999 und 2001 im Alter von 13 bis 15 Jahren mindestens 35mal mißbraucht wurde. Das Mädchen, um das es in diesem Fall ging, wurde zusammen mit anderen Mädchen unter anderem durch Cannabis und Alkohol gefügig gemacht. Dabei seien sie auch mehrfach vergewaltigt und anderweitig gedemütigt worden.

Alleine im vergangenen Jahr sind die Ermittlungsbehörden im Rahmen der „Operation Silk“ auf mehr als 19.000 Kinder gestoßen, die von Zuhälterbanden mit brutalsten Methoden zur Prostitution gefügig gemacht wurden. Doch trotz des sogenannten „Freedom of Information“-Acts weigerte sich die Regierung bis dato, Einzelheiten zu den Zuhälterbanden zu nennen. Dies liege „nicht im öffentlichen Interesse“.

Kinderschutzorganisationen kritisieren Regierung

Nach Informationen des Independent, der diesen Skandal aufdeckte, sind in diesen Zuhälterbanden überdurchschnittlich viele pakistanische Migranten vertreten.  Das sei der wahrscheinliche Grund für dieses Schweigen, vermutet die Tageszeitung. 

Dabei hatte der frühere Innenminister Sajid Javid, selbst pakistanischstämmig, 2018 in seiner Eigenschaft als Innenminister noch verlauten lassen, daß der Anteil von Pakistanern sehr hoch sei und „kulturelle Gründe“ der Grund für das Verhalten der Banden sein könnten. Doch werde ihn das nicht beeinflussen, „das Problem zu verstehen und etwas dagegen zu tun“. 

Kinderschutzorganisationen betonen dagegen, daß die wahre Opferzahl viel höher sei. Gleichzeitig werfen sie der Regierung Versäumnisse vor, trotz mehrerer hochbrisanter Fälle in Rotherham und Rochdale nicht entschieden genug gegen diesen Mißbrauch vorgegangen zu sein.

Sammy Woodhouse, ein Mißbrauchsopfer aus Rotherham, die im März 2017 aktiv mithalf, diesen Skandal aufzudecken, sagte dem Independent, sie und andere Opfer seien fest davon ausgegangen, daß der mittlerweile fertiggestellte Report auch, wie zugesagt, veröffentlicht werde. „Aber viele Leute verhinderten dies“, so Woodhouse. Ein weiteres Opfer, das aber anonym bleiben wollte, meinte: Die Regierung habe es „wiederholt unterlassen, auf die Rolle des Rassismus und der religiösen Bigotterie hinzuweisen, was zu einer unzulänglichen Untersuchung, Schutz und Anklage geführt“ hätte.