© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 14/20 / 27. März 2020

Alles nicht so schlimm
Griechenland: Immer wieder Grenzzwischenfälle, doch der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell drückt ein Auge zu
Curd-Torsten Weick

Von Entspannung kann keine Rede sein. Zwar erklärte die Türkei am vergangenen Mittwoch, daß sie ihre sechs Land- und Seegrenzübergänge zu Griechenland und Bulgarien schließen werde, um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen. Zugleich aber fügte ein hoher türkischer Beamter hinzu, daß diese Maßnahme nicht das Ende der Politik Ankaras bedeute, Migranten nicht an der Ausreise aus der Türkei zu hindern. 

Kurz zuvor kam es vor Sonnenaufgang südlich des Grenzübergangs Kastanies zu Zusammenstößen, nachdem etwa 500 Migranten versuchten, den Grenzzaun zu durchbrechen und nach Griechenland einzureisen. Um den Vorstoß abzuwehren, setzte die griechische Polizei Tränengas ein. Athen betonte jedoch auch, daß türkische Sicherheitskräfte parallel dazu ebenfalls Tränengas in Richtung Griechenland abgefeuert hätten. Österreichischen Medien zufolge kam es dabei auch zu Wortgefechten zwischen türkischen Grenzpolizisten und Elitepolizisten der Spezialeinheit Cobra. 

Die 13 von Österreich entsandten „top-ausgebildeten“ Cobra-Einsatzkräfte konnten sich bewähren, denn auch in der Folge kam es in der Nähe des Grenzübergangs von Kastanies/Pazarkule immer wieder zu Zwischenfällen. Vor allem jugendliche Migranten versuchten, den Grenzzaun auf griechischer Seite niederzureißen. Erneut sei Tränengas eingesetzt worden. „Und zwar auf beiden Seiten“, erklärte ein griechischer Polizeioffizier laut dpa. Die Lage an der Grenze, an der noch schätzungsweise 2.000 illegale Migranten lagern, habe sich aber schnell beruhigt. 

In Athen gehen Kommentatoren davon aus, daß Ankara den Druck an den Grenzen aufrechterhalten werde, um politische und finanzielle Unterstützung seitens der EU zu bekommen. 

Entsprechend rettete die griechische Küstenwache zu Wochenbeginn innerhalb 24 Stunden das vierte Boot mit illegalen Migranten in der Nähe von Lesbos. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Ana-MPA befanden sich in dem Boot 56 Personen (50 aus Afghanistan und sechs aus Subsahara-Afrika).

Trotz der Vorfälle beschwichtigt der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. Die Lage an der Grenze habe sich nicht verschlechtert, resümierte der katalanische Sozialdemokrat am Montag. Im Gegenteil sei die Situation heute besser als noch vor Wochen. Von einer neuen Übereinkunft mit Ankara könne keine Rede sein. „Wir konzentrieren uns auf die Umsetzung“ des EU-Türkei-Flüchlingspaktes vom 18. März 2016, erklärte Borrell. Unterschiedliche Ansichten darüber müßten nun geklärt werden. Weitere finanzielle Hilfe stünde nicht im Raum – Visa-Erleichterungen und die Modernisierung der Zollunion dagegen schon.