© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 14/20 / 27. März 2020

Aktien zum Schnäppchenpreis
Börsencrash: Leerverkäufer profitieren in der Corona-Krise / Steigen nun Hedgefonds bei angeschlagenen deutschen Unternehmen ein?
Thomas Kirchner

Bei Börsenturbulenzen werden oft Leerverkäufer als Schuldige ausgemacht. Die leihen sich Aktien, die sie dann in der Erwartung verkaufen, sie später billiger wieder kaufen zu können, um sie dann zurückzugeben. Leerverkäufer suchen also gezielt überbewertete Aktien, oder solche Werte, die durch Bilanzmanipulation oder Betrug überhöhte Kurse haben.

Bekannt wurde beispielsweise der Leerverkäufer Jim Chanos, als er 2001 den Enron-Chef Jeffrey Skilling auf einer Konferenz nach dubiosen Posten in der Bilanz fragte. Skilling wurde ausfällig und beleidigte Chanos vor den versammelten Analysten. Doch wie sich nach der Enron-Pleite herausstellte, hatte der Energieonzern nie Gewinne gemacht, obwohl die Bilanzen bestens aussahen. Skilling verbrachte wegen Bilanzbetrugs zwölf Jahre in Haft. Chanos machte durch seinen Leerverkauf 500 Millionen Dollar Gewinn für seine Kunden. 

Leerverkäufe sind verpönt, denn niemand sollte vom Schaden anderer profitieren. Wenn Börsenkurse stürzen, sind es die Leerverkäufer, die profitieren. Doch dieses Argument vernachlässigt, daß viele Anleger zu viel für Aktien zahlen würden, gäbe es keine Leerverkäufer. Kauft jemand beispielsweise eine Aktie, die überbewertet ist, macht der Verkäufer Gewinn auf Kosten des Käufers. Mit überwerteten Aktien scheinen aber Finanzmarktkritiker keine Probleme zu haben. Stattdessen schießen sie sich auf Leerverkäufer ein, die, wie auch im aktuellen Corona-Börsencrash, bei fallenden Kursen Gewinne verbuchen.

Da Aktien ein Jahrzehnt lang kräftig gestiegen sind, haben Leerverkäufer miserabel abgeschnitten. Statt paradiesischer Spekulationsgewinne verbuchten sie in den vergangenen zehn Jahren im Jahresschnitt 7,4 Prozent Verlust, wie die Zahlen des Hedgefondsindex HFR zeigen. Trotzdem sitzt das Mißtrauen tief. Schon in der Finanzkrise von 2008 verboten 14 Staaten Leerverkäufe. Der Crash ging trotzdem weiter.

Banken mußten nicht wegen spekulativer Leerverkäufe gegen ihre Aktien gerettet werden, sondern wegen hoher Verluste im Kreditgeschäft. Trotzdem verabschiedeten die EU-Staaten 2012 in seltener Einstimmigkeit gemeinsame Regeln gegen Leerverkäufe.

Auch im Corona-Crash geht wieder die Angst vor Hedgefonds und Leerverkäufen um. Südkorea, Italien, Spanien, Frankreich, Österreich und Großbritannien haben Leerverkäufe teilweise verboten. Andere werden folgen. Allerdings handelt es sich bei den derzeitigen Verkäufen um Liquidierungen von Hedgefonds, die Wertpapiere auf Kredit gekauft haben und jetzt verkaufen müssen. Maßnahmen gegen Leerverkäufe werden daran nichts ändern – man hätte lange vorher Käufe auf Kredit einschränken müssen. Das aber hätte den Aktienboom ausgebremst.

Schlagzeilen machte mitten im Crash der Hedgefonds Bridgewater, dessen Chef Ray Dalio noch vor wenigen Wochen in Davos mit dem Motto „Cash ist Müll“ auf 100 Prozent Investitionen setzte. Bridgewater ging Leerverkäufe im Volumen von 14 Milliarden Dollar gegen europäische Aktien ein, darunter fast die Hälfte der deutschen Dax-Werte, was knapp zehn Prozent des Investitionsvolumens entspricht. Auffällig dabei: der Crash war zu dem Zeitpunkt schon in vollem Gang. Setzte Bridgewater also auf einen völligen Kollaps?

Dann müßte man mehr als nur zehn Prozent einsetzen, um unterm Strich zu profitieren. Reuters berichtet, Bridgewater besäße mehr europäische Aktien, als es leerverkauft habe. Um Wetten gegen Deutschland oder Europa, wie manche Medien spekulierten, kann es sich also nicht handeln. Vielmehr dürfte es sich um eine unter Profis beliebte Strategie handeln, bei der auf unterschiedliche Wertentwicklung ähnlicher Unternehmen gesetzt wird.

Beispielsweise würde man europäische Technologieaktien leerverkaufen und US-Technologiewerte kaufen, wenn man der Meinung ist, daß US-Firmen sich schneller erholen werden als europäische. Ob Aktien insgesamt steigen oder fallen, spielt keine Rolle, lediglich die relative Entwicklung der Kurse zueinander. In turbulenten Zeiten sind solch richtungsunabhängige Anlagen besonders beliebt, da sie Risiken stark reduzieren.

Wenn also Hedgefonds den Crash nicht mit Leerverkäufen forcieren, wie sieht es dann mit den anderen Krisenprofiteuren aus, den Heuschrecken? Unternehmen sind jetzt im Schnitt ein Drittel billiger als noch vor ein paar Wochen. Viele sind nun potentielle Übernahmekandidaten. Großes Gejammer über den Ausverkauf  der deutschen Wirtschaft wird einsetzen, wenn meist angelsächsische Finanzinvestoren erste Übernahmen ankündigen.

Dabei ist aber heute schon die Hälfte des Dax in ausländischer Hand. Man sollte lieber über die Rahmenbedingungen jammern, derentwegen beim Exportweltmeister nicht genug privates Kapital vorhanden ist, um bei Finanzinvestitionen ganz vorne mitzuspielen.