© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 14/20 / 27. März 2020

Die Kunst der Vielen schafft noch keinen Pluralismus
Mär von der rechten Diskurshoheit: Linke Kulturkämpfer instrumentalisieren die „offene Gesellschaft“ zur Zementierung eigener Machtstrukturen
Felix Dirsch

Selten ist es in den letzten Jahrzehnten Konservativen überhaupt gelungen, kulturpolitische Debatten auszulösen. 1966 wagte der Schweizer Germanist Emil Staiger, Liebhaber klassischer Literaturqualität, noch eine Abrechnung mit der öfter seichten zeitgenössischen Gesinnungsliteratur, in der es von „Psychopathen und Scheußlichkeiten großen Stils“ nur so wimmle. Die anschließende Kontroverse wurde jedoch hauptsächlich von seinen Gegnern geführt.

Über ein Vierteljahrhundert später, 1993, brach über den Dramaturgen Botho Strauß für seinen Spiegel-Essay „Anschwellender Bocksgesang“ ein Gewitter der linksliberalen Status-quo-Verteidiger herein: Der namhafte Schriftsteller nahm an einer zentralen Stelle des Textes die „Verhöhnung des Eros, die Verhöhnung des Soldaten, die Verhöhnung von Kirche, Tradition und Autorität …“ aufs Korn. Immerhin fanden sich 28 Autoren in dem 1994 von Heimo Schwilk und Ulrich Schacht herausgegebenen Sammelband „Die selbstbewußte Nation“ zusammen, um die von Strauß begonnene Diskussion fortzuführen.

Nachdem das Publikum von der Politisierung im Jahrzehnt zuvor, spätestens also in den 1980er Jahren, ermüdet war, manifestierte sich künstlerische Qualität vorrangig als Dekonstruktion gestriger Prinzipien – erkennbar unter anderem beispielhaft im Free Jazz, im Punk, in der Malerei und in der Neuen Musik. 

Distanzierung von linker Gewalt nie eingefordert

Dieser Grundtrend gab die Richtung vor, die für den Kulturbetrieb noch heute maßgeblich ist. Das beste Beispiel hierfür ist die im Herbst 2018 veröffentlichte „Erklärung der Vielen“. Ganz am Anfang findet sich der Schlüsselsatz, der gegen den politischen Gegner als Waffe eingesetzt wird: „Kunst schafft einen Raum zur Veränderung der Welt“. Natürlich wird von den Unterzeichnern, Kulturschaffenden aus den Bereichen Theater, Oper, Museen, Bildungseinrichtungen und so fort, diese Aussage im Sinne einer bunt-weltoffenen Ausrichtung verstanden. Die Gegner sind schnell benannt: Es ist sind jene nicht näher bestimmten Rechtspopulisten, unter die AfD, Pegida und die Identitären subsumiert werden. Gegen Ende des Aufrufes, der ein starkes mediales Echo gefunden hat, werden rechtspopulistische Versuche, Kulturveranstaltungen für ihre Zwecke zu instrumentalisieren, zurückgewiesen. Beispiele hierfür werden nicht genannt.

Seit sich der gesellschaftliche Riß immer mehr in latenten Kulturkämpfen abbildet, wächst auch die Zahl von Analysen, die sich mit den Konflikten beschäftigen. Neben Hanno Rauterbergs Studie „Wie frei ist die Kunst?“ (JF 7/19) ist die unlängst erschienene Abhandlung „Die Kunst der Demokratie. Die Bedeutung der Kultur für eine offene Gesellschaft“ des amtierenden Senators für Kultur und Medien in Hamburg, Carsten Brosda, anzuführen. Der SPD-Politiker sieht die Gegenwartskunst vor allem in dreierlei Hinsicht gefährdet: durch Angriffe von rechts, durch identitätspolitische Verengungen und durch ökonomische Zwänge. Selbstverständlich gehören ins Phrasenschwein Diskurskopeken wie Toleranz, Vielfalt und Respekt. Außerdem besteht die Gesinnungsprüfung zum staatlich anerkannten Kulturschaffenden nur, wer für ausreichende Aktivitäten gegen Abschottung und Ausgrenzung bekannt ist. Sie sind das Markenzeichen der Apologeten von offener Gesellschaft und aufgeklärter Demokratie. 

Wie üblich werden vermeintlich rechte Kulturopponenten in ihrer Stärke weit überschätzt. Schon ein Blick auf staatliche Subventionstöpfe, die ein Kulturpolitiker wie Brosda natürlich kennt, mit ihrer finanzkräftigen Förderung des „Kampfes gegen Rechts“, ist aufschlußreich. Es ist schlicht nicht vorstellbar, daß ein rechter Verband ähnlich unterstützt und von staatlichen Stellen hofiert werden könnte wie die linksradikale Punkband Feine Sahne Fischfilet oder das zum Teil gar durch kriminelle Aktionen aufgefallene „Zentrum für Politische Schönheit“. Der politmediale Komplex hat eine eindeutige Distanzierung von linker Gewalt nie eingefordert.

Die andere Seite lebt indessen weniger komfortabel. Es handelt sich meist um „Einmannunternehmen“ (Tellkamp), die sich gegen den Common Sense stellen. Schnell landen sie am medialen Pranger. In Auswahl sind zu nennen: Uwe Tellkamp, Axel Krause, Susanne Dagen, Xavier Naidoo oder Neo Rauch. Sie besitzen die Courage, den Kotau vor dem Zeitgeist – mitunter wortgewaltig wie Tellkamp – zu verweigern.

Man braucht als Beleg für den gegenwärtigen Umgang mit Abweichlern nur den Brief zu lesen, den der Publizist Hans-Peter Lühr und der Kurator Paul Kaiser an die Dresdner Buchhändlerin Susanne Dagen 2018 geschrieben haben. Ihr Geisteszustand gebe wegen ihres Ausscherens aus dem vermeintlich liberalen Mainstream und ihrer Kontakte zu „Rechten“ Anlaß zur Sorge. Wohlwollend erhielt die derart Gemaßregelte immerhin noch ein Gesprächsangebot: Man lud sie in das Dresdner „Café Gustav“ ein, wo sie in Gesellschaft mit Irakern, Syrern und Afghanen über Fehltritte nachdenken könne.

Die Argumentation des Hegemons ist dünn. Natürlich kann man den AfD-Bundestagsabgeordneten und ehemaligen Sloterdijk-Mitarbeiter Marc Jongen dafür kritisieren, daß er allzu salopp die „Entsiffung“ des Kulturbetriebes fordert. Er zählt aber zu den wenigen, die mutig genug sind, die linksliberale Dominanz in Frage zu stellen. 

Keinesfalls ist Jongen anzukreiden, daß er für eine stärkere nationale Ausrichtung der Kultur plädiert. So sollte es in den herkömmlich „Nationaltheater“ benannten Einrichtungen nicht nur geboten sein, Stücke aus Asien oder Süd-amerika aufzuführen, sondern auch solche, die aus deutschsprachiger Produktion stammen. Es zeige ein Blick in die Geschichte, daß Kultur keinesfalls zwingend nur international orientiert sein müsse. Johann G. Herder gab ein lange Zeit prägendes Modell vor, indem er Kulturen in den nationalen Kontext einordnete: „Jede Nation hat ihren Mittelpunkt der Glückseligkeit in sich selbst, wie jede Kugel ihren Schwerpunkt.“ Von dieser Sicht führt eine Linie sowohl zu Samuel P. Huntingtons „Clash of Civilizations“ als auch zu ethnopluralischen Theorien. 

Auch solche einst prägenden Deutungen von Kultur müssen ihren Platz in einer pluralistischen Gesellschaft haben. Authentische Vielfalt ist keineswegs identisch mit dem Gesinnungskonfessionalismus der Vielen, die zur Aufrechterhaltung ihrer eigenen Hegemonie einen Gegner an die Wand malen, der sich mit leisen Tönen zu Wort meldet.

Carsten Brosda: Die Kunst der Demokratie. Die Bedeutung der Kultur für eine offene Gesellschaft. Hoffmann und Campe, Hamburg 2020, gebunden, 256 Seiten, 24 Euro