© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 14/20 / 27. März 2020

„Perfekt in Echtzeit“
Angebliche Durchbrüche bei Künstlicher Intelligenz
Oliver Busch

Ist es eine „Erkenntnis“ aus einer Bertelsmann-Studie oder entstammt der Satz dem Wortschwall eines Politikers? „Ein kostengünstiges und sehr hochstehendes Gesundheitssystem, das es aber auch schafft, die Gesundheit der Menschen zu erhalten und Krankheiten aktiv zu verhindern, wird immer wichtiger werden“. Nein, es ist eine von zahlreichen Platitüden, die Jana Köhlers Besinnungsaufsatz über „Chancen und Grenzen künstlicher Intelligenz aus Sicht der Informatik“ aktuell eine unfreiwillig humoristische Note geben (Forschung & Lehre, 1/20).

Vom Glauben an das menschheitsbeglückende Potential ihrer Forschungsdisziplin ist die wissenschaftliche Direktorin des Forschungsbereichs Algorithmic Business and Production am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) geradezu besessen. Schon in den nächsten fünf Jahren, so prophezeit die deutsch-schweizerische Informatikprofessorin in messianischem Überschwang, „werden wir die größten Fortschritte“ und „neue Durchbrüche“ der Künstlichen Intelligenz (KI) erleben.

Vor allem bei der Sprachsteuerung, Spracherkennung und Übersetzung. Von menschlicher Intelligenzleistung nicht mehr unterscheidbare technische Systeme ermöglichten es uns bald, „miteinander in verschiedenen Sprachen perfekt in Echtzeit zu kommunizieren“. Mit Blick auf die jüngsten Pisa-Studien wäre mancher Lehrer indes schon froh, wenn seine Schüler „perfekt in Echtzeit“ und auf deutsch sich mit ihm oder untereinander verständigen könnten.

Doch der vom Ungeist der „Machenschaften“ (Martin Heidegger) durchdrungenen, von „Optimierung der Produktionsprozesse“, „flexibler Planung“ und „Innovationsfähigkeit durch Digitalisierung“ schwärmenden KI-Professorin geht es nie um Inhalte. Wie noch in den 1970er Jahren, als Technologen Politikern die „Humanisierung der Arbeitswelt“ versprachen.

Köhler, die seit 2019 den Lehrstuhl für Künstliche Intelligenz an der Universität des Saarlandes übernahm, jubelt hingegen schon über „Durchbrüche“ der KI, wenn das an der Carnegie Mellon University ausgetüftelte Spielprogramm „Libratus“ das Pokerspiel revolutioniert.

Das KI-Programm „Alphastar“ der Google-Tochter Deepmind, das 99,8 Prozent aller menschlichen Gegner geschlagen könne, demonstriere beim Spielen von „StarCraft II“, wie sich Systeme in komplexen, „von Unsicherheit geprägten Situationen behaupten können“. Wer sonst nichts mit sich anzufangen weiß, dem empfiehlt sich solcher Tand derzeit immerhin als Zeitvertreib während der Corona-Quarantäne.