© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 15/20 / 03. April 2020

Jetzt kommt die Quittung
Corona: US-Wirtschaft schwer bedrängt / Verschleppte Eurokrise rächt sich
Bruno Bandulet

Wenn selbst das Münchener Ifo-Institut im dunkeln tappt und für 2020 einen Rückgang des deutschen Bruttoinlandsproduktes irgendwo zwischen 7,2 und 20,6 Prozent erwartet, wenn niemand weiß, wann Impfstoffe und Medikamente gegen das Virus verfügbar sind, dann verbieten sich Prognosen über Dauer und Tiefe dieser Weltwirtschaftskrise.

An die Superlative, mit denen wir jetzt täglich konfrontiert sind, müssen wir uns erst noch gewöhnen. Der schnellste Börsencrash folgte auf den längsten Wirtschaftsaufschwung der Nachkriegszeit. Wenn die Prognose der US-Investmentbank Morgan Stanley zutrifft, wonach die Wirtschaftsleistung der USA um 30 Prozent einbrechen wird, dann drängt sich der Vergleich mit 1929 auf – damals dauerte es 25 Jahre, bis die Kurse an der Wall Street das alte Niveau wieder erreicht hatten. 

In einer solchen Situation müssen Regierungen und Notenbanken Entscheidungen im Zustand der Unsicherheit und Unkenntnis treffen. Dann tun sie lieber zu viel als zu wenig. Ihr Kalkül ist nachvollziehbar. Kommt es weniger schlimm als erwartet, können sie sagen, sie hätten die Krise gemeistert. Kommt es ganz schlecht, sind sie auch bestätigt. Was so zustande kommt, sind die radikalsten monetären und fiskalischen Maßnahmen aller Zeiten. Der schon vorher hochverschuldete amerikanische Staat interveniert mit zwei Billionen Dollar. Die US-Notenbank hat Anleihekäufe ohne Limit angekündigt. Die Europäische Zentralbank legt ein Notfallprogramm namens PEPP auf. Wer denkt da nicht an aufpeppen? Der EZB wird das Geld eher ausgehen als die Akronyme.

Dazu kommen vermutlich unbegrenzte Ankäufe von Euro-Anleihen (sogenannte Euro-Bonds) auf Grundlage von Mario Draghis OMT-Programm. Und das im Eilverfahren vom Bundestag beschlossene und mit heißer Nadel gestrickte Gesamtpaket summiert sich auf 1,8 Billionen Euro, die Kredite eingerechnet. Da wirkt es fast schon komisch, wenn die EU-Kommission den Ländern der Eurozone offiziell die Genehmigung erteilt, die Schuldenobergrenzen zu überschreiten. Als hätten sie das nicht schon längst getan.

Roland Vaubel, einer der profiliertesten Kritiker des Eurosystems, hält das panik­artige Vorgehen der EZB für falsch. Weil zahlreiche Firmen stilliegen, sieht er einen Angebotsschock, keinen Nachfrageschock. Da bringt es tatsächlich wenig, die Güternachfrage über eine ultra-expansive Geldpolitik stimulieren zu wollen. Sobald aber Millionen arbeitslos werden, was sich nicht in Deutschland, aber in den USA abzeichnet, wird auch die Nachfrage wegbrechen.

Jetzt rächen sich die Fehlentscheidungen und Fehlentwicklungen der vergangenen Jahre. In den USA bekommen die Unternehmen die Quittung dafür, daß sie sich wie nie zuvor verschuldet haben, um eigene Aktien zurückzukaufen, um damit die Kurse (und die Boni) nach oben zu treiben oder um das teure Fracking zu finanzieren, das die USA zum weltgrößten Ölproduzenten hat aufsteigen lassen, dies allerdings nur vorübergehend. Auch in Europa ist eine Serie von Firmenpleiten unvermeidlich, weil die unverantwortliche Nullzinspolitik der EZB die schwache Verfassung solcher Unternehmen nur kaschieren konnte.

Selbst Deutschland mit seinen noch soliden Staatsfinanzen stünde heute ohne den Euro besser da. Die europäische Billigwährung hat einen ungesunden Exportboom befeuert, der das Land extrem abhängig von der Weltkonjunktur macht. Mit einer eigenen, souveränen Währung hätte die Bundesbank Devisen- und Goldreserven für schlechte Zeiten aufbauen können, die jetzt dank Euro nicht zur Verfügung stehen. Erschreckend hoch ist der Preis, den Italien für den Eintritt in die Währungsunion zahlen muß. Selbst vor dem katastrophalen virusbedingten Absturz hatte die italienische Industrieproduktion nicht einmal den Stand vor der letzten Eurokrise wieder erreichen können.

Unabhängig davon, ob die Weltwirtschaft (im besten Fall) schon im zweiten Halbjahr Tritt fassen kann, wird die Staatsverschuldung Ausmaße erreichen wie sonst nur zu Kriegszeiten. Was könnten die späteren Folgen sein? Thomas Mayer, Stratege bei Flossbach von Storch, zieht einen Vergleich mit dem „Ruhrkampf“, als französische und belgische Truppen im Januar 1923 das Ruhrgebiet besetzten. Die Produktion stand wegen des Generalstreiks still, die Steuereinnahmen blieben aus, der Staat zahlte die Löhne, und die exorbitanten Haushaltsdefizite wurden von der Reichsbank finanziert. Am Ende standen Hyperinflation und Währungsreform.

Mit einer Hyperinflation rechnet Mayer diesmal nicht, aber doch längerfristig mit steigenden Verbraucherpreisen, wenn die jetzt noch blockierte und später nachgeholte Nachfrage auf teilweise vernichtete Produktionskapazitäten trifft. Ähnlich argumentiert die Deutsche Bank in einem von Oliver Harvey und Robin Winkler verfaßten Papier.

Mit der Rückkehr der Inflation aber werden auch die kraß überbewerteten Staatsanleihen unter Druck geraten. Die Vorstellung, Gelddrucken und Schuldenmachen blieben straffrei, wird sich als Illusion herausstellen. Die Rechnung wird präsentiert werden. Dann werden die Schulden entweder zusammengestrichen oder per Inflation entwertet, oder das eine folgt auf das andere. Die Frage, ob die Eurokrise zurückkehrt, ist falsch gestellt. Sie wurde nie aufgearbeitet. Sie hat nur überwintert. Ja, der Euro kann zerbrechen – nicht an der Krise, aber an ihren Folgen.Die EU mag scheitern, Europa bleibt.






Dr. Bruno Bandulet war Chef vom Dienst bei der „Welt“ und ist Herausgeber des „Deutschland-Briefs“ (erscheint in „eigentümlich frei“).