© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 15/20 / 03. April 2020

„Es droht ein Inflations-Tsunami“
Kommt die deutsche Wirtschaft durch die Corona-Rezession? Diese kann, muß aber nicht in eine Depression führen. Gefährlicher, warnt Ökonom Ulrich van Suntum, wird es danach: Die Krisenrettung der Politik birgt den Keim einer Katastrophe
Moritz Schwarz

Herr Professor van Suntum, ist die Corona-Krise tatsächlich der Auftakt zur großen Wirtschaftsdepression, wie der Öko-nom Markus Krall in dieser Zeitung unlängst vorausgesagt hat?

Ulrich van Suntum: Womit er recht hat ist die Analyse, daß die Wirtschafts- und Finanzpolitik der letzten Jahre viel Gefahrenpotential geschaffen hat. Viele Länder sind hoch verschuldet. Und die Geldpolitik hat ihr Pulver mit der viel zu lange fortgeführten Niedrigzinspolitik – die ihre konjunkturanregende Wirkung dadurch längst verloren hat – verschossen. So trifft Corona in Europa auf eine geschwächte Wirtschaft, und es kommt nun zu einer ökonomischen Krise, wie wir sie seit 1945 nicht gehabt haben. Und deren Folgen die der Finanzkrise 2008 weit in den Schatten stellen könnten. 

Wovon hängt das ab? 

Suntum: Ich stütze mich auf die neue Studie des Ifo-Instituts, laut der Deutschland jeder Monat Stillstand fünf bis sechs Prozent Bruttoinlandsprodukt kostet. Bei einem BIP von etwa 3,5 Billionen wären das 175 bis 210 Milliarden Euro. 

Was bedeutet das für uns?

Suntum: Ich denke, wir könnten einen solchen Stillstand bis zu drei Monate verkraften – das wären 15 bis 20 Prozent weniger BIP und leider auch etwa 1,8 Millionen mehr Arbeitslose. 

Das klingt gigantisch.

Suntum: Ja, aber ist der Virus bis dahin eingedämmt, könnte es mit etwas Optimismus danach rasch wieder aufwärtsgehen. Wir Ökonomen hoffen auf einen V-förmigen Verlauf der Krisenkurve, statt einer sich lange hinziehenden Wirtschaftskrise mit einem U-Verlauf. 

Sonst klagt die Wirtschaft bei kleinsten Einschränkungen und nun sind drei Monate Stillstand nicht so schlimm?

Suntum: „Nicht so schlimm“ haben Sie gesagt. Man muß bedenken, daß es zum einen vor allem Dienstleister trifft – Restaurants, Kinos, Schulen und Horte etc. Aber gekocht, geputzt, Kinder betreut, Filme geschaut wird dennoch, eben jetzt zu Hause, und dadurch entsteht auch Wertschöpfung – nur wird diese, wie häusliche Tätigkeit generell, nicht im BIP erfaßt. Es geht deshalb in dieser Krise nicht so viel Wohlstand verloren, wie es nominell mit Blick aufs BIP den Anschein haben wird. Zum anderen läuft gut die Hälfte der Konsumausgaben erstmal mehr oder weniger weiter: wir bezahlen ja Miete, Telekommunikation, Lebensmittel, kaufen im Internet ein etc. Und schließlich dürfte von der anderen Hälfte des Konsums, die derzeit ausfällt, knapp die Hälfte nach der Krise nachgeholt werden: Das neue Auto, Sofa, Heimkino etc. wird eben etwas später angeschafft. Wirkliche Probleme haben vor allem genannte Dienstleister: Niemand geht etwa nächstes Jahr doppelt so oft Essen, weil er das jetzt nicht kann. 

Andere Experten fürchten, viele Bürger könnten danach, von der Krise verschreckt, auf Konsum verzichten und lieber sparen.

Suntum: Das glaube ich nicht, es widerspricht jeder Erfahrung. Denken Sie an das Wirtschaftswunder nach 1945, die Menschen wollten wieder Freude am Leben haben, was auch der Wirtschaft gutgetan hat. Entscheidend ist, daß uns in dieser Krise der Wirtschaftskreislauf nicht vollkommen zusammenbricht!

Dann wird also alles wieder gut? 

Suntum: Es wird natürlich Opfer geben: Betriebe, die nicht überleben. Doch um deren Zahl so klein wie möglich zu halten, hat der Bundestag inzwischen ja Steuerstundungen, Liquiditätshilfen und Zuschüsse beschlossen.

Warum ist es nicht möglich, alle zu retten?

Suntum: Das ginge zu weit, ein gewisses Risiko ist nun mal Bedingung für ökonomische Dynamik, ohne die eine Wirtschaft nicht floriert.

Konkurse infolge von Corona sind nicht Teil natürlichen Marktgeschehens, sondern höhere Gewalt. Müßten wir als Solidargemeinschaft da nicht jedem beistehen? 

Suntum: Es wird bei den Corona-Pleiten wohl leider ähnlich sein wie in den Krankenhäusern: „sterben“ werden vor allem Betriebe, die „Vorerkrankungen“ haben und auch ohne die Krise langfristig nicht überlebt hätten. Zu den ersten Opfern zählen ja die Systemgastronomen „Maredo“ und „Vapiano“, die beide zahlungsunfähig geworden sind, beide aber auch schon zuvor angeschlagen waren – Corona war nur der letzte Schlag.  

Also sind die vom Bundestag letzte Woche beschlossenen Hilfsmaßnahmen richtig? 

Suntum: Im Prinzip ja, und auch die Rekordhöhe der dafür nötigen Neuverschuldung von 156 Milliarden Euro ist vertretbar. Kredite und Finanzspritzen für kleine Firmen und Solo-Selbständige sind der wichtigste Teil der Maßnahmen. Denn können Firmen keine Löhne und Mieten mehr zahlen, werden ihre Mitarbeiter arbeitslos und der Konsumausfall wächst immer weiter an. Kritisch sehe ich dagegen, daß bei größeren Konzernen in Not jetzt Teilverstaatlichung droht. Denn der Staat ist kein guter Unternehmer. Und später läßt sich das möglicherweise nicht mehr so leicht rückgängig machen – da die Politik Einfluß ungern wieder aufgibt. Besser wäre es deshalb, den Großen mit zinslosen Krediten oder stimmrechtslosen Vorzugsaktien zu helfen.

War es also richtig oder falsch, daß die AfD-Fraktion als einzige dem Hilfspaket nicht zugestimmt, sondern sich enthalten hat?

Suntum: Wie ich deren Pressemitteilungen entnehme, hat sie vor allem die Konzentration der Maßnahmen auf größere Unternehmen und eine Vernachlässigung der Kleinstbetriebe und Selbständigen moniert. Doch der AfD-Vorschlag, letztere mit direkten Zuschüssen zu unterstützen, ist inzwischen ja nachgeholt worden. Allerdings fällt mir auf, daß über Haltung und Vorschläge der Oppositionsparteien in der Corona-Krise in den Medien kaum berichtet wird, es kommt fast nur die Regierung zu Wort. 

Äußere Krisen sind nun mal die Stunde der Regierung – ist das also nicht natürlich? 

Suntum: Mag sein, aber speziell in den Öffentlich-Rechtlichen dominiert große Regierungsnähe, die mitunter an Hofberichterstattung erinnert. Viele sonst kritische Journalisten hinterfragen merkwürdigerweise kaum, warum die Regierung erst so spät und dann nur schwach reagiert hat. Etwa verkündete Gesundheitsminister Jens Spahn noch am 28. Januar, die Gefahr durch Corona „bleibt weiterhin gering“, obwohl die WHO die Pandemie-Gefahr bereits am 25. Januar als „hoch“ eingestuft hat. Und auch frühzeitige Warnungen aus der Hygienebranche, daß Schutzkleidung knapp werden könnte, wurden nicht ernst genommen. Dabei war die Regierung schon seit Jahren über die Gefahr einer Corona-Pandemie informiert! So wurde bereits vor sieben Jahren im „Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2012“ vom 3. Januar 2013 in allen Einzelheiten fast haargenau eben das Seuchen-Szenario geschildert, das wir jetzt erleben! Wie jeder übrigens in einer entsprechenden Bundestagsdrucksache nachlesen kann. Im Fernsehen erfährt man aber fast nichts darüber.

Allerdings gibt es Unmengen potentieller Gefahren – wäre ein Staat, der sich auf alle vorbereitet, nicht schnell pleite?

Suntum: Wir geben Unsummen für weit weniger dringliche Probleme aus, von der Genderforschung bis hin zu oft wirkungslosen, zumindest aber hochgradig ineffizienten „Klimaschutzmaßnahmen“. Die wirklichen Gefahrenherde, sowie grundlegende Infrastruktur, von den Verkehrsnetzen bis zur Energieversorgungssicherheit, werden dagegen vernachlässigt. Das Szenario der Virologen in genannter Risikoanalyse war leider nur mit Risikoklasse „C“ eingestuft – ein Ereignis, das alle hundert bis tausend Jahre eintritt. Doch spätestens als es in China Ende 2019 Realität wurde, hätte man das ändern müssen. Andererseits stimmt auch, daß es das Robert-Koch-Institut war, das zu der Zeit immer noch Entwarnung gab. Doch den ersten Infizierten hierzulande gab es bereits am 28. Januar in Bayern. Und trotzdem wurde noch munter Karneval gefeiert, und Bundesligastadien und Diskotheken waren voll. Hätte die Bundesregierung mal einen Blick in ihre eigenen Risikoanalysen geworfen und entsprechend reagiert, müßten wir jetzt nicht so rabiate Maßnahmen treffen. Und wie kann es sein, daß das Gesundheitssystem eines der reichsten Länder der Welt nicht über genügend Reserven verfügt, um in einer Krise wenigstens die Todkranken angemessen zu versorgen? Jetzt müssen wir zusammenstehen, aber nach dieser Krise sollten meines Erachtens „Köpfe rollen“!

Viele Unternehmer fürchten, die Hilfen werden zu spät kommen, ihre Betriebe zuvor pleite gehen – zu Recht?

Suntum: Ja, denn deren Vergabe erfolgt über die KfW-Bank, die Kreditanstalt für Wiederaufbau, was sehr bürokratisch abläuft. Deshalb hatte ich frühzeitig öffentlich vorgeschlagen, quasi automatische Überziehungskredite in Höhe des Umsatzausfalls bei den Hausbanken zu gewähren, für die der Bund garantiert und deren Zinsen er zahlt. Das wäre für Banken und Unternehmen ungleich attraktiver gewesen und vor allem auch viel schneller gegangen. 

Warum macht die Regierung diesen Fehler? 

Suntum: Das ist der leider typische Mangel an Flexibilität: Vertraute Verfahren werden zur Problemlösung bei-behalten, obwohl sie hierfür zu langwierig sind. Es wird lediglich mehr Kohle rausgehauen – was in der Öffentlichkeit natürlich erst mal Eindruck macht. Ob das Verfahren aber wirklich paßt, wird kaum hinterfragt. Wir werden erleben, daß das Geld in vielen Fällen nicht rechtzeitig ankommt. Denn wo soll die KfW plötzlich das für eine schnelle Bearbeitung der Anträge nötige Personal hernehmen?

Nicht nur deutsche Unternehmen brauchen Hilfe, sondern auch Italien oder Spanien. Sind Corona-Bonds die Lösung?

Suntum: Erstens, Vorsicht: Einige mißbrauchen die Krise, um ihre Steckenpferde zu reiten. Etwa jetzt die Grünen, indem sie ihre bisher verlangten Euro-Bonds zu Corona-Bonds umdeklarieren. Zweitens, es gilt das gleiche wie bei den Euro-Bonds: Keine Vergemeinschaftung von Schulden! Weil wir damit auch die Verantwortung sozialisieren.

Aber ein Absturz Italiens würde auch uns treffen, die wir vom Export leben.

Suntum: Hans-Werner Sinn hat vorgeschlagen, notfalls Italien Geld zu schenken – darüber kann man nachdenken. Aber auf gar keinen Fall einen Schuldensozialisierungs-Mechanismus schaffen. Den würden wir nämlich nach Corona nie wieder loswerden! 

In China ist die Epidemie Mitte November ausgebrochen und geht jetzt zurück – das sind vier Monate. Sie sagen, wir haben maximal drei Zeit. Was, wenn auch wir vier oder sogar mehr brauchen?

Suntum: Drei Monate ist keine exakte Vorhersage, sondern eine Schätzung. Das Ifo-Institut hat sich jedenfalls nicht getraut, die Folgen eines noch längeren Stillstands auszurechnen. Vielleicht könnten wir auch sechs Monate aushalten, wer will das schon genau sagen? Doch aus meiner Sicht wäre es unverantwortlich, es darauf ankommen zu lassen. Darum müssen wir jetzt hart und entschlossen handeln! Um so früher können wir dann auch über einen Exit aus den Maßnahmen nachdenken.  

Wenn Sie so zuversichtlich sind, „mit etwas Optimismus“, die Corona-Rezession in den Griff kriegen zu können, warum haben Sie dann eingangs eine Krise vorausgesagt, deren Folgen die der Finanzkrise von 2008 in den Schatten stellen könnten?

Suntum: Weil dies eine weltweite Krise ist, von der auch die internationalen Handelsströme und damit unsere Exporte stark betroffen sind. Diesem Problem kann man aber nicht wirkungsvoll begegnen, indem man immer mehr Geld druckt, wie viele Politiker und die EZB zu glauben scheinen, die die Corona-Hilfen auf diesem Wege finanzieren wollen. Denn das Resultat ist, daß eine immer größere Geldmenge auf ein wegen der krisenbedingten Produktionsausfälle immer geringeres Angebot an realen Gütern trifft – den Effekt sehen Sie derzeit bei den Gesichtsmasken. Genau das aber kann schnell zu galoppierender Inflation führen, bis hin zu einer Währungsreform. Bislang war der Euro relativ stabil, auch weil die Zinsen so niedrig waren. Denn viele Leute haben das Geld auf dem Konto gehortet, weil Staatspapiere kaum Ertrag bringen. Das kann sich aber schnell ändern, wenn nach der Krise die Nachfrage wieder in Schwung kommt. Angesichts des vielen Geldes, das dann im Umlauf ist, genügt ein kleiner Auslöser, wie etwa ein Anstieg der Benzinpreise, um zu einem Inflations-Tsunami zu führen. Ich rate daher jedem, der Vermögen hat, möglichst aus dem Bargeld herauszugehen – ich selbst tue das bereits! 

Wie könnte man die Hilfen stattdessen finanzieren und die Inflation vermeiden?

Suntum: Wie ich schon sagte, statt KfW-Kredite – also Schulden, sprich die EZB „druckt“ mehr Geld – könnte man die reichliche Liquidität der Banken nutzen. Wäre man meinem erwähnten Vorschlag gefolgt, hätten diese einen starken Anreiz, ihr Geld in Kredite für von der Corona-Krise getroffene Unternehmen zu stecken. Entsprechend geringer könnten dann die zusätzliche Staatsverschuldung und die EZB-Anleihenkäufe ausfallen.

Aber hat Markus Krall dann nicht doch recht – die Corona-Krise als Auftakt zur großen Depression?  

Suntum: Ich hoffe nicht – aber ich kann es leider auch nicht ausschließen.           






Prof. Dr. Ulrich van Suntum, der Emeritus war bis 2019 Institutsdirektor und Inhaber des Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre an der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster, zudem zeitweilig Generalsekretär (nicht Mitglied) des Rats der Wirtschaftsweisen und Botschafter der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Er entwickelte das Wirtschaftsstandort-Ranking der Bertelsmann-Stiftung und publizierte in zahlreichen Medien, wie FAZ, Welt, Focus oder Handelsblatt sowie die Bücher „Die unsichtbare Hand“ und „Masterplan Deutschland“. Geboren wurde er 1954 in Hamm.

Foto: Börsenkurse in Zeiten des Virus: „Die Bundesregierung war laut einer ‘Risikoanalyse’ seit Jahren über die Gefahr einer Corona-Pandemie informiert! Hätte sie reagiert, müßten wir nun nicht so rabiate Maßnahmen treffen ... Wir werden erleben, daß die Hilfen oft nicht rechtzeitig ankommen ... Jedem mit Vermögen rate ich, aus dem Bargeld ‘herauszugehen‘. Ich tue es bereits“  

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