© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 15/20 / 03. April 2020

Ländersache: Bayern
Unter anderen Umständen gewählt
Paul Leonhard

Ob es an der ausschließlich möglichen Briefwahl lag? Knapp 72 Prozent der Wähler stimmten für Dieter Reiter, den alten und neuen Oberbürgermeister von München. Der Sozialdemokrat zeigte sich beeindruckt vom Wahlergebnis: „Es ist in der Dimension und in dem Ausmaß tatsächlich ein ausgesprochen großer Vertrauensbeweis.“ Tatsächlich lag die Wahlbeteiligung mit 50,7 Prozent noch über der des ersten Wahlgangs (gut 49 Prozent), bei dem der 61jährige noch an den erforderlichen 50 Prozent der Wählerstimmen gescheitert war – übrigens als erster amtierender Münchner OB seit 1984.

Wenn auch Reiters christsoziale Herausforderin Kristin Frank (28,3 Prozent) bei den Münchnern keine Chance hatte, eroberte die CSU nicht nur die traditionell rote Gemeinde Haar östlich der Landeshauptstadt, wo ihr Kandidat Andreas Bukowski die amtierende Bürgermeisterin Gabriele Müller von der SPD mit knapper Mehrheit besiegte, sondern – viel entscheidender – auch die SPD-Hochburg Nürnberg. Dort setzte sich Marcus König mit 52,2 Prozent der Stimmen gegen Thorsten Brehm (SPD) als Nachfolger von Ulrich Maly (SPD) durch. In der drittgrößten Stadt Bayerns, Augsburg, gewann Eva Weber (CSU) mit 62,3 Prozent klar gegen Dirk Wurm (SPD). Solche Erfolge veranlaßten Ministerpräsident Markus Söder zum Jubelruf auf Twitter: „CSU kann Großstadt.“

In anderen bayerischen Städten wollten die Wähler dagegen den Wechsel. In Ingolstadt, Hof, Schwabach und Kulmbach fegten Sozialdemokraten die Christsozialen aus der Leitung der Amtstuben, in Bayreuth und Ansbach regieren künftig Oberbürgermeister mit CSU-Parteibuch. Im fränkischen Lichtenberg tritt unterdesssen mit dem 19jährigen Jura-Studenten Kristan von Waldenfels (CSU) Bayerns jüngster Bürgermeister sein Amt an. 

Daß die Wähler im Freistaat wohl auf starke grüne Fraktionen setzen – so wurden die Grünen im Münchner Stadtrat vor CSU und SPD die stärkste Kraft –, nicht aber auf so gefärbte Bürgermeister und Landräte, war schon bei den Wahlen zu den Stadt- und Gemeinderäten vor zwei Wochen deutlich geworden. Hier steigerte die Ökopartei ihren landesweiten Stimmenanteil von rund zehn auf 17 Prozent, was sie zur zweitstärksten Kraft macht. Klar verfehlt wurde das Ziel, die Zahl der Bürgermeister- und Landratsposten zu verdoppeln und mindestens eine Oberbürgermeisterin zu stellen. In Grafing und Lauf an der Pegnitz wurden grüne Stadtchefs abgewählt wie auch der grüne Landrat von Miesbach. Allein in Pullach und im unterfränkischen Miltenberg blieben die Chefsessel grün. 

Wie gewohnt wird nach den Wahlen jeder etwas finden, was er seinen Anhängern als Erfolg verkaufen kann. Doch verlor beispielsweise die im Land regierende CSU mit 34,5 Prozent in der Fläche 5,1 Prozentpunkte gegenüber 2014. Der „Konservative Aufbruch“ begründet das damit, daß die CSU-Führung „seit Anfang 2019 einen grünlinken Schwenk vollzogen und bürgerlich-konservative Themen vernachlässigt“ habe. Die SPD verlor sogar sieben Prozentpunkte, die AfD legte um 4,4 Punkte auf 4,7 Prozent zu, die FDP von 2,4 auf 2,7 Prozent. 

Vor allem aber könnten die Bayern stolz darauf verweisen, der Corona-Epidemie am Sonntag mit einer höheren Wahlbeteiligung getrotzt zu haben.