© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 15/20 / 03. April 2020

Zwischen Gutmensch und Wutbürger
Zerstörte Sprache
Thor Kunkel

Etwas hat sich in Deutschland verändert: Es ist unmöglich geworden, offen über gesellschaftliche Realitäten wie Einwanderung, den Islam oder die Ursachen der Klimakrise zu sprechen. Inoffizielle Sprechverbote haben zu einer landesweiten Meinungsuniformierung geführt. Eine grundsätzliche Unversöhnlichkeit verhindert seitdem jeden Diskurs. Das Land ist in zwei segmentierte Teilöffentlichkeiten gespalten, die sich am Gebrauch der politisch korrekten Sprache entzweien: Da gibt es zum einen jene, die als „Gutmenschen“ verhöhnt werden und für ein grün-linkes Sendungsbewußtsein stehen, und dann die „Wutbürger“, die es nicht hinnehmen wollen, daß indigene Deutsche auf ihrem eigenen Territorium keine Definitionshoheit genießen und einfach nur die Rolle des braven, politischen Konsumenten ausfüllen sollen. Diese Gruppe sieht sich seit den Landtagswahlen 2019 in die „Nazi-Ecke“ gestellt. Wer dazu gezählt wird, wird zum Vogelfreien erklärt, seine soziale und wirtschaftliche Existenz bis in die Grundfesten demontiert, zumeist aufgrund von fälschlichen, überspitzten Beschuldigungen, die von den Medien verbreitet werden. Das Gift des Mediumismus wirkt langsam, aber es wirkt, denn wer einmal am Internetpranger steht, steht dort für alle Zeit.

Nicht weniger als 78 Prozent aller Deutschen sind sich dieser Gefahr, einer Allensbach-Studie von 2019 zufolge, inzwischen bewußt und vermeiden es, sich zu bestimmten Themen „frei zu äußern“ – ein Zustand, der für die Honecker-DDR typisch gewesen sein mag, doch für ein Deutschland des 21. Jahrhunderts ist das eine Horrorvorstellung. Es sei hier an die DDR-Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley erinnert, die schon kurz nach der Wende vor einer Rückkehr der Stasi-Methoden warnte: „Man wird Einrichtungen schaffen, die viel effektiver arbeiten, viel feiner als die Stasi. Auch das ständige Lügen wird wiederkommen, die Desinformation, der Nebel, in dem alles seine Kontur verliert.“

Tatsächlich sind die Methoden feiner geworden. Und effektiver. Faktisch richtige Aussagen zu Gewaltverbrechen oder zur Einwanderungspolitik lösen bei vielen Deutschen physisches Unwohlsein aus, etwa vergleichbar mit dem Protagonisten aus dem Film Clockwork Orange, der nach seiner Ludovico-Therapie im Angesicht von Gewalt nur noch Brechreiz empfindet. Auch der Autor dieser Abhandlung hätte es sich in den 1990er Jahren niemals vorstellen können, daß er einmal genötigt sein würde, „maskierte“ Literatur zu schreiben, um über seine Lebensverhältnisse im Deutschland des frühen 21. Jahrhunderts Auskunft zu geben. Die Zustände erinnern inzwischen an George Orwells Roman „1984“, was allerdings nur Menschen bemerken, die eine vom Mainstream abweichende Meinung offen vertreten. Geleakte interne Sprachregelungen der Haltungsmedien korrespondieren inzwischen 1:1 mit der von Frank-Walter Steinmeier geforderten „Disziplinierung der Sprache“. 

Grünlinke, humansozialistische Funktionäre gehen auf allen Ebenen mit gutem Beispiel voran, zum Beispiel, wenn der Rektor eines Gymnasiums in einem Elternbrief schreibt, „Miniröcke (von Schülerinnen) könnten zu Mißverständnissen (mit Flüchtlingen) führen“, oder eine Oberbürgermeisterin zu den Geschehnissen in der Kölner Silvesternacht anmahnt, daß es für Frauen besser sei, „von sich aus … keine große Nähe (zu) suchen zu Menschen, die einem fremd sind … und eine Armlänge Abstand zu halten …“ – als ob sich zuerst die geschädigten Frauen an die Täter herangemacht hätten.

Noch gravierender ist die systematisch betriebene, pathologische Psychologisierung von Idiomen und Wortfeldern, die zu schwerwiegenden kognitiven Störungen führt. Denn Sprache – jede Sprache – ist und bleibt Medium des Denkens und der Grundlage von Weltverständnis schlechthin. Wer seine Sprache mutwillig zerstört, ihre Verarmung und Trivialisierung begrüßt, dessen geistiger Horizont sinkt unweigerlich. Die Bandbreite seiner Gedanken wird schmäler, aus einem wachen Bewußtsein wird ein indoktriniertes, das die Parolen der politisch korrekten „Oberschicht“ (wie Tübingens OB Boris Palmer die Gestalter der Elitendemokratie nennt) mit eigenen Gedanken verwechselt.

Die von den staatstragenden Medien vorangetriebene Infantilisierung der deutschen Sprache (einst eine der präzisesten Sprachen der Welt) hat inzwischen groteske Ausmaße erreicht. Ein Blick in die deutschen Gazetten zeigt: Sie quellen über von Worthülsen, Täuschwörtern (im Sinne von Begriffsumdeutungen), halbwahren Floskeln, Meliorationen, wohlfeilen Mustersätzen, linguistischen Simplifizierungen, Kampfbegriffen und ewig gleichen, „linkspädagogischen“ Argumentationsmustern, die das Denken der Menschen „normieren“, ja ausschalten sollen. Dies läßt sich am besten noch als sprachliche Normopathie oder zwanghafte Konformität bezeichnen, die zu einem allgemein spürbaren Gesinnungsdruck führt. Aus der Pflicht zu neutraler Berichterstattung haben die Manipulatoren ein Bett des Prokrustes gemacht; was an Wirklichkeit übersteht, wird abgehackt; was nicht ins ideologisch geeichte Maß passen will, gereckt, gestreckt – oder auch mal gehenkt. Schlimmer noch, wenn sie – in strafender Manier – mit ihren Schlagwortwolken und Holzhammerbegriffen (rassistisch, sexistisch, islamophob, faschistisch etc.) jeden Diskurs sofort abwürgen und den Gegner diskreditieren. Neuerdings auch dabei: der forcierte Einsatz von Pejorativen. Man bedenke etwa nur, wie negativ „alter, weißer Mann“ klingt. Man schämt sich fast, zu diesen Aussätzigen der Menschheit zu zählen. 

Man muß kein Linguist sein, um in diesem Gesinnungsdiktat, das erwachsenen Menschen verbieten will, so zu sprechen, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist, eine Verblödungsmaschinerie zu erkennen. Daß diese noch immer ausgebaut werden kann, davon zeugt leider auch die unseriöse Berufsauffassung der heutigen Journalisten, die sich als politische Aktivisten betätigen. Sie kennen dann nur noch Hype oder gezielte Verdrängung. Zwischentöne, Analysen – Fehlanzeige. Sie sind es auch, die die ethnischen Benachteiligungen gegen die Biodeutschen formulieren und dafür sorgen, daß freien Autoren soziale Ächtung oder das berufliche Aus widerfährt. (...)





Alternativlos

Alternative Lösungen sind so überzeugend, daß ihre Existenz bestritten wird.

„Merkel macht also weiter. Sie weiß, daß es derzeit keine Alternative zu ihr gibt. Sie, die im Zuge der Griechenlandrettung das Wort ’alternativlos‘ 2010 zum Unwort des Jahres befördert hat. Unentbehrlich scheint sie geworden zu sein, um den Zusammenhalt Europas zu gewährleisten.“

ARD-Hauptstadtstudio, 20. November 2016





Bunter Protest (siehe Bild)

Bürgerkriegsähnliche Attacken von einheitlich schwarz gekleideten Steinewerfern. 

„Mehrere tausend Menschen haben am Samstag mit bunten Protestzügen zumeist friedlich gegen einen Neonazi-Aufmarsch in ihrer Stadt demonstriert. […] Zu schaffen machten den Beamten aber rund 700 gewaltbereite Demonstranten aus dem linksautonomen Spektrum, die sich mit der Polizei ein Katz-und-Maus-Spiel lieferten. Sie versuchten Absperrungen zu durchbrechen, blockierten die B3, warfen Flaschen und Böller. Die Polizei setzte Pfefferspray und Schlagstöcke ein. Es gab den Beamten zufolge vier leicht verletzte Polizisten und auch einige verletzte Demonstranten.“

Schwäbisches Tagblatt, 3. Juni 2017





Demokratieabgabe 

Zwangsgebühr für Staatsmedien. 

„Der Rundfunkbeitrag paßt gut in dieses Land. Er ist genaugenommen eine ‘Demokratie-Abgabe‘. Ein Beitrag für die Funktionsfähigkeit unseres Staatswesens und unserer Gesellschaft. […] Der öffentlich-rechtliche Rundfunk sichert das Funktionieren unserer Demokratie.“ 

ARD, 27. Dezember 2012





Einwanderungsland

Aussterbende Gesellschaft. 

„Deutschland hat allen Grund, sich auf eine Zukunft als Einwanderungsland zu freuen. Denn die Integration gelingt immer besser, macht die Gesellschaft jünger, dynamischer und zukunftsfest.“

Welt, 30. Januar 2016





Fachkraft (dringend benötigte)

Person, die lesen oder schreiben kann. 

„Von dem geplanten Kurs erhofft sich Grzemba einen ‘Win-Win-Effekt‘: Zum einen könnten dringend benötigte Fachkräfte für die Altenpflege gewonnen und zum anderen den geflüchteten Menschen eine Perspektive zur beruflichen und gesellschaftlichen Integration eröffnet werden.“

Mannheimer Morgen, 4. Juli 2017





Geflüchtete

Moderner Begriff für geschlechtslose „Flüchtlinge“. 

„Interessant ist, daß ’Flüchtlinge‘ sich bei genauerem Hinsehen als politisch inkorrekt erweist. Es handelt sich um eine Personenbezeichnung im Maskulinum, die von der Bedeutung her eigentlich einem Femininum zugänglich sein sollte – […] ‘Geflüchtete‘ hingegen ist dem ‘Gendern‘ zugänglich.“

Berliner Zeitung, 17. Dezember 2015





Interkulturelles Lernen

Unreflektiertes und unterwürfiges Übernehmen fremder

Bräuche und Sitten. 

„‘Interkulturelles Lernen macht Spaß.‘ Die Globalisierung ist auch im Kindergarten angekommen. Eine bessere Investition in die Zukunft gibt es nicht.“

Mittelbayerische Zeitung, 4. Dezember 2016





Kolonialismus

Temporäre Unterbrechung der afrikanischen Hochkultur durch europäische Barbaren.

„Merkel sagt das deutlich: ‘Wir haben durch Kolonialismus sehr dazu beigetragen, daß manches in Afrika heute schwer möglich ist. Schauen Sie sich mal die Grenzziehung an. Die sind nach Rohstoffvorkommen und nicht nach dem Zusammenleben von Stämmen und Völkern gemacht worden.‘“

ARD-Hauptstadtstudio, 9. Oktober 2016





Minderheiten (siehe Bild)

Alle Personengruppen mit Ausnahme weißer Männer. 

„‘Warum der Schutz von Minderheiten so wichtig ist‘. Aufgrund ihres hohen Lebensalters (9,9 Prozent), ihres Geschlechts (9,2), ihrer Religionszugehörigkeit oder Weltanschauung (8,8), ihrer ethnischen Herkunft (8,4), ihrer Behinderung (7,9), einem zu geringen Einkommen (7,1), eines zu jungen Alters (5,8), einer zu niedrigen Bildung (5,0) oder wegen ihres äußerlichen Erscheinungsbildes (4,2) fühlten sich … Menschen diskriminiert.“

Neue Osnabrücker Zeitung, 14. Juli 2017





Nazi

Begriff im Wandel: Früher: Mitglied der NSDAP und Anhänger der Ideologie Adolf Hitlers. Heute: Menschen, die nicht dem linken Mainstream anhängen.

„Sind alle AfD-Mitglieder wirklich Nazis?“

FAZ, 10. Juni 2017





Nullzinspolitik

Enteignung von Sparern. 

„Nullzins in Europa – Die Legende vom armen deutschen Sparer […] Keine Zinsen – und jetzt auch noch Inflation! Der deutsche Sparer wird zur bedrohten Spezies. Ein Glück, daß es nur eine Minderheit trifft.“

Spiegel, 3. Februar 2017






Offenheit

Unterwürfigkeit.

„Auf ein solches Gebäude nun ein Kreuz zu setzen wäre völlig anachronistisch. […] Neuköllns Ex-Bürgermeister Buschkowsky sagt: ‘Menschenbild und Kreuz sind untrennbar.‘ Wer sich so äußert angesichts heutiger gesellschaftlicher Dialoge über Offenheit, Akzeptanz, Einwanderung und Vielfalt, der offenbart ein Menschenbild, das mächtig eindimensional ist. Und geschichtslos.“

Berliner Morgenpost, 4. Juni 2017





Pluralistische Gesellschaft

Gesellschaft mit immer weniger Biodeutschen.

„Und eine moderne pluralistische Gesellschaft geht auch Konflikten nicht aus dem Weg. ‘Jeder friedlich ausgetragene Konflikt stärkt den Zusammenhalt.‘ Treibel-Illian stellt die Frage, wie lange die ‘neuen Deutschen‘ mit Migrationshintergrund diesen Hintergrund denn behalten müßten? Ab wann sie zu den ‘alten Deutschen‘ gerechnet werden dürften.“

swp.de, 30. Januar 2018





Täter unbekannt

Täter bekannt, die Information würde die Bevölkerung jedoch unnötig verunsichern.

„Ein 22jähriger Mann ist in der Nacht zum Sonntag in Köthen von mehreren unbekannten Tätern mit Schlägen, Tritten und einem Messer angegriffen worden.“

Mitteldeutsche Zeitung, 2. Oktober 2017






Thor Kunkel, Jahrgang 1963, lebt als Schriftsteller in Berlin. 2004 erschien sein vieldiskutierter Roman „Endstufe“, zuletzt veröffentlichte er 2016 „Mir blüht ein stiller Garten“. 2017 beriet er die AfD im Wahlkampf.

Thor Kunkel: Das Wörterbuch der Lügenpresse, Deutsch – Lügenpresse, Lügenpresse – Deutsch, Kopp Verlag, Rottenburg an der Neckar, 2020, gebunden, 383 Seiten, 22,99 Euro