© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 15/20 / 03. April 2020

Rote Armee an der Spree
Militärgeschichte einer Besatzungsmacht: Berlin als sowjetische Garnisonsstadt von 1945 bis 1994
Jürgen W. Schmidt

Der NVA-Oberstleutnant a. D. Hans-Albert Hoffmann absolvierte einst die Frunse-Militärakademie in Moskau, beherrscht folglich die russische Sprache und pflegt alte Bekanntschaften zu ehemaligen sowjetischen Militärangehörigen. Nach jahrelanger Auswertung der sowjetischen oder russischen Literatur sowie der vielen im Internet zugänglichen Erinnerungen ehemaliger sowjetischer Militärs hat er eine sehr detaillierte Darstellung von Berlin als Garnisonsstadt sowjetischer Militär- und Geheimdiensteinheiten verfaßt.

Seine Geschichte Berlins als sowjetischer Garnisonsstadt beginnt in den letzten Kriegstagen 1945 und endet mit dem Abzug der letzten russischen Soldaten im September 1994. Dabei spricht Hoffmann angesichts der Kriegsereignisse 1945 nüchtern die Erkenntnis aus, daß zu den sowjetischen Plünderungs- und Vergewaltigungsorgien zu Kriegsende in Berlin anders als oft behauptet weniger Rachegefühle als vielmehr „Abstumpfung und Verrohung der Soldaten durch die Brutalität des Krieges“ sowie „die oft rücksichtslose Behandlung der Sowjetsoldaten durch die eigene Führung“ beitrugen.

Besetzung West-Berlins als „sowjetische Angelegenheit“ 

Während die Lage der einzelnen Kasernements in Berlin und die Geschichte der jeweiligen Einheiten und Truppenteile nur militärhistorische Spezialisten interessieren dürfte, befinden sich im Buch zugleich viele allgemeinhistorisch  wichtige, auch personelle Informationen über die „Sowjetische Militäradministration in Deutschland“ (SMAD), den „Hohen Kommissar der UDSSR in Deutschland“, die Chefs der Garnison und Stadtkommandanten des sowjetischen Sektors von Berlin und die „Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland“ (GSSD). Hier bezieht sich Hoffmann nicht nur einseitig auf die Stadt Berlin, sondern erwähnt auch sowjetische Einrichtungen im Umland von Berlin. Ebenso finden in seinem Buch die Einrichtungen der verschiedenen sowjetischen Geheimdienste in Berlin vom NKWD über den KGB bis hin zum militärischen Geheimdienst GRU (hier vor allem funkelektronische Aufklärungseinheiten und Speznastruppen) Erwähnung. Passend dazu liefert Peter Erler im Buch Exkurse zu „Gefängnissen der sowjetischen Geheimpolizei in Berlin“.

Die Rolle der sowjetischen Truppen bezüglich spezieller Brennpunkte deutscher Geschichte in Berlin (Blockade von West-Berlin 1948, 17. Juni 1953, 13. August 1961) wird gleichfalls beleuchtet. Am 13. August 1961 standen in Analogie zur NVA auch die sowjetischen Truppenteile in und um Berlin in Alarmbereitschaft und kurz darauf wurden in der Kommandostabsübung „Burja“ des Warschauer Pakts Optionen für den Fall eines alliierten bewaffneten Durchbruchs nach West-Berlin durchgespielt. Beachtung verdient der Hinweis von Hoffmann, daß bis in die siebziger Jahre hinein im Falle eines Krieges die Besetzung von West-Berlin eine „rein sowjetische Angelegenheit“ gewesen wäre. Erst danach bekam die NVA und ganz allgemein die DDR hier gewisse Kompetenzen zugesprochen.

Gleichermaßen behandelt Hoffmann unaufgeregt und faktenreich gewisse weiße Flecken in der sowjetischen Militärgeschichte von Berlin. Dies betrifft etwa den Tod des ersten sowjetischen Stadtkommandanten von Berlin General Nikolai Bersarin, der auf einer schweren Beute-Zündapp-Beiwagenmaschine am 16. Juni 1945 die Kontrolle verlor und in eine sowjetische Militärkolonne raste oder aber den heftigen Luftzwischenfall vom 5. April 1948, als ein sowjetischer Jäger eine britische Transportmaschine im Anflug auf Berlin-Gatow rammte. Es kamen beidseitig insgesamt 16 Menschen ums Leben, und die eingesetzte sowjetisch-britische Untersuchungskommission einigte sich schließlich auf die Formulierung „tragischer Unfall“.

Zusammenarbeit bei Kriegsverbrechergefängnis

Kompetent fallen gleichfalls die Abschnitte über die sowjetische Kontrolle der alliierten Luft- und Bodenverbindungen nach Berlin und die Zusammenarbeit mit den Alliierten bei der Bewachung des letzten Kriegsverbrechergefängnisses in Berlin-Spandau aus.

Das faktenreiche Buch beschließen eine Übersicht über Erbauung, Geschichte und den heutigen Zustand sowjetischer militärhistorischer Erinnerungsstätten in Berlin sowie ein kurzer Dokumentenanhang, welcher Auskunft über die juristischen Grundlagen sowjetischer und alliierter Militärpräsenz in Berlin gibt. 

Hans-Albert Hoffmann: Berlin. Sowjetische Garnisonsstadt 1945–1994. Geschichte, Standorte, Hintergründe. Verlag Dr. Köster, Berlin 2019, gebunden, 339 Seiten, Abbildungen , 19,95 Euro