© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 15/20 / 03. April 2020

Die Hoffnung nicht aufgeben
Weltweit forschen Unternehmen an Medikamenten und Impfungen gegen das Coronavirus
Jörg Schierholz

Nun ist das Kind in den Brunnen gefallen. Die Zahlen der Corona-Erkrankten steigen weltweit rasant an. Nach Wochen fahrlässiger Verharmlosung in Deutschland werden Maßnahmen verabschiedet, die vor wenigen Tagen noch undenkbar waren – sie sind allerdings bitter notwendig. Doch Seuchen und Epidemien sind so alt wie die Menschheitsgeschichte.

Die bislang gefährlichste Pandemie neuerer Zeit war die Spanische Grippe, die zwischen 1918 und 1920 laut Bulletin of the History of Medicine bis zu 50 Millionen Menschen umbrachte und ganze Landstriche entvölkerte (JF 15/18). Neue Virus-Pandemien folgten 1957/58 mit der asiatischen, 1968/69 mit der Hongkong- und 1976/77 mit der russischen Grippe – mit jeweils geschätzt einer Million Toten weltweit. Die „normalen“ Grippewellen fordern in Deutschland jährlich zwischen 10.000 und 20.000 Opfer.

Quarantäne, Isolierung und Kontrolle sind altbewährte Maßnahmen; je früher und konsequenter sie realisiert werden, um so wirkungsvoller sind sie, wie einige asiatische Staaten bei der Corona-Krise zeigen. Zur Eindämmung von Massenerkrankungen hat sich die saisonale Grippeimpfung bewährt, die jährlich erneuert werden muß, da immer wieder neue Virusvarianten auftauchen, gegen die die vorherige Impfung nicht mehr wirkt. Mit Tamiflu gibt es unter anderem eine antivirale Substanz, die den Krankheitsverlauf verkürzen kann.

Hoffnungsträger 1934 in Deutschland entwickelt

Für die globale Covid-19-Pandemie gibt es bisher weder einen Impfstoff noch ein zugelassenes Arzneimittel. Patienten mit schweren Krankheitsverläufen können nur intensivmedizinisch in ihrer Genesung unterstützt werden. Sind zu wenig Beatmungsplätze vorhanden, haben stark betroffene Patienten kaum eine Überlebenschance, was das durch Sparpolitik strukturell beeinträchtigte Gesundheitssystem Italiens gerade bedrückend demonstriert.

Überall auf der Welt werden antivirale Medikamente, die ursprünglich gegen HIV, Ebola, Hepatitis C, Grippe oder die von anderen Coronaviren hervorgerufenen Krankheiten wie Sars oder Mers entwickelt wurden, von etlichen Pharmafirmen klinisch getestet, ob diese auch bei Covid-19 einsetzbar seien. Ein großer Hoffnungsträger ist ein 1934 bei der I.G. Farben entwickelter Arzneimittel-Veteran: Hydroxychloroquin wird seit 1944 gegen Malaria eingesetzt. Das Sumpffieber wird zwar durch einen Parasiten verursacht, nachgewiesen ist allerdings: das Medikament hilft gegen Sars.

Bei einer ersten klinischen Studie in Marseille ging bei 24 Patienten nach sechs Tagen das Covid-19-Virus meist komplett zurück. Ein zusätzlich gegebenes Antibiotikum namens Azithromycin verbesserte das Resultat. Ähnliche Fallserien werden aus China, Japan und Südkorea berichtet. Beide Arzneimittel wirken zudem gegen Entzündungen. Dies ist eine wichtige therapeutische Eigenschaft, da bei der häufigsten Todesursache nach einer Coronainfektion – einer schweren Lungenentzündung – die überschießende körpereigene Entzündungsreaktion zum Tode führen kann.

Viele Krankenhäuser in Asien, Frankreich und den USA wenden diese Substanzen außerhalb der Zulassung (Off Label) schon an. US-Präsident Donald Trump wies kürzlich die Food and Drug Administration (FDA) an, diese beiden Arzneimittel beschleunigt für eine Zulassung zu prüfen. Polen läßt Chloroquin im eigenen Land herstellen und stellt die Substanz den Ärzten zur Verfügung. Der polnische Gesundheitsminister ?ukasz Szumowski ist Kardiologe und leitet frühzeitig wichtige Maßnahmen ein. Zudem ist der Patentschutz der Altsubstanz abgelaufen.

Der Pharmagigant Gilead gilt als Marktführer bei HIV-Medikamenten und weiterer Viruserkrankungen wie Hepatitis C. Die Hoffnung der Amerikaner ruht auf Remdesivir, einer Substanz, die gegen Ebola zum Einsatz kam, aber dort nur mäßig wirksam war. Im Labor zeigt der Wirkstoff gegen die Coronaviren Aktivität und wurde schon in Einzelfällen, etwa bei Passagieren des britischen Kreuzfahrtschiffs „Diamond Princess“ angewendet. Etliche klinische Studien laufen, in den nächsten Monaten gibt es Zwischenergebnisse, die aufzeigen, ob Remdesevir ein Hoffnungsträger gegen diese Seuche werden kann.

Ein weiterer erfolgversprechender Kandidat ist Favipiravir (Avigan), ein Grippemedikament von Fujifilm Toyama Chemical, welches in Japan seit 2014 auf dem Markt ist. Avigan wurde 340 Covid-19-Patienten verabreicht, und nach vier Tagen konnte angeblich kein Virus mehr nachgewiesen werden. Röntgenaufnahmen der Lunge zeigten bei 91 Prozent der Probanden Verbesserungen. Avigan ist aber eher bei Patienten mit leichterer bis mittlerer Symptomatik effektiv. Auch hier werden weitere Studienergebnisse erwartet, da die Datenlage für eine endgültige Therapie-Empfehlung nicht aussreicht. Antirheumatika und Mittel gegen Lungenfibrose werden ebenso als unterstützende Begleitmedikationen schwerer Covid-19-Verläufe klinisch von etlichen Pharmaunternehmen geprüft.

Künftige Impfstoffe basieren auf mRNA-Technologie

Neue Impfstoffe, die schon in ein paar Monaten zur Verfügung stehen und das Virus stoppen, dürfte es kaum geben, da die klinischen Prüfungen aufwendiger und länger andauernd sind als bei therapeutischen Arzneimitteln. Wurden vor 30 Jahren nur 600 Probanden für eine Zulassungsstudie benötigt, sind es jetzt manchmal über 50.000. Gegen Covid-19 sind weltweit mindestens 47 Impfstoffprojekte angelaufen.

Die Tübinger Curevac AG entwickelte einen erfolgreichen Impfstoff gegen Tollwut, basierend auf einem mRNA-Boten-Molekül, das die Impf-Informationen direkt zu den Immunzellen transportiert. Diese Technologie soll nun gegen das Corona Virus zum Einsatz kommen. Die von SAP-Gründer Dietmar Hopp geförderte Biotech-Firma wurde kürzlich durch die angebliche Trump-Intervention bezüglich eines exklusiven Technologietransfers von Deutschland in die USA bekannt (JF 13/19). Curevac ist zuversichtlich, noch im Frühsommer über einen Impfstoff-Kandidaten zu verfügen, mit dem klinische Versuche gestartet werden. Erste Ergebnisse werden frühestens im Herbst erwartet.

Die Mainzer BioNTech ist auch im Rennen um den Impfstoff und unterzeichnete mit dem US-Pharmariesen Pfizer eine Absichtserklärung, gemeinsam eine Impfung gegen das Covid-19-Virus zu entwickeln. Auch der BioNTech-Versuchskandidat aus Mainz mit dem Namen BNT162 basiert auf der mRNA-Technik. Klinische Tests sollen Ende April starten. Mit Macht und viel Geld sind die Biotech- und Pharmaunternehmen, zum Teil in Zusammenarbeit mit großen staatlichen Forschunginstitutionen dabei, therapeutische Optionen gegen die Corona-Pandemie zu entwickeln. Kurzfristig könnten einige der oben genannten alten Arzneimittel hilfreich sein, mittelfristig wird in diesem Jahr noch kein effektives Therapeutikum oder auch eine Impfung verfügbar sein.

Daß jetzt mit Hochdruck geforscht wird, ist richtig, sollte aber nicht vergessen lassen, daß die Bundesregierung die eigene Drucksache 17/12051 vom 3. Januar 2013 nicht berücksichtigt hat. In dem „Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2012“ wird auf die dramatischen Folgen einer Pandemie – am Beispiel einer „von Asien ausgehenden, weltweiten Verbreitung eines hypothetischen neuen Virus“ – umfassend hingewiesen: Die Ausbreitung wird durch den Einsatz anti­epidemischer Maßnahmen verlangsamt und begrenzt“. Doch Schulschließungen oder die Absage von Großveranstaltungen erfolgten zu spät. Nun können die Ärzte im Zweifel nur noch versuchen, vorhandenen Medikamente mit Zulassung für andere Krankheiten einzusetzen, um den Verlauf der Krankheit bei Betroffenen zu mildern – wenn Schutzausrüstung vorhanden ist.

Verband Forschender Arzneimittelhersteller:  

www.vfa.de

 fftc.fujifilm.co.jp

 www.curevac.com