© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 16/20 / 10. April 2020

Eins bleibt eins ...
... wie es ringt und kracht: Nach heftigem Gegenwind in der AfD rudert Parteichef Jörg Meuthen zurück
Christian Vollradt

Am späten Montagvormittag hat „Rom gesprochen“ und den Fall für beendet erklärt. Der Bundesvorstand der Alternative für Deutschland teilte als einstimmigen Beschluß mit, daß der Vorsitzende Jörg Meuthen einräumte, „mit seinem Interview in Tichys Einblick einen großen Fehler begangen zu haben“ und versicherte, „die Diskussion nicht weiterzuführen“. Er bekenne sich zur Geschlossenheit der AfD als einheitlicher Partei und bekräftige, „ausschließlich in diesem Sinne gemeinsam vorzugehen“. Der Bundesvorstand habe „diese Klarstellung begrüßt, bejaht die Einheit der Partei und spricht sich gegen jegliche Bestrebung aus, diese zu gefährden“.

Nach rund dreistündiger Telefonkonferenz war dies der Schlußpunkt unter eine innerparteiliche Debatte, die in der zweiten Hälfte der vergangenen Woche die Wogen innerhalb der AfD hochschlagen ließ. Im Gespräch mit dem Internetportal Tichys Einblick hatte Meuthen mit seinem „Denkanstoß“ zu einer einvernehmlichen Trennung des „freiheitlich-konservativen“ Lagers und der „sozialpatriotischen“ Strömung für erhebliche Verwunderung und Unruhe in der Partei gesorgt.  

„Wenig zielführend und extrem unpolitisch“

Von „naiv“ bis „dilettantisch“ reichten die noch harmloseren Kommentare. Allgemein war das Erstaunen, wie der Parteichef offenbar ohne jegliche vorherige Absprache mit solch einer These an die Öffentlichkeit gehen konnte. Jeder wisse, so hatte Meuthen gesagt, „daß der Flügel und dessen maßgebliche Exponenten uns ganz massiv Wählerstimmen im bürgerlichen Lager kosten, und ich denke auch, daß die ordoliberalen Ansichten des bürgerlich-konservativen Teils der AfD noch bessere Ergebnisse im staatspaternalistisch geprägten Wählermilieu des Flügels verhindern“. Daraus folgerte der Parteichef, an „eine AfD ohne Flügel würde die Union scharenweise sich als konservativ verstehende Wähler verlieren“, während im Gegenzug Björn Höcke mit seinem „Sozialpatriotismus“ und „einem selbständigen Flügel Bodo Ramelow womöglich noch weit mehr in Bedrängnis bringen“ könnte. Zwar seien „Lucke, Petry, Poggenburg, alle mit dem Versuch einer Ausgründung komplett gescheitert“, die „heutigen Protagonisten sind doch ganz andere Kaliber“, meinte Meuthen mit Blick auf seine Parteikollegen Höcke und Andreas Kalbitz.

Der direkt angesprochene Flügel-Protagonist Höcke reagierte allerdings wenig angetan auf den Vorschlag und die – vermeintlichen – Lorbeeren. „Töricht und verantwortungslos“ nannte er Meuthens Vorstoß. In einem Interview mit dem Blog „PI-News“ drohte er indirekt: „Ich bin mir sicher, daß diese Partei jeden verabschieden wird, der weiter versuchen wird, unsere AfD als letzte wirkliche Möglichkeit, dieses Land vom Kopf auf die Füße zu stellen, zu verzwergen.“ Der Partei-Ehrenvorsitzende und Bundestagsfraktionschef Alexnader Gauland kommentierte: „Die Überlegungen von Jörg Meuthen sind wenig zielführend und extrem unpolitisch. Das militärische ‘getrennt marschieren, vereint schlagen’ setzt eine einheitliche Führung voraus, die Meuthen gerade beseitigen will.“ 

Meuthens Kollege an der Parteispitze, Tino Chrupalla, wurde noch deutlicher – und auch persönlich: „Wer eine Diskussion über die Zukunft der Partei anstoßen will, der tut dies erstens in den zuständigen Gremien und zweitens ergebnisoffen“, schrieb der AfD-Co-Vorsitzende. „Wir haben die Debatte über die Zukunft der AfD mit dem Vorstands-Beschluß zur Auflösung des Flügels eingeleitet.“ Dabei habe die Einheit der Partei nie zur Debatte gestanden. „Insofern bin ich, wie viele andere in der Partei, von Jörg Meuthens Vorstoß einigermaßen überrascht – und menschlich enttäuscht.“

Sogar führende AfD-Politiker, die sich auf einer Wellenlänge mit Meuthen betrachten, zeigten sich ratlos. Ohne Absprache, ohne erkannbare Strategie sei der Vorsitzende da vorgesprescht. Und habe mit dem Ball, der auf dem Elfmeterpunkt des innerparteilichen Gegners lag, ein Eigentor geschossen. Denn seit der jüngsten Präsenzsitzung des Bundesvorstands sei doch der häufig als so mächtig beschriebene Flügel erheblich in die Defensive geraten. Noch immer sieht sich beispielsweise Vorstandsmitglied Andreas Kalbitz mit Rücktrittsforderungen konfrontiert. So heißt es etwa in einem in Parteikreisen kursierenden Schreiben des hessischen Landesvorstands an den Bundesvorstand, man sei „heute an einem Punkt angekommen, der für die weitere Entwicklung der AfD existentiell ist. Die Gefahren, angefangen von Spaltung über das Abrutschen in die Bedeutungslosigkeit bis hin zur Auflösung der Partei“ zeichneten sich ab. Unter anderem, wenn man „dabei billigend in Kauf nimmt, daß Mitglieder mit nachrichtendienstlichen Mitteln des Verfassungsschutzes belastet werden“, wofür die Führung des Flügels verantwortlich sei.  

Nun aber stand vergangene Woche  Meuthen durch seinen Alleingang isoliert da. Erste – mehrheitlich anonyme – Stimmen im Internet forderten bereits seinen Rücktritt. In der AfD-Gerüchteküche kursierten Begriffe wie Ultimatum oder Mißtrauensvotum. Manch einer bezweifelte, der Parteichef könne seinen Vorstoß politisch überleben …

Noch am Tag vor der Telefonkonferenz des Bundesvorstands hatte die stellvertretende Vorsitzende Alice Weidel darum gebeten, ein weiteres Thema auf die Tagesordnung zu setzen. Hintergrund war eine Äußerung Meuthens in einem vorvergangene Woche bei JF-TV veröffentlichten Interview. Darin hatte er unter anderem geäußert, es habe im „Flügel“ einige wenige Personen gegeben, die „in Teilen“ nicht auf dem Fundament des Grundgesetzes stünden. Mit dieser Aussage, so Weidel, habe Meuthen der Partei im juristischen Verfahren gegen den Verfassungsschutz jegliche Möglichkeit genommen, diesen Punkt noch erfolgreich bestreiten zu können. Zudem suggeriere die Aussage, das Vorgehen gegen die AfD sei zumindest in Teilen berechtigt. Sie könne nicht erkennen, welchen anderen Zwecken diese öffentlich gemachte Einschätzung dienen solle, moniert die Vize-Chefin. Damit müsse sie Meuthens Worte als ausschließlich belastend für die Partei und für deren Rechtsverteidigung einstufen. 

Fast genauso hatte bereits unmittelbar nach Erscheinen des Videos der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD im Thüringer Landtag, Torben Braga, argumentiert und sich gegen eine Verbreitung des Videos auf den Kanälen der Partei ausgesprochen. Wobei er Meuthens Äußerung noch etwas milder als „ausgesprochen fahrlässig“ bewertet hatte. Der Sprecher der AfD-Bundespartei hatte die Passage dagegen als unbedenklich eingestuft, da Meuthen kein Geheimnis offenbart, sondern nur hinlänglich bekannte Problemfälle wie etwa die inzwischen ausgeschlossene einstige schleswig-holsteinische Landesvorsitzende Doris von Sayn-Wittgenstein gemeint habe.

Am Ende der dreistündigen Diskussion einigte sich am Montag der Bundesvorstand jedoch auf die eingangs zitierte Abschlußerklärung, in der Meuthen seinen „großen Fehler“ einräumte. Schärfere Formulierungen hätten ihn ohne Zweifel noch stärker beschädigen können. Dafür gab es keine Mehrheit.

„Wir sollten einen Gang  herunterschalten“

Unterdessen hatte am Wochenende der Vorsitzende der AfD-Fraktion im rheinland-pfälzischen Landtag, Uwe Junge, das Ende seiner politischen Karriere bekanntgegeben. Nach „sieben langen und wechselvollen Jahren“ habe er sich auch aus gesundheitlichen Gründen entschieden, nach Ablauf der Legislaturperiode 2021 in den Ruhestand zu gehen. Junge ist seit dem Gründungsjahr der AfD 2013 Mitglied der Partei. Von 2015 bis November 2019 war er Vorsitzender des rheinland-pfälzischen Landesverbands. Seinen Rücktritt von diesem Amt hatte er damit begründet, sich ganz auf einen angestrebten Posten im AfD-Bundesvorstand konzentrieren zu wollen. Beim Parteitag in Braunschweig Ende November unterlag er jedoch bei der Wahl zum Zweiten Stellvertretenden Vorsitzenden. Junge trat stets als prononcierter innerparteilicher Kritiker des „Flügels“ öffentlich in Erscheinung.

Dessen geforderte Auflösung hat der AfD-Bundesvorstand in seiner Telefonkonferenz am Montag noch einmal konkretisiert. Ohne Gegenstimmen beschloß das Gremium, daß die „Flügel“-Verantwortlichen unter anderem die Internet-seite abschalten und die Administratorenrechte der Seiten in den Sozialen Netzwerken an die Bundesgeschäftstelle der AfD übergeben müssen. Die Rechte am Logo, das als Wort-Bild-Marke auf Björn Höcke registriert ist, sollen an eine für die AfD tätige Anwaltskanzlei übertragen werden. Vor allem muß der „Flügel“ bis zum 30. April erklären, daß alle sogenannten „Obleute“ abberufen und diese Strukturen aufgelöst sind. Am Freitag nach Ostern muß sich Thüringens Landesvorsitzender Björn Höcke dann im Bundesvorstand zu seiner Äußerung und umstrittenen Wortwahl („ausschwitzen“) bei einem „Flügel“-Treffen in Sachsen-Anhalt äußern. 

In einem Interview mit JF online, das allgemein als ein erstes deutliches Zurückrudern Meuthens aufgefaßt wurde, forderte der Parteichef schließlich seine Parteifreunde und sich selbst auf: „Wir sollten einen Gang herunterschalten.“ Das war mit Sicherheit deeskalierend gemeint.

Tatsächlich schaltet man – um im Bild zu bleiben – beim Autofahren nicht nur runter, um einen Bremsvorgang einzuleiten, sondern auch dann, wenn man genau das Gegenteil will: die Drehzahl erhöhen und beschleunigen. Der eine oder andere könnte auch die zweite Schlußfolgerung daraus ziehen. Daß die Diskussion, die die Gemüter so erhitzt hatte und persönliche Verwerfungen an der Spitze deutlich werden ließ, nun wirklich beendet ist, glauben vermutlich nur wenige.