© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 16/20 / 10. April 2020

Corona bringt Helikoptergeld-Virus
Krisenpolitik: Suche nach Geldquellen / Lassen sich Billionenausgaben durch zwei Platinmünzen finanzieren?
Thorsten Polleit

Die meisten der 435 Abgeordneten des US-Repräsentantenhauses sorgen selten für Furore. Eine Ausnahme ist Rashida Tlaib, die 2018 einen schwarzen Wahlbezirk in Detroit mit 84,2 Prozent gewann. Seither steht die 43jährige im Rampenlicht, denn die Tochter einer Palästinenserfamilie sorgt – zusammen mit den Demokratinnen Alexandria Ocasio-Cortez (New York) und Ilhan Omar (Minnesota) – mit Israel- und Trump-Kritik für Aufsehen. Und als der US-Präsident im Juli 2019 via Twitter verbal zurückschoß, erklärte sogar Angela Merkel, sie fühle sich „solidarisch mit den drei attackierten Frauen“.

Tlaib ist zudem Mitglied der Democratic Socialists of America (DSA) und Unterstützerin von Bernie Sanders, dessen Ideen auch immer für eine Schlagzeile gut sind. Doch nun forderte die Juristin sogar, daß das US-Finanzministerium angesichts der Corona-Krise jedem Amerikaner einen monatlichen Scheck in Höhe von 1.000 Dollar zur Verfügung stellen sollte. Zudem sollte ein 2.000-Dollar-Kreditkartenlimit eingeräumt werden. Für zwölf Monate wird das Limit um 1.000 Dollar aufgefüllt. Donald Trump will einmalig jedem Erwachsenem 1.200 Dollar und jedem Kind 500 Dollar zukommen lassen – teilweise finanziert über neue Schulden.

Münzen für das fünffache des Bundeshaushaltes

Laut Tlaibs „Automatic Boost to Communities Act“ soll der US-Finanzminister hingegen einfach zwei Eine-Billion-Dollar-Platinmünzen herausgeben, sie an die Zentralbank Fed weiterreichen und dafür ein Dollar-Guthaben in gleicher Höhe bekommen. Das wären umgerechnet 1.850 Milliarden Euro – das Fünffache des deutschen Bundeshaushaltes vor der Corona-Krise. Auf diese Weise ließe sich die Krise finanzieren, und es müßten dafür nicht einmal neue Staatsschulden gemacht werden, argumentiert die Kongreßabgeordnete. Der US-Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman hatte den „Münztrick“ erstmals am 7. Januar 2013 in seiner New York Times-Kolumne präsentiert („Be Ready To Mint That Coin“).

Und angesichts von heute statt 16,4 nun über 25,3 Billionen Dollar US-Bundesschulden – 77.000 Dollar pro Einwohner – zunächst verständlich. Der US-Finanzminister darf tatsächlich Münzen aus Platin herstellen lassen. Der deutsche Bundesfinanzminister gibt in diesem Jahr auch mehrere Silber- und Goldmünzen heraus. Aber es wäre ein klarer Fall von „Gelddrucken aus dem Nichts“ oder besser: Ausgabe von „Helikoptergeld“ (Milton Friedman). Dahinter verbirgt sich die Idee, daß sich mit der Vermehrung der Geldmenge Wohlstand schaffen läßt. Steigt das Angebot von Konsum- und Produktionsgütern, wird eine Volkswirtschaft in der Tat reicher. Nicht aber, wenn die Geldmenge steigt. Um das zu verstehen, bedarf es nur dreier Denkschritte.

Erstens: Das Geld – das allgemein akzeptierte Tauschmittel – hat nur eine Funktion: die Tauschmittelfunktion; die Wertaufbewahrungs- und die Recheneinheitsfunktion sind lediglich besondere Ausprägungen der Tauschmittelfunktion.

Zweitens: Jede gerade vorhandene Geldmenge (sagen wir 5.000 Milliarden Euro) erfüllt die Geldfunktion so gut wie jede andere Geldmenge (sagen wir 10.000 Milliarden Euro) auch. In beiden Fällen können alle Güterumsätze problemlos abgewickelt werden. Bei einer geringen Geldmenge fallen die Güterpreise niedrig aus, und bei einer großen Geldmenge fallen sie hoch aus.

Drittens: Weil Geld nur nützlich ist, um damit (heute oder künftig) zu tauschen, ist die einzige Konsequenz, die eine Vermehrung der Geldmenge hat, daß der Tauschwert der Geldeinheit abnimmt. Das Geld unterliegt, wie jedes andere Gut auch, dem handlungslogischen „Gesetz des abnehmenden Grenznutzens“: Der Grenznutzen des Geldes – also der Tauschwert der zusätzlich erhaltenen Geldeinheit – nimmt mit zunehmender Geldmenge ab.

Und noch etwas passiert: Die Erstempfänger des neuen Geldes sind die Begünstigten, die Spätempfänger sind die Verlierer. Denn diejenigen, die das neue Geld als erste erhalten, können die Güter noch zu unveränderten Preisen kaufen. Wenn dann das Geld für Käufe und Verkäufe von Hand zu Hand gereicht wird, steigen auch die Güterpreise. Folglich können die Spätempfänger des neuen Geldes nur noch zu erhöhten Preisen kaufen. Die Erstempfänger werden also reicher auf Kosten der Spätempfänger. Ökonomen sprechen auch vom „Cantillon-Effekt“. Eine Geldmengenausweitung schafft immer und überall Gewinner und Verlierer. Sie ist niemals ein „Win-Win“ für alle.

Das Geld wird entwertet

Was Rashida Tlaib in ihrer Gesetzes­initiative vorschlägt, wird wohl leider Schule machen – in den USA, aber auch anderswo. Der Grund: Das ungedeckte Papiergeldsystem ist mit dem „Lockdown“, den die Regierungen als Reaktion auf die Corona-Krise verordnet haben, ins Wanken geraten. Denn eines kann es nicht vertragen: fallende Einkommen und fallende Güterpreise. Um es nun vor dem Zusammenbruch zu bewahren, muß der Kredit- und Geldmengenfluß so schnell und so kräftig wie möglich wieder in Gang kommen.

Weil aber die Verschuldung von Staaten, Konsumenten und Unternehmen bereits hoch ist, werden Rufe laut, die Zentralbank solle Geld verschenken – indem sie Schecks an Bürger und Unternehmer ausgibt, im Extremfall sogar neue Banknoten druckt, in den Helikopter lädt und sie über den Städten und Landkreisen abwirft.

Die Menschen haben daraufhin mehr Geld in der Kasse, und wenn es ausgegeben wird, zieht die Nachfrage an, die Wirtschaft belebt sich, und die gefürchtete Deflation der Güterpreise ist gebannt. Doch das alles ist, wie voranstehend argumentiert, eine Illusion: Der Geldwert wird herabgesetzt – und zwar um so stärker, je stärker die Geldmenge ausgeweitet wird –, und es kommt zu einer Umverteilung von Einkommen und Vermögen, bei der einige wenige auf Kosten vieler bessergestellt werden.

Es sind vor allem der Staat und die von ihm begünstigten Sonderinteressengruppen – wie Banken und „Big Business“ –, die dabei gewinnen. Wenig verwunderlich, daß sie feurige Befürworter der Politik der unaufhörlichen Geldmengenausweitung sind – wenn es sein muß, auch per Helikopter.

Mit dem Corona-Lockdown haben die Politiker nun die Lunte an das ungedeckte Papiergeldsystem gelegt. Und jetzt machen sie und die Zentralbanken sich auf, es zu „retten“ – und zwar ausdrücklich ohne Rücksicht auf Verluste. Vielleicht wird ihnen die Rettung auch gelingen. Der Preis, den Bürger und Unternehmer zu zahlen haben, wäre allerdings gewaltig: Banken und Kapitalmärkte würden vollends dem Diktat der Staaten unterworfen; das, was vom System des freien Marktes noch übrig ist, würde auch noch abgeschafft.

Es liefe auf eine Systemverstaatlichung zur Verhinderung eines „System-Crashs“ hinaus. Damit wäre der Übergang in eine Lenkungswirtschaft verbunden, in der die Staaten Produktion und Güterverteilung maßgeblich beeinflussen. Der US-Ökonom Irving Fisher (1867–1947) hatte recht: Ungedecktes Papiergeld erweist sich früher oder später als Fluch für die Gesellschaft, die es verwendet.






Prof. Dr. Thorsten Polleit ist Volkswirtschaftler und Präsident des Mises-Instituts.

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