© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 16/20 / 10. April 2020

Tanzen – ein derzeit brachliegendes Kulturerbe
Kognitiv anspruchsvoll
(dg)

Der Tango Argentino gilt seit 2009 als „immaterielles Kulturerbe der Menschheit“. Mit vollem Recht, findet Julia F. Christensen, die als Psychologin und Neurowissenschaftlerin am Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik (Frankfurt/M.) forscht. Denn nicht nur der südamerikanische Stil, jede Form des Tanzes sei „extrem gesund“. Was die Autorin Christensen („Tanzen ist die beste Medizin“) gerade in diesen Wochen jenen 97 Prozent der Deutschen in Erinnerung ruft, die sich nicht regelmäßig, am besten zweimal wöchentlich 90 Minuten, rhythmisch bewegen. Tanzen rege den Stoffwechsel an, trainiere den Herzmuskel, stärke langfristig die Muskelkraft und das Immunsystem (Gehirn und Geist, 4/2020). Genauso wichtig: „Tanzen hält uns geistig auf Trab“, da es kognitiv sehr anspruchsvoll sei. Kein anderes Hobby, dies hätten Langzeitstudien belegt, schütze ähnlich nachhaltig vor Demenz und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, da das Tanzen sehr viele Hirnprozesse gleichzeitig stimuliere. Untrennbar mit dem Tanzen verbunden ist die Musik. Wie die Psychoneuroendokrinologin Daisy Fancourt (University College London) und der Oldenburger Musikwissenschaftler Gunter Kreutz ermittelt hätten, senke Musik die Konzentration des Streßhormons Kortisol im Blut. Gleichzeitig würden das Glückshormon Prolaktin und der Neurotransmitter Serotonin ausgeschüttet, sogar bei traurigen oder melancholischen Klängen. Seinen zentralen der von Christensen gerühmten Trümpfe kann der Tanz derzeit aber nicht ausspielen: ein von allen Kulturen genutztes „wunderbares Mittel gegen Einsamkeit“ zu sein, das große Problem westlicher Gesellschaften. 


 www.spektrum.de