© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 16/20 / 10. April 2020

Der amerikanische Führer
Vor 75 Jahren starb US-Präsident Franklin D. Roosevelt: Nicht nur seine Amtszeit hatte Ähnlichkeiten mit jener Hitlers
Stefan Scheil

Er hatte von Anfang an viel über Krieg geredet. Gleich in der ersten Ansprache seiner ersten Präsidentschaft bemühte Franklin Delano Roosevelt am 4. März 1933 derart viele militärische Metaphern, daß etliche amerikanische Historiker mit diesem Tag eine Militarisierung der US-Gesellschaft beginnen sehen. „FDR“, wie man ihn abgekürzt nannte, hatte die auch ausdrücklich gefordert.

„Direkte Verpflichtung durch die Regierung selbst“ sollte es notfalls geben, „wie im Kriegsfall“. Das sei erforderlich, um die Amerikaner als eine „loyale und ausgebildete Armee handeln“ zu lassen. Notstandsgesetze seien nötig, um den Krieg gegen das Elend zu führen, und so viel Macht für die Regierung, „als hätten wir tatsächlich den Fall einer ausländischen Invasion“. Solche Worte konnten damals in den USA noch als ungewöhnlich gelten. Zwar hatte es 1917/18 radikale Kriegsrhetorik gegen das Deutsche Reich gegeben, aber daß dies so umstandslos auf die geplante Amtsführung eines frisch gewählten Präsidenten in Friedenszeiten übertragen wurde, erregte Aufsehen. Weit und breit zeigte sich kein sichtbarer Feind, eine Invasion in die Vereinigten Staaten war sowieso völlig unmöglich. Die republikanische Opposition kritisierte diese weit hergeholte Aggressionsrhetorik scharf. 

„Handlungsfähige Faktoren“ wie bei Hitler und Mussolini

Und doch blieb es dabei. Nicht nur, daß die Invasionsrhetorik sich zu den Standards gesellte, mit denen die US-Öffentlichkeit fortlaufend traktiert wurde. Franklin D. Roosevelt baute seine Präsidentschaft zügig zu einer Bastion mit einer noch nicht gesehenen Dominanz aus. Radikale Eingriffe verschiedenster Art wurden vorgenommen, im Rahmen eines gesellschaftlichen „New Deal“. Das Goldvermögen der Amerikaner wurde eingezogen, ein freiwilliger Arbeitsdienst eingeführt, mit staatlicher Subvention Straßen gebaut, auf neuen Dollarscheinen ließ man gar eine andere „Ordnung der Zeitalter“ ausrufen. In der Summe schien die Machtfülle dieser amerikanischen Präsidentschaft schließlich über den von der Verfassung vorgesehenen Punkt deutlich hinauszutreiben. 

Diesen Umbruch bemerkte man auch im Deutschland der damaligen Zeit und kommentierte ihn wohlwollend. „Der völlige Bruch mit der altüberlieferten demokratischen Staatsform“ bahne sich an, jubilierte der Völkische Beobachter zu Roosevelts erstem Amtsjubiläum und fühlte sich eins mit dem Zeitgeist. Wenn eine „Volksströmung“ Roosevelt zum „Führer“ kürte, dann sei dies aus der klaren Erkenntnis geschehen, daß die Welt in einer „tiefgreifenden revolutionären Krise auf politischem, ökonomischem, sozialem und kulturellem Gebiet“ sei. Daß sich das Führerprinzip auch im „demokratischsten aller Länder“ durchsetze, sei ein Beweis dafür, daß sich das „parlamentarische System, die Regierung einer Vielheit ohne Kopf“ überlebt habe. 

Und in der Tat zog der neue US-Präsident diesen Vergleich sogar selbst. Gerade wenn es auf die schnelle Realisierung von Regierungsmaßnahmen ankomme, so betonte er 1933 im Gespräch mit Deutschlands Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht, gebe es nicht überall so „handlungsfähige Faktoren“, wie sie „Mussolini, Hitler und Roosevelt darstellen“. Solche Parallelen sah auch ein Beschluß des 13. Parteitags der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, der den amerikanischen New Deal als „Übung in faschistischer Ökonomie“ bezeichnete.

Nun zeigten die Äußerungen gegenüber Hjalmar Schacht letztlich vor allem Roosevelts überragende Fähigkeiten im persönlichen Gespräch. Er brachte es nicht zuletzt fertig, eine Industrienation, groß wie ein Kontinent, mit den Mitteln der damaligen Zeit vom Rollstuhl aus zu regieren und dreimal wiedergewählt zu werden. Soweit persönliche Gespräche nicht möglich waren, wandte er sich per Radio ans Volk und baute in „Kamingesprächen“ eine direkte Beziehung zur Öffentlichkeit auf, an den Medien vorbei.

Seitdem haben sich Generationen von Historikern den Kopf darüber zerbrochen, inwieweit Roosevelt selbst zu bestimmten Zeitpunkten hinter seiner Politik stand, was Fassade und was eigene Überzeugung gewesen sein könnte. Sicher ist, daß er nicht gegen den seit 1937 immer offensichtlicheren Kriegskurs der USA opponierte, ohne daß der Öffentlichkeit in irgendeiner Weise die treibende Rolle des eigenen Landes klar angezeigt wurde. Der Mythos von der „Weltmacht wider Willen“ erforderte es, die Schuldigen anderswo zu präsentieren. Das tat Roosevelt in Perfektion, und wenn ihm dafür der britische Geheimdienst gefälschte Karten mit deutschen Plänen für die Neuaufteilung Südamerikas vorlegte, dann präsentierte er sie der Öffentlichkeit in gewohnt brillanter Weise. 

Radikalisierung während des Krieges gegen Deutschland

In internen Meinungsäußerungen radikalisierte sich der US-Präsident dann während des Krieges immer mehr. Daß man die Deutschen als Nation ausrotten müsse, könne er nicht ausschließen, ließ er die Stabschefs einmal wissen, den Begriff „Reich“ aber auf jeden Fall. In einer solchen Stimmung billigte er 1944 auch den Plan seines Finanzministers Henry J. Morgenthau zur Abwicklung der deutschen Industrie (JF 38/19). Sein langjähriger Präsidentenberater Samuel Rosenman verkündete im Frühjahr 1945 in London die Absicht, die Zahl der Deutschen um etwa zwanzig Millionen zu reduzieren.

Seit langem krank und nun auf das Ende seines Lebens zusteuernd, scheint Roosevelt zu dieser Zeit allerdings begriffen zu haben, wie sehr er inzwischen von seinen Beratern manipuliert wurde. Den Morgenthau-Plan gebilligt zu haben, bereute er ausdrücklich. So zog er sich in den letzten Wochen zurück und ließ außer seiner langjährigen Freundin Lucy Mercer – von seiner Frau Eleanor hatte er sich 1942 ihretwegen getrennt – niemanden mehr an sich heran. Am 12. April 1945 starb er. An der deutschen Niederlage änderte das nichts mehr, vielleicht aber manches an der späteren US-Politik in Deutschland.