© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 16/20 / 10. April 2020

Flucht nach vorn
Neuer Wettlauf zum Mond verschoben / Corona-Krise treibt Satelliten-Firma OneWeb in die Pleite
Tobias Albert

Trotz des Vietnamkriegs hielten die USA in den Sechzigern eisern an dem Plan fest, als erste Nation auf dem Mond zu landen. Oder gerade wegen des militärischen Abenteuers? Das Prestigeprojekt sollte auch in Krisenzeiten Zusammenhalt stiften. Doch die Kosten der Mondlandung waren immens: Das Apollo-Programm kostete laut einem Bericht der Weltraumbehörde Nasa von 1973 an den US-Kongreß 25,4 Milliarden Dollar – das entspräche heute etwa 150 Milliarden Euro. Es brachte zudem bis zu 400.000 meist gutbezahlte Arbeitsplätze. Wie hoch der Ertrag der neuen Erkenntnisse und Technologien für Wirtschaft und Militär war, läßt sich hingegen nicht seriös beziffern.

Mit Blick auf die Corona-Krise und die sich abzeichnende wirtschaftliche Depression könnte man also sagen: Jetzt erst recht! Denn seit einigen Jahren plant die Nasa eine Rückkehr auf den Mond, im Idealfall bereits 2024 und damit am Ende einer möglichen zweiten Amtszeit von Donald Trump. Doch Kostenexplosionen bei Großprojekten sind kein Berliner oder Stuttgarter Monopol, wie Nasa-Generalinspekteur Paul Martin in seinem Prüfbericht vom März konstatieren mußte: Die Kosten der bemannten Mondmission würden demnach von 35 auf 50 Milliarden Dollar steigen.

Kommerzialisierung des Weltraumverkehrs?

Insbesondere die Kooperation mit dem US-Konzern Boeing, den die Nasa mit der Konstruktion wichtiger Technik beauftragt hatte, wird im Bericht scharf kritisiert. Die Kontrollbehörde DCMA habe Qualitätsmängel und Ungereimtheiten in der Produktion ausfindig gemacht. So wurden vorgeschriebene Inspektionen nicht durchgeführt, und die Produktion einiger Bauteile läßt sich nicht ausreichend weit zurückverfolgen, um ihre Qualität zu gewährleisten. Trotz Anpassungen in Boeings Management äußert der Bericht daher Zweifel an Boeings Fähigkeit, diese Fehler auszubügeln – ein vernichtendes Urteil für den vom 737-Max-Skandal gebeutelten Industriegiganten (JF 10/20).

Die Zusammenarbeit mit Boeing stand unter dem Stern der Kommerzialisierung des Weltraumverkehrs. Der in Investorengeld schwimmende E-Auto-Bauer Elon Musk (Tesla) hat 2002 ein eigenes Raumfahrtunternehmen (SpaceX) gegründet. Mit seinen Falcon-Raketen sollen Satelliten und künftig auch Luxustouristen ins All befördert werden. Doch die von der Nasa an Privatfirmen ausgelagerten Teilprojekte stehen in keinem guten Licht, wie aus dem Papier H.R. 5666 des US-Repräsentantenhauses hervorgeht. Dies stellt die Verknüpfungen zwischen Nasa und Privatwirtschaft in Frage und avisiert die nächste Mondlandung erst für 2028.

Die Europäische Weltraumorganisation (Esa) setzt ebenfalls auf Kooperationen mit privaten Firmen. Gemeinsam mit dem Berliner Startup PTScientists wurden zwei Mondrover entwickelt, die von der Erde aus gesteuert die Oberfläche des Mondes befahren und untersuchen können. Für dieses Jahr war der erste Testflug geplant, und „die erste privat finanzierte europäische Mondlandung“, so PTScientists-Gründer Robert Böhme, wurde in Aussicht gestellt. Doch die Insolvenz von PTScientists im Juli 2019 legte das Projekt vorerst auf Eis. Unter einem neuen Eigentümer will die in PTS umbenannte Firma wieder auf den Erfolgsweg zurückfinden.

Doch die Esa hat nicht alles auf eine Karte gesetzt, sondern unterhält als Teil der Mission „Luna-27“ Kontakte zur russischen Raumfahrtagentur. 2025 soll eine Sojus-Rakete das europäische „Prospect“ auf den Mond befördern. Das ist ein Miniaturlabor, ausgerüstet mit einem Bohrer, um in bis zu einem Meter Tiefe Bodenproben auf dem Mond zu untersuchen. Laut Esa-Direktor David Parker soll „Prospect“ untersuchen, wie aus Mondgestein Kraftstoff oder sogar Sauerstoff gewonnen werden kann. Jüngste Tests zeigen, daß „Prospect“ auch unter den extremen Bedingungen auf dem Mond (Temperaturen von minus 150 °C) einsatzfähig ist.

Prototyp einer Mondfabrik getestet

Indessen wird im ESA-Zentrum in Nordwijk ein Prototyp der Mondfabrik getestet, die aus den Mineralien auf dem Mond Sauerstoff und auch nutzbare Metalle herstellen soll. Prospect könnte Bodenproben liefern, mit denen die Mondfabrik für den Einsatz optimiert werden kann, um eines Tages vielleicht genug Sauerstoff für eine menschliche Besiedelung des Mondes herzustellen. Auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hat in seinem Strategiepapier „Zukunftsmarkt Weltraum“ hochfliegende Pläne angekündigt (JF 45/19).

Mediales Aufsehen erregte voriges Jahr auch die chinesische Raumsonde Chang‘e-4, der die Landung auf der dunklen Seite des Mondes gelungen ist. Da der Mond wegen der Gezeitenkräfte in einer sogenannten gebundenen Rotation um die Erde kreist, zeigt immer dieselbe Mondseite zur Erdoberfläche. Auf der Mondrückseite war die chinesische Sonde vollkommen auf sich allein gestellt, da eine Funksignalübertragung nicht möglich ist, weil das Signal nicht durch den Mond hindurch funken kann.

Daß China als erste Nation es geschafft hat, auf der Rückseite eine erfolgreiche Landung durchzuführen, ist daher ein Meilenstein der Monderforschung und eine Steilvorlage für die chinesische Staatspropaganda. Chinas Nachbar und asiatischer Rivale Indien hatte im selben Jahr eine kontrollierte Mondlandung der „Chandrayaan 2“ versucht. Knapp zwei Kilometer über der Mondoberfläche führte ein Fehler zur Bruchlandung. Ein ähnliches Schicksal ereilte nur Wochen später die israelische „Beresheet“-Sonde, die gemeinsam mit Elon Musks Firma SpaceX ins All geschickt wurde.

Somit bleibt immer noch offen, wer nach den USA, der damaligen Sowjet­union und China die vierte Mondnation mit einer erfolgreichen Landung sein wird. Indien will 2021 mit der „Chandrayaan 3“ beweisen, daß es aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt hat, und auch Großbrittanien will 2021 einen Rover auf der Mondoberfläche landen, ebenso wie 2022 Chinas Erzrivale Japan. Rußland plant 2025 mit dem ersten bemannten Flug des wiederverwendbaren Raumschiffs Orel, Kosmonauten den Mond umkreisen zu lassen, um einen weiteren Schritt zur bemannten Mondbasis des Luna-Glob Forschungsprojekts zu unternehmen. Trotz der Corona-Krise besteht also immer noch die Hoffnung, den irdischen Problemen eines Tages zum Mond entfliehen zu können.

 oig.nasa.gov/

 www.esa.int/





Satelliten-Firma OneWeb insolvent

Bei der Apollo-13-Mission kam es beinahe zur Katastrophe: Nach 55 Stunden Flug explodierte am 14. April 1970 ein Sauerstofftank. Astronaut John Swigert meldete dem Nasa-Kontrollzentrum den berühmten Satz:„Okay, Houston, we’ve had a problem here.“ Die Mondlandung war folglich nicht mehr möglich, aber die drei Astronauten wurden schließlich in einer dramatischen Rettungsaktion zur Erde zurückgebracht. Die Londoner Firma OneWeb hatte weniger hochfliegende Pläne, sie brachte ab Mai 2019 mit russischen Sojus-Raketen Minisatelliten auf eine erdnahe Umlaufbahn, um so künftig Internet überall auf der Welt bereitzustellen. Doch statt 600 wurden es nur 74 Satelliten, denn am 27. März war Schluß: OneWeb mußte Insolvenz anmelden. Auch der größte Anteilseigner, der japanische Softbank-Konzern, ist in der Corona-Krise in finanzielle Probleme geraten, das IT-Unternhemen kann kein Kapital mehr nachschießen. Was aus dem Satellitenhersteller in Florida wird, an dem Airbus beteiligt ist, steht ebenfalls in den Sternen. (fis) 

 www.oneweb.world