© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 16/20 / 10. April 2020

Der Flaneur
Versöhnt mit der Welt
Maria Bentz

Merkwürdig böse mustert mich die Apothekerin hinter ihrer Plexiglasscheibe. Sie wirkt nicht etwa besorgt um die treue Kundin, sondern  signalisiert: Wie kann ich es wagen, eine Apotheke aufzusuchen! 

Dabei wollte ich doch nur den zur Zeit überbeanspruchten Medizin-Boten entlasten, als ich mich bei strahlender Sonne auf den Fünf-Minuten-Fußweg  machte. Und ich habe brav draußen gewartet, bis ich drankam. Jetzt fühle ich mich wie eine herumspazierende Zeitbombe. 

Im Supermarkt nebenan ermahnt mich später ein „Schützen sie sich, dann schützen sie andere!“ auf der kurzen und wieder einmal vergeblichen Suche nach einem bestimmten Papier-Artikel – derzeit  wohl das Lieblingskaufobjekt der sonst so nächstenlieben Mitmenschen. Aber jetzt ist es piepegal, ob der Nächste auch noch etwas abkriegt. Hauptsache Ich.

Vor der Tür überrascht mich eine Fuhre Wasser vom Nachbarn.

Keinen halben Meter neben mir wacht ehrfurchtgebietend ein Posten zwischen den mit gelben Streifen auf dem Boden auf Abstand gehaltenen Kassenschlangen. „Das sind aber keine zwei Meter“, mein lächelnder Hinweis. Die barsche Antwort in gebrochenem Deutsch lautet, er arbeite schließlich hier. Meine Frage „Ach, dann sind allein Sie nicht ansteckend?“ entfesselt eine lautstarke Diskussion. Ich entfliehe der gereizten Stimmung. Auf dem kurzen Waldweg nach Hause gehen mir alle aus dem Weg, wie wohl in anderen Erdteilen den Unberührbaren. Mir erspart das den Ärger über hustende und spuckende Jogger auf Tuchfühlung. 

Am Anschlagebrett im Hausflur dann bietet eine Nachbarin namens Ivanka an, Einkäufe zu übernehmen. Wie nett! Und vor meiner Tür überrascht mich eine Fuhre Wasser vom Nachbarn zur Linken. Irgendwie ahnt er immer, wann ich Nachschub brauche. Versöhnt mit der Welt stelle ich den Wecker auf eine ungewohnte Uhrzeit: 6.00 Uhr. Um sieben öffnet der Markt mit neuer Ware. Auf ein Neues! Und Morgenspaziergänge sind gesund.