© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 17/20 / 17. April 2020

Was nicht paßt, wird passend gemacht
Kirche und Islam: Ein evangelisches Dialogpapier steht in der Kritik / Christliche Wahrheiten würden relativiert
Gernot Facius

In der Evangelischen Landeskirche in Baden zirkuliert ein „Gesprächspapier“ zum Umgang mit dem Islam, das über das konservative und evangelikale Spektrum hinaus Unmut und Verwirrung stiftet. Das Papier orientiert sich am Gedanken einer christlich-muslimischen „Weggemeinschaft“ und soll den „Dialog“ zwischen den beiden großen Weltreligionen voranbringen. Ein ehrgeiziges Ziel –  aber mit der Gefahr verbunden, die theologischen und gesellschaftlichen Ebenen des Dialogs zu vermischen. 

Beteiligung von Muslimen: „das Normalste der Welt“

„Einseitig und verzerrend“ nennt deshalb der evangelische Theologe und Religionssoziologe Thomas Schirrmacher den Text, der von der Landessynode auf ihrer – nun kurzfristig abgesagten – Frühjahrstagung am 22. April in Bad Herrenalb verabschiedet werden sollte. Allein die – gewundene – Passage zum Gottesverständnis weckt Mißtrauen. Heißt es doch darin: „Wir verehren als Christen und Muslime den einen Gott, den wir Christen dreieinig bekennen.“ Schirrmacher hat nichts, aber auch gar nichts gegen einen Dialog einzuwenden. Ganz im Gegenteil. 

Der Professor begrüßt die Intention, das Gespräch der Religionen zu fördern, weist aber zugleich darauf hin, was in dem Islampapier alles fehlt oder nur peripher erwähnt wird: Migration, Scharia und Extremismus kämen nicht vor. Für ihn wirkt die Darstellung der Lehre von Islam und Christentum „zurechtgemacht“, er vermißt konkrete Hilfen für den Dialog innerhalb der Gemeinden ebenso wie die Klärung umstrittener Details – etwa der Frage nach dem Heil der Gläubigen. Zudem fehle eine differenzierte Beschreibung der islamischen Strömungen, Herkunftsländer und Ausprägungen. Daß etwa im Mehrheitsislam das verbindliche Vorbild Mohammeds eine entscheidende Rolle spiele, werde nahezu ausgeblendet. Statt dessen werde den Muslimen erklärt, wie die den Koran zu verstehen hätten. 

Genuin christliche Vorstellungen, etwa von Barmherzigkeit, würden unkritisch auf den Islam übertragen. Nicht oder nur am Rande kämen für Christen wichtige Themen vor: Versöhnung mit Gott durch den Kreuzestod Christi, die Rettung durch Gnade allein und das Abendmahl. Stattdessen seien christliche Lehren so zurechtgeschnitten worden, daß sie „zum Islam passen“.  Die Rechtfertigung aus Glauben werde relativiert, indem die islamische Sicht, daß am Ende die Taten zählten, als für Christen „inspirierend“ beschrieben wird. 

Als problematisch empfindet der Bonner Theologe mehrere „Kernthesen“ des badischen Papiers. So werde die „liturgische Beteiligung“ von Muslimen an christlichen Gottesdiensten als „das Normalste von der Welt“ betrachtet. Auch mit der Ausweitung der christlichen Ökumene auf die Beziehung zum Islam zeigt sich Schirrmacher nicht einverstanden. Für ihn ist unverständlich, daß Christen, die am exklusiven Wahrheitsanspruch von Jesus Christus festhalten und das Konzept der „Weggemeinschaft“ ablehnen, kritisch dargestellt würden. Über sie fänden sich vor allem „negative psychologische und charakterliche Beurteilungen und Einsortierungen“. Schirrmacher ist nicht der einzige prominente evangelische Theologe, der das „Gesprächspapier“ aus Baden kritisch unter die Lupe nimmt. 

Der Wuppertaler Missionswissenschaftler Henning Wrogemann etwa vertritt die Ansicht, in dem Text werde ein problematischer Wahrheitspluralismus vertreten. Demnach sollten Christen im Islam auch dort wahre Gotteserkenntnis erwarten, wo diese ihren Glaubensüberzeugungen widerspreche. Besorgt fragt Wrogemann: „Ist Dialog möglich auf Grundlage ungeklärter Begriffe und unter Aufgabe zentraler eigener Glaubensüberzeugungen?“ Er störte sich an Aussagen wie „Als Christen nehmen wir mit großer Anerkennung die Hochschätzung der Person Jesu im Koran wahr“ oder „Der christliche Glaube darf und soll die Hochschätzung Jesu im Koran entdecken und darüber freudig staunen.“ 

Der Missionsexperte kommt zu dem Schluß: Angesichts des koranischen Befundes, der das christliche Jesus- und Gottesbild rundheraus ablehnt, könne nur jemand „freudig staunen“, der in Jesus ohnehin nicht mehr sehe als einen ethisch orientierten Gottsucher. Kirchenleitungen hätten sicherlich die Aufgabe, zu Diskussionen anzuregen und zu ermutigen. Dabei sollten sie sich aber als das verstehen, was sie sind, nämlich gebunden an das neutestamentliche Zeugnis und die Bekenntnisse der Alten Kirche sowie der Reformationszeit. 

Offensichtlich möchte man aber in den Kirchenleitungen aus einem gesteigerten Harmoniebedürfnis heraus über die Differenzen zwischen Christentum und Islam hinwegschauen. Anders viele „einfache“ Kirchenmitglieder. Sie begegnen dem multireligiösen Dialog, wie er sich aktuell darbietet, mit Mißtrauen: Er fördere Synkretismus, Vermischung unterschiedlicher Glaubenselement, erzeuge religiöse Gleichgültigkeit. 

Unbehagen regt sich im aktuellen Fall Baden aber nicht nur unter Protestanten. 

So schrieb der in Algerien geborene Islamwissenschaftler Abdel-Hakim Ourghi von der Pädagogischen Hochschule Freiburg in einem Diskussionspapier: Eine Theologie der Selbstrelativierung sei ein Hindernis für den interreligiösen Dialog: „Die Differenzen zwischen den beiden Religionen müssen von den Dialogpartnern wahrgenommen und respektiert werden, denn die Anpassung der eigenen religiösen Identität an das Gegenüber könnte eher zur Verunsicherung im eigenen Glauben führen als zur Förderung des Dialogs.“

In den Kirchenkanzleien wird man nicht gerne hören, was der Professor über „Islampapiere ohne eine klare Position und ohne Mut zur Wahrheit“ sagt: „Sie ebnen eher den Weg zur Auflösung der evangelischen Kirche.“ Es gehe um den „Tod der evangelischen Kirche“ als Institution, in der für ihre Angehörigen keine religiöse Heimat mehr zu finden sei. „Die eigene Identität zu verleugnen ist keine gute Basis für ein gegenseitiges Vertrauen.“ 

Abdel-Hakim Ourghi warnt die Christen vor einem „Dokument der Unterwerfung“. Er wirft dabei wohl auch einen Blick auf das katholische Spektrum. Denn dort gibt es, wie konservative Katholiken schon 2003 bedauerten, „Ungeheuerliches“. Sie protestierten damals gegen die von der Deutschen Bischofskonferenz herausgegebenen „Arbeitshilfe Christen und Muslime“; sie nahmen Anstoß an dem Satz „Christentum und Islam stellen zwei verschiedene Zugänge zu demselben Gott dar.“ Damit, so ihre Kritik, werde die Offenbarung in Jesus Christus, der allein Weg, Wahrheit und Leben sei, auf eine Stufe mit dem Islam gestellt und der dreifaltige Gott auch wider alle Lehren des Islam mit Allah gleichgesetzt. 

„Im Namen desselben   Gottes, den wir anbeten“ 

Zur Erinnerung: Das Zweite Vatikanische Konzil hatte 1965 – bei aller theologischen Differenzierung des Gottesbildes – erklärt, daß die Kirche die Muslime mit Hochachtung betrachte, gerade weil sie auch den „alleinigen Gott anbeten, den lebendigen und in sich seienden, den Schöpfer des Himmels und der Erde, der zu den Menschen gesprochen hat“. Papst Johannes Paul II. bekräftigte diese Aussage, als er in einer Nahost-Friedensbotschaft die Muslime „im Namen desselben Gottes, den wir anbeten und dem zu dienen wir uns bemühen“, um Unterstützung bat. 

Innerkirchliche Kritiker attestierten ihm damals eine Neigung zur „Allerlösungslehre“. Denn der Koran lehne die christliche Rede vom dreieinigen Gott ab und sehe in ihr Götzendienst. Diese Themen sind nun mit dem badischen „Gesprächspapier“ in die aktuelle Diskussion zurückgekehrt.





„Respekt und Wertschätzung“

Das sogenannte Gesprächspapier „Christen und Muslime“ der Evangelischen Landeskirche in Baden (EKIBA) wurde in einer ersten Fassung bereits 2018 vom Karlsruher Oberkirchenrat vorgelegt und zur Diskussion empfohlen. Rückmeldungen sollten bis Weihnachten 2019 abgegeben werden. Allerdings monierten Kirchenmitglieder, daß frühere kritische Anmerkungen nicht ausreichend in einer zweiten Fassung berücksichtigt worden seien. Noch unklar ist, wann sich nach der Absage der eigentlich für kommende Woche geplanten Frühjahrstagung die Landessynode als entscheidendes Gremium mit dem Papier abschließend befassen wird. Neben anderen Landeskirchen hat auch die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) 2018 ein – theologisch und kirchenrechtlich nicht verbindliches – Positionspapier zum christlich-islamischen Dialog vorgelegt. Darin bekräftigt die EKD, daß  sie ungeachtet verschiedener Offenbarungs- und Wahrheitsansprüche den Muslimen mit Respekt und Wertschätzung begegne. (vo)