© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 17/20 / 17. April 2020

Deutsches Wirtschafts-Wunder
Warum wir dank eines breit aufgestellten Mittelstands einmalig stark sind, doch die Reserven in Zeiten der Corona-Krise schwinden
Michael Paulwitz

In Krisenzeiten wie diesen zeigt der deutsche Mittelstand, was in ihm steckt. Er ist das Rückgrat der deutschen Wirtschaft; rund sechzig Prozent der Beschäftigten in Deutschland arbeiten in Familienbetrieben, kleinen und mittleren Unternehmen. Daß Deutschland vor gut einem Jahrzehnt vergleichsweise glimpflich durch die globale Finanzkrise gekommen ist, hat unser Land nicht zuletzt seiner vielfältigen und anpassungsfähigen mittelständischen Wirtschaft zu verdanken.

Verantwortung für das eigene Werk und seine Mitarbeiter, Reaktionsschnelle und Kreativität bei der Suche nach neuen Wegen und Geschäftsfeldern sind Tugenden, die sich auch in der Corona-Krise wieder bewähren. Das nie dagewesene Experiment eines quasi über Nacht verhängten Stillstands im öffentlichen und Wirtschaftsleben hat die Mittelständler schwer getroffen. Zwei Drittel der Familienunternehmen, so verzeichnete eine Umfrage ihres Verbandes Ende März, mußten einen Rückgang der Unternehmenstätigkeit im Schnitt um die Hälfte hinnehmen, immerhin 28 Prozent konnten zunächst weitermachen wie bisher, und sieben Prozent konnten der Krise stimulierende Impulse abgewinnen.

Daß Liefer- und Bringdienste, Lösungsanbieter für Telearbeit, virtuelle Kooperation und Arbeit von zu Hause, aber auch innovative Medizintechnik- und Biotechnologieunternehmen erhöhte Nachfrage und gestiegenes Interesse verzeichnen konnten, liegt auf der Hand. Die Tübinger Firma CureVac, die nach eigenen Angaben bei der Arbeit an einem Impfstoff gegen das Sars-CoV-2-Virus bereits weit vorangekommen ist, machte mit Übernahmegerüchten aus den USA im März sogar international Schlagzeilen. Bei der Göppinger Softwareschmiede TeamViewer, mit deren Lösungen Angestellte von überall auf ihre Daten im Büro zugreifen können, gehen die Bestellungen und Abos steil nach oben. Nicht wenige Mittelständler haben es aber auch verstanden, sich neue Tätigkeitsfelder zu erschließen und schnell und flexibel Lücken zu schließen, die die Krise aufgerissen hatte. 

Wenn die Bundesregierung derzeit überhaupt darüber nachdenken kann, Bürger zum Tragen von Schutzmasken in öffentlichen Gebäuden und Verkehrsmitteln zu verpflichten, kann sich die Politik dafür bei einer ganzen Reihe von mittelständischen Unternehmen bedanken. Der globale Pandemie-Ausbruch hat drastisch vor Augen geführt, wie abhängig Deutschland bei Medizinprodukten, Infektionsschutzausrüstung und Desinfektionsmitteln von internationalen Lieferanten geworden ist. Selbst als die Ankunft des Virus in Europa längst absehbar war, versäumten es die Verantwortlichen, die gegen besseren Rat aufgegebenen Notvorräte rechtzeitig wieder aufzustocken.

Mittelständler retten die verspäteten Politiker

Mittelständler springen in die Bresche. Der Hemdenfabrikant Eterna aus Passau in Niederbayern und der Bekleidungshersteller Trigema aus Burladingen auf der Schwäbischen Alb, die ihre Textilien im stillgelegten Einzelhandel kaum noch absetzen können, haben binnen kürzester Frist auf die Produktion von hochwertigen und wiederverwendbaren Atemschutzmasken umgestellt. Der Unterwäschehersteller Triumph beliefert den Stuttgarter Automobilzulieferer Mahle mit Filtergewebe, das auch in Masken mit hohem FFP-3-Schutzstandard eingesetzt werden kann.

Auch andere Branchen haben dieses Geschäftsfeld entdeckt: Der Troisdorfer Anlagenbauer Reifenhäuser produziert in seinem Testzentrum in NRW Vliese für Atemschutzmasken aller Art. Und der Landshuter Automobilzulieferer Zettl stellt statt Sitzbezügen demnächst Schutzmasken her und muß seine Belegschaft so nicht in Kurzarbeit schicken.

Schnelles Umrüsten ist Trumpf. Boge, ein Druckluftspezialist, baut jetzt medizintechnische Kompressoren für Beatmungsgeräte. Nicht nur Chemieunternehmen, auch Spirituosenbrennereien sind auf die Herstellung von Desinfektionsmitteln umgestiegen oder geben Teile ihrer Alkoholbestände an Apotheken und Kliniken ab.

Entlassungen sind für viele Mittelständler tabu – aus Verantwortung und weil sie ihre qualifizierten Mitarbeiter nicht verlieren wollen. Daß sie schneller und flexibler neue Produktionsmöglichkeiten finden, ist kein Zufall: Früher als mancher Großkonzern haben sie die Schattenseiten der Produktionsverlagerung in Billiglohnländer erkannt und den Wert hoher Fertigungstiefe und der Konzentration von Fertigkeiten und Qualifikationen im eigenen Haus wiederentdeckt.

Größte Sorge der Familienunternehmer und Mittelständler in der Corona-Krise ist daher auch weniger Mangel an Rohstoffen, Vorprodukten, Personal oder Transportkapazitäten, sondern fehlende Liquidität und die Schließung nahezu sämtlicher Verkaufsstellen. Untaugliche und bürokratische Hilfskredite, die erst mehrfach nachgebessert werden mußten, haben die verbreitete Skepsis gegenüber Staatshilfen bestätigt. Und nicht zu Unrecht fragen Gärtnereien und Blumenhändler, warum sie ihre Läden schließen müssen, während Baumärkte weiter Pflanzen verkaufen dürfen. 

Produktion und Arbeit am Standort Deutschland lag schon vor der großen Krise im Trend. Während die Sozialisten jeder Couleur von Enteignungen träumen und unter dem Applaus der Großkonzerne dem „ökologischen“ Umbau der Wirtschaft beim staatlich gelenkten Wiederaufbau das Wort reden, zeigt der Mittelstand, wie solides und erfolgreiches Wirtschaften im eigenen Land geht. Wenn man ihn denn läßt.