© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 17/20 / 17. April 2020

Geben und Nehmen
Das Lübecker Unternehmen Drägerwerk produziert lebenswichtige Beatmungsmasken / In der Krise profitiert es
Paul Leonhard

Was auf individueller Ebene funktioniert, sollte auch der Gemeinschaft und dem Staat gelingen. Auf bestimmte Produkte, wie Arzneien oder medizinische Geräte, muß immer zugegriffen werden können. 

Während Großbritannien ohne eigene Hersteller von Beatmungsgerätemassiv von Importen abhängig ist und seine wenigen Vorräte von im ganzen Land zusammengesammelten 12.000 Beatmungsmasken auf mindestens 18.000 erhöhen will, kann Deutschland ruhigen Gewissens auf die dringende Anfrage der britischen Regierung reagieren und bei der Bundeswehr vorhandene mobile Varianten der Lebensretter auf die Insel verschiffen. Und zwar ohne eigene Not zu fürchten.

Denn wenn das Angebot hierzulande rar werden würde, wäre die Bundesrepublik in der Lage, sich mit ein Ausfuhrstopp zu behelfen, so wie er vorübergehend für einfache OP-Masken eingesetzt wurde. Grund ist auch ein in Lübeck verwurzeltes Unternehmen namens Drägerwerk. Es ist eines der wenigen in Europa, das solche Beatmungsgeräte herstellt. 

Bereits nach einem Großauftrag  von 10.000 Masken durch die Bundesregierung war das Interesse wie der Aktienkurs stark gestiegen. Inzwischen gibt es weitere Aufträge. Das Unternehmen produziert aktuell fast doppelt so viele Geräte wie vor der Krise. 

Einkommensverzicht

 verlangte der Chef

Dabei hatte die Geschäftsführung Anfang März noch sehr verhalten in die Zukunft geblickt: Zunehmende gesamtwirtschaftliche Risiken würden die Wachstummöglichkeiten „etwas einschränken“, und durch das „grassierende Coronavirus entsteht zusätzliche Unsicherheit“, hieß es noch am 5. März in einer Pressemitteilung. 2019 meldete das Unternehmen noch ein „dynamisches“ Wachstum. Der Auftragseingang hatte um 2,8 Prozent zugenommen, der Umsatz war um 5,9 Prozent auf rund 2,78 Milliarden Euro gestiegen und trotz erheblicher Zukunftsinvestitionen erwirtschafteten die Lübecker einen Jahresüberschuß.  

Innerhalb weniger Wochen hat sich die Situation komplett verändert. Wenn Stefan Dräger, Vorstandsvorsitzender  der Drägerwerk Verwaltungs AG, die aktuellen Herausforderungen zusammenfaßt und betont, „oberstes Ziel ist es, den Geschäftsbetrieb aufrechtzuerhalten und unseren gesellschaftlichen Versorgungsauftrag zu erfüllen“, ist das durchweg positiv gemeint.

Gleichzeitig sei es Fürsorgepflicht, die eigenen Mitarbeiter bestmöglich zu schützen. Damit es zu keinen Produktionsausfällen kommt, arbeitet die Belegschaft in mehreren strikt getrennten Schichten. Das Werksgelände im Stadtteil Moisling gilt als Hochsicherheitsbereich. Immerhin beschäftigt Dräger als größter Industriearbeitgeber Schleswig-Holsteins rund 5.000 Menschen, weltweit sind es 14.500. Und neue Mitarbeiter werden dringend gesucht. 

Auch hier änderte sich die Lage total. Vor einem halben Jahr hatte Dräger angesichts dramatisch schrumpfender Umsätze im Medizintechnikbereich von seinen Mitarbeitern Einkommensverzicht verlangt. 150 Millionen sollten eingespart werden. Als die Arbeiter protestierten, wurde der Werksschutz eingesetzt. Letztlich mußte der Vorstand garantieren, bis Sommer 2023 alle Standorte zu erhalten und auf betriebsbedingte Kündigungen zu verzichten. 

Jetzt hat Dräger seine Produktionskapazität am Standort Lübeck „erheblich ausgeweitet“. Die Abwicklung des Auftrags der Bundesregierung wird sich über das ganze Jahr erstrecken. 

Kaum war der deutsche Auftrag bekannt geworden, erhielten die Lübecker einen weiteren Großauftrag. Das Gesundheitsministerium der USA, wo noch heute Mitarbeiter des Rettungswesens im Bergbau aufgrund der Atemschutzgeräte der Drägerwerke als Drägermen bezeichnet werden, bestellte N95-Atemschutzmasken (FFP2). 

Volle Auslastung für

 das nächste halbe Jahr

Eine Stückzahl im höheren zweistelligen Millionenbereich, exakter wird Dräger nicht, soll innerhalb der nächsten 18 Monate geliefert werden. Ob an den Auftrag die Bedingung geknüpft war, in den USA zu produzieren, oder die Produktionsanlagen in Deutschland tatsächlich kurzfristig nicht erweiterbar waren, läßt das Unternehmen offen. Jedenfalls wird speziell für den Großauftrag an der Ostküste eine neue Fabrik errichtet, die im September den Betrieb aufnehmen soll. Das dürfte auch im Sinne des US-Präsidenten Donald Trump sein, der seit seinem Amtsantritt Produktionsstätten in die USA holt. 

Die weltweiten Produktionskapazitäten von qualitativ geeigneten FFP-Atemschutzmasken seien voll ausgeschöpft, sagt Rainer Klug, Vorstand des Unternehmensbereichs Sicherheitstechnik. Die eigenen Produktionsstätten in Schweden und Südafrika liefen rund um die Uhr unter Vollast und seien „bis in die zweite Jahreshälfte ausverkauft“.

Auch der Bedarf an Beatmungsgeräten und Zubehörprodukten – von Atemschläuchen, Filtern und Beatmungsmasken bis hin zu weiterem Zubehör für die Sauerstofftherapie – sei deutlich angestiegen, wobei ein Schwerpunkt auf Einwegprodukten liege.

Jetzt zahle sich aus, daß „wir schon vor einigen Jahren in eine Zukunftsfabrik mit modernsten industriellen Fertigungsmethoden investiert haben“, sagt Vorstandschef Dräger stolz. Der Bau der Fabrik in den USA sei ein pragmatischer Ansatz, der frühzeitig und nachhaltig Hilfe schaffe: „So ein Modell wäre auch in anderen Ländern, besonders in Eu­ropa möglich“, so Klug. Entsprechende Angebote würde man gerade mit mehreren Staaten diskutieren. Denn auch in Lübeck ist Voraussetzung für die Produktion, daß die weltweiten Lieferketten funktionieren. Die Zulieferer sitzen in den USA, Asien und Neuseeland. Über die wirtschaftlichen Folgen des Auftragsbooms für sein Unternehmen möchte sich Dräger nicht äußern.