© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 17/20 / 17. April 2020

Pech beim Rechnen
DIW-Studien: Die Atomkraft muß endlich weg und die Reichensteuer soll für die Energiewende schnell her
Manfred Haferburg

Franz Josef Strauß wurde 1955 Minister für Atomfragen, und dank des Kernphysikprofessors Heinz Maier-Leibnitz gab es von 1957 bis 2000 den ersten deutschen Forschungsreaktor in Garching bei München („Atomei“). Das DDR-Pendant am Zentralinstitut für Kernforschung (ZfK) ging fast zeitgleich in Betrieb, wurde allerdings 1991 stillgelegt. Doch das ZfK wurde ins Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf überführt, und das HZDR beschäftigt sich weiter mit Energiefragen oder der Sicherheit von Kernkraftwerken.

Deshalb war es nicht überraschend, daß Michael Kretschmer in den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland den Atomausstieg bis 2022 anzweifelte: Ob ein Wiedereinstieg „nötig ist, wird davon abhängen, ob die Ener-giewende klappt, ob die Kosten im Rahmen bleiben und die Versorgungssicherheit gewährleistet ist“, meinte der Dresdner CDU-Ministerpräsident. Es sei eine Frage, die in zehn oder 15 Jahren anstehe, aber die „Kernforschung muß weiter betrieben und gefördert werden. Wir müssen technologieoffen bleiben.“

Stramme Haltung beim Interpretieren der Zahlen

Angesichts der Posse um die Wahl seines Erfurter Amtskollegen und der Corona-Krise ging der Kretschmer-Vorstoß im Medieneinerlei schnell unter. Nur Claudia Kemfert wurde hellhörig: Hat der Sachse etwa einen Versuchsballon für den Ausstieg aus dem Atomausstieg aufsteigen lassen? Die Vorkämpferin für Energiewende und CO2-Steuer ist im Nebenberuf Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Unter ihrer Leitung werden Studien erstellt, die beweisen wollen, daß Kohle, Öl, Gas und Kernkraft zu teuer und erneuerbare Energien viel billiger seien (JF 15/20). Doch beim Erstellen ihrer Studien haben die frühere Professorin für Energy Economics and Sustainability an der Berliner Hertie School und ihre DIW-Mannen manchmal Pech beim Vorrechnen.

Im Jahre 2008 sagte sie den „Peak-Oil“ für die Jahre 2020 bis 2025 vorher und damit enorme Preissteigerungen für Öl und Gas. Daher müsse man schnell weg von Öl und Gas hin zu den Alternativen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG). Die vorausgesagten massiven Probleme sind eingetreten. Allerdings wurden Öl und Gas billiger, dafür aber stieg der Strompreis um mehr als 30 Prozent an – verursacht durch genau die Technologien, die das DIW 2008 als Problemlösung vorschlug. 2011 prognostizierte das DIW dann für 2020 eine EEG-Umlage von 3,64 Cent pro Kilowattstunde (kWh). Seit diesem Jahr beträgt diese Umlage 6,76 Cent plus Mehrwertsteuer, und Deutschland hat, nach des Bermudas, den höchsten Strompreis der Welt. Dieser Strompreis fällt uns nach Corona auf die Füße.

Das treibt nicht nur Kretschmer aus dem Braunkohleland Sachsen um, aber das DIW kontert unverdrossen: „Von einer Renaissance der Atomkraft kann nicht die Rede sein. Dennoch ist dieses Narrativ im öffentlichen Diskurs weit verbreitet“, kritisiert Claudia Kemfert und verweist dabei auf ihre neue Studie „Atomkraft international: Ausbaupläne von Newcomer-Ländern vernachlässigbar“. Eine Analyse aktueller Rückbau- und Neubauprojekte offenbare einen rückläufigen Trend weltweit – einen Atomeinstieg gebe in lediglich vier Ländern, und das mit finanziellen Schwierigkeiten und erheblichen Verzögerungen. Auf der AKW-Angebotsseite sei eher geopolitisches Interesse die treibende Kraft. Deutschland solle im Rahmen internationaler Organisationen darauf hinwirken, daß ein Neueinstieg in die Atomkraft nicht unterstützt wird.

Die Studie zeichnet sich durch Pech beim Recherchieren und eine stramme Haltung beim Interpretieren der fehlerhaften Zahlen aus: „Atomkraft trägt lediglich 4,4 Prozent zur globalen Primärenergieversorgung bei“ und sei daher bedeutungslos. Doch Wind und Sonne bringen es auf 1,8 Prozent – ist das auch bedeutungslos? Der AKW-Park veralte und daher würde der Anteil der Kernenergie für die Stromerzeugung fallen. Es seien „nur 46 neue Reaktoren im Bau“. Das DIW geht bei seinen Berechnungen von einer Laufzeit von 40 Jahren aus. Die meisten Kernkraftwerke produzieren aber 60 Jahre. So kommen Zahlen heraus, welche die DIW-Thesen stützen.

Droht Deutschland bald eine EEG-Version 4.0?

Die über 30 Länder, die neu in die Kernkraft einsteigen, werden mit „technischen und finanziellen Schwierigkeiten“ behängt und kleingerechnet. Da sind Pläne „angeblich“ und „werden von externen Beobachtern angezweifelt“. Neue Reaktor-Technologien bleiben völlig unberücksichtigt. Fakten: Fehlanzeige, Haltung: grünlinks. Den Neueinsteigern wird mittels „ökonometrischer Analyse mit Hilfe eines logistischen Regressionsmodells und kategorialer Variablen“ bescheinigt, daß sie „tendenziell durch geringe demokratische Freiheiten gekennzeichnet sind“. Der 1977er Spiegel-Bestseller „Der Atomstaat. Vom Fortschritt in die Unmenschlichkeit“ von Robert Jungk läßt grüßen.

Ein Co-Autor der Studie, Christian von Hirschhausen, argumentiert: „Erneuerbare Energien boomen weltweit. Beschleunigt wird der Trend durch sinkende Kosten. Eine neue Studie zeigt, daß Strom aus Wind und Sonne gegenüber fossiler Energie in Deutschland mittlerweile konkurrenzfähig wäre.“ Doch der Wirtschaftsprofessor von der TU Berlin ignoriert zwei Fakten: In Deutschland stammen durchschnittlich 46 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Quellen – Strompreis 33 Cent. In Frankreich kommen 73 Prozent aus Kernkraft – Strompreis 18 Cent. Dennoch forderte Claudia Kemfert im Handelsblatt anläßlich des „20. Jubiläums eines der erfolgreichsten Instrumente deutscher Energie- und Industriepolitik“ am 1. April eine „EEG-Version 4.0“: Denn „anders als das herkömmliche ist ein auf erneuerbare Energien basierendes Energiesystem flexibel, dynamisch, intelligent und dezentral. Die Investitionen in digitale Zukunftstechnologien würden innovative klimafreundliche Technologien entstehen lassen und globale Wettbewerbsvorteile generieren.“

Auch bei Corona sind die DIW-Mitarbeiter nicht zum Scherzen aufgelegt: So lehnt Stefan Bach zwar die von SPD-Chefin Saskia Esken geforderte radikale Vermögensabgabe mit Rücksicht auf den deutschen Mittelstand ab. Aber eine „einmalige Vermögensabgabe mit hohen Freibeträgen und Vergünstigungen für Betriebsvermögen“ sowie ein „Corona-Soli bei der Einkommensteuer für die Besser- und Hochverdiener“ könnten nach der Corona-Krise „ein jährliches Zusatzaufkommen von 20 bis 25 Milliarden Euro generieren, ohne wirtschaftliche Schäden zu riskieren“, rechnete der DIW-Steuerexperte im Spiegel vor.

Dummerweise ist dieses Geld schon verplant: „Wir wären klug beraten, diesmal nicht einfach den Reset-Knopf zu drücken, wenn die Pandemie abflaut und die Betriebe wieder ihr Geschäft aufnehmen“, warnt Claudia Kemfert im Tagesspiegel. „Investitionen sollten den Umbau der Energieversorgung hin zu erneuerbaren Energien und Energieeinsparung fördern. Staatliche Fördermittel sollten daran gekoppelt sein, daß Unternehmen von der Nutzung fossiler Energiequellen auf klimaschonende Technologien umsteigen.“ Sprich: Auch nach Corona muß genügend Geld für Merkels Energiewende dasein.






Manfred Haferburg ist Kernenergetiker, lebt in Paris und berät Risikoindustrien in Sicherheitsfragen. Er ist Autor des autobiographischen DDR-Romans „Wohn-Haft“.

Studie „Atomkraft international“ im DIW Wochenbericht 11/20, S. 137-145:

 www.diw.de