© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 17/20 / 17. April 2020

Lifestyle und Corona vertragen sich nicht
Influencer-Idylle auf dem Prüfstand: Ausrutscher und mangelnde Betätigungsfelder machen der wachsenden Branche einen Strich durch die Rechnung
Boris T. Kaiser / Curd-T. Weick

Plötzlich bekommt die glitzernde Welt der vielen Influencer Kratzer. Gerade Lifestyle und Corona vertragen sich nicht. Auch Mode-, Schönheits-, Essens-, Erziehungs-, Fitneß-, Reise- und Lifesyleblogger, oder die vielen großen und kleinen Sternchen, die täglich auf Instagram oder Youtube abliefern müssen, erleben harte Zeiten. Nicht jeder Follower will den dritten Gesangsversuch, die vierte langweilige Lebensweisheit oder irgend-einen gesunden Smoothie, um dessen Zutaten man im Supermarkt kämpfen muß, seines Lieblings mehr sehen.

Youtuber Lovelock entschuldigt sich bei Fans

Dies treibt so manches Internetsternchen zu schier unfaßbaren Verzweiflungstaten. Die US-Influencerin Ava Louise rief via TikTok die „Corona Challenge“ aus. Über das insbesondere bei sehr jungen Nutzern beliebte Kurzvideoportal verbreitete sie einen Clip, in dem sie, inmitten der C-19-Epidemie, eine Toilette ableckte. Nachdem sie für diesen Klo-Auftritt einen gewaltigen Shitstorm erntete, löschte sie das Video zwar und behauptete, es sei in einem Privatjet entstanden, dessen sanitäre Einrichtung sie vor dem Ablecken gründlich desinfiziert habe, da war es aber schon zu spät.

Am 17. März trat der Fitneß-Youtuber Leon Lovelock – 380.000 Abonnenten auf Youtube und 140.000 auf Instagram – mit seinem Video „Die Corona Verschwörung/ Wie sie uns langsam lahmlegen“ ins Fettnäpfchen. „Mir liegen ein paar Sachen auf dem Herzen. Ich bin nicht der Typ, der oft Videos macht über aktuelle Themen. Das, was gerade passiert, wird mir einfach zu viel“, erklärte der 26jährige Mannheimer cool und locker seinen Followern zum Thema Coronavirus. Es gebe zu wenige Leute, die reflektiert hinterfragten, was gerade passiere. „Die pflanzen in unseren Köpfen irgendwas ein und wir verbreiten das. Wir teilen das. Wir reden darüber den ganzen Tag. Checkt ihr nicht, daß die genau das schaffen, was die schaffen wollen?“

Es gehe nur um Angstmacherei und Kontrolle, betonte Lovelock. Die Freiheit werde eingeschränkt, und dafür sei er bereit zu sterben. „Es kann doch nicht sein, daß wir uns zu Hause einsperren wegen eines Virus, das nicht tödlich ist. Das sind Kriegszustände.“ „Wir sollten keine Angst vor dem Virus haben, wir sollten Angst davor haben, was die Regierung mit uns macht.“ Er werde auf jeden Fall rausgehen und sich keinesfalls einschränken – komme, was wolle. Das Virus könne schließlich nicht töten, so der Fitneßfan.

Drei Tage darauf, das Video war bereits mehr als 200.000mal aufgerufen und von mehr als 11.000 Nutzern mit einem „Gefällt mir“ versehen worden, ruderte Lovelock zurück. Zuvor hatten nicht nur der Rapper Bushido („Schäm dich für deine irrwitzigen, arroganten und weltfremden Äußerungen. Deine Interviews sind schon der letzte Schrott, aber dein beschränktes letztes Video ist die Kirsche auf der Torte“), sondern auch Lovelocks Anhänger dessen Aussagen heftigst kritisiert.

Entsprechend sah sich der Mannheimer zu einem Youtetube-Statement genötigt. Er wolle sich von ganzem Herzen bei allen Menschen, die seine Aussage „Wenn die sagen bleibt zu Hause, dann geh ich raus“ entschuldigen. Das sei so nicht gemeint gewesen. „Wenn mein Zuhausebleiben dafür sorgen kann, daß andere Menschen, ältere und junge Menschen, nein nicht nur Menschen, sondern auch Tiere gerettet, beschützt oder vor dem Tod bewahrt, werden können, dann bleibe ich zu Hause.“ Dennoch zweifle er weiter den Ursprung des Virus an, sehe zudem weiterhin die Interessen der Bundesregierung skeptisch. Es gebe Politiker, die die aktuelle Lage ausnutzten, um „uns Gesetze reinzudrücken, die vor vier Wochen noch nicht möglich waren“.

Influencen ist ein Vabanquespiel. Schnell ist der gute Ruf, den sie oder er sich durch „coole Postings“ hart erarbeitet hatten, futsch. Auch potentielle Marken, die sich Influencer als Partner suchen, um über „Sponsored Posts“ Produkte an deren Follower zu bringen, springen schnell ab.

Für die Influencer geht es um sehr viel Geld. Denn das, was die hippen Jugendidole ihren Fans da in ihren Videos als private Einblicke und nützliche Tips für den Alltag präsentieren, ist in Wirklichkeit oft schlicht bezahlte Werbung. Versicherungen, Banken, Modelabels, Kosmetikfirmen und viele andere Unternehmen bezahlen beachtliche Summen für eine positive Erwähnung durch einen erfolgreichen Jugendbeeinflusser. Entscheidend sind hier vor allem die konkreten Aufrufzahlen der entsprechenden Beiträge sowie die Anzahl der Follower und Kanalabonnenten. Diese Abo-Zahl übersteigt in vielen Fällen deutlich die einer durchschnittlichen deutschen Tageszeitung. 

So zum Beispiel die Düsseldorfer Webvideo-Produzentin Dagi Bee. Die 25jährige, die eigentlich Dagmar Nicole Kazakov (gebürtig: Ochmanczyk) heißt, gehört mit vier Millionen Abonnenten zu den absoluten Topstars im deutschsprachigen Youtube-Game. Branchenexperten schätzen ihr monatliches Einkommen auf mindestens 15.000 Euro. Neben dem Verkauf von eigenen Fanartikeln und Werbeunterbrechungen wird dieses Einkommen vor allem durch die umstrittene Produktplazierung in den Inhalten der Videos generiert. Auch hier macht vor allem die Menge der Aufrufe es aus. Als Faustformel gilt: Für je 100.000 Klicks zahlen die Partnerfirmen dem Kanalbetreiber in Deutschland bis 8.500 Euro. Hinzu kommen sogenannte Affiliate-Links, bei denen der jeweilige Youtuber jedesmal einen gewissen Prozentsatz mitverdient, wenn jemand etwas über einen in oder unter seinem Video verlinkten Link bestellt. 

Hinter dem Erfolg von Dagi Bee steht die Ströer SE & Co. KGaA, ein deutsches, international tätiges, börsennotiertes Unternehmen mit Sitz in Köln, zu dessen zentralen Geschäftsmodellen die Vermarktung von Online- und Außenwerbung gehört. Der Umsatz des Unternehmens soll 2018 bei 1.582,5 Millionen Euro gelegen haben. Sein Geld verdient der Konzern nicht nur mit Youtube-Videos. Unter anderem gehört der Werbefirma mittlerweile das News-Portal t-online.de. Den Kaufpreis erhielt die Deutsche Telekom in Form von neu herausgegebenen Aktien der Ströer SE im Wert von 300 Millionen Euro.

Zu den Big Playern der Influencer-Szene gehört auch die Agentur Mediakraft Networks GmbH. Das Unternehmen hat Büros in Köln, Berlin, Warschau und Istanbul und betreibt mehrere Youtube-Netzwerke. In der Vergangenheit ist die Agentur mehrfach wegen der vermeintlichen Verbreitung von Schleichwerbung, durch angeblich nicht hinreichend gekennzeichnete Produktplazierung, in die Kritik geraten. Auch der Umgang der Marketingprofis mit seinen meist sehr jungen Videomachern selbst war immer wieder Thema. Der damals bei Mediakraft unter Vertrag stehende Youtuber Simon Unge sprach mit Hinblick auf seinen einstigen Arbeitgeber öffentlich von Knebelverträgen. Wenig später wechselte er zum Disney-Konzern gehörenden Netzwerk Maker Studios.

Das Karlsruher Online-Marketing-Unternehmen Paseo Marketing prognostizierte den deutschen Influencern kurz vor der Corona-Krise einen Umsatz von 990 Millionen Euro. Das wäre ein Zuwachs von rund 74 Prozent innerhalb von drei Jahren. 2017 gab es Erlöse von 569 Millionen Euro. Am meisten Umsatz, so Paseo Marketing weiter, machten erfolgreiche Influencer auf der Plattform Instagram, dicht gefolgt von Youtube. Influencer Marketing habe den Vorteil, daß bestimmte Zielgruppen über die Follower der Blogger direkt angesprochen werden könnten.

Knapp 73.000 Euro Umsatz im Monat

Eine Verbraucherbefragung des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW) aus dem vergangenen Jahr hat ergeben, daß jeder vierte Befragte täglich Kontakt zu Influencern bei Youtube, Instagram & Co. hat. Bereits jeder fünfte Deutsche hat Produkte gekauft, weil sie von Influencern beworben wurden. 

Bei den jungen Erwachsenen sei es sogar fast jeder zweite. Je jünger die Befragten waren, desto weniger Probleme hätten sie mit Werbung. Beispielsweise sagten 56 Prozent der 16- bis 24jährigen, daß sie kein Problem mit Influencer-Werbung hätten, sofern diese gekennzeichnet sei. Bei den 35- bis 44jährigen stimmen nur 31 Prozent dieser Aussage zu.

Leon Lovelock kann’s freuen. Im Dezember 2018 verriet der Sport- Youtuber dem Rapblog Raptastisch, daß er in diesem Monat allein mit einem seiner zwei Kanäle Umsätze in Höhe von 72.919 Euro gemacht habe. Dazu kämen „Einnahmen aus Twitch-Streaming, Merchandise und ähnliches“.