© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/20 / 24. April 2020

Start mit Hindernissen
EU-Operation „Irini“ folgt „Sophia“: Der Waffenschmuggel nach Libyen soll unterbunden werden / Kritiker beanstanden Einseitigkeit
Josef Hämmerling / Curd-T. Weick

Sichtlich erleichtert trat der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am 31. März vor die Presse. Nach sechs Wochen „intensiver, schwieriger und komplizierter Verhandlungen“ sei es endlich gelungen, die EU-Operation „Irini“ ins Leben zu rufen. Der katalanische Sozialdemokrat dankte dabei vor allem den Beamten aller Organe der Europäischen Union für die „harte Arbeit“, die sie geleistet hätten, um überhaupt eine Einigung, die „nicht einfach gewesen“ sei, zu ermöglichen. 

Denn seit dem 1. April hat die Operation „Irini“ (griechisch für „Frieden“) die bislang im Mittelmeerraum operierende Operation „Sophia“ abgelöst. Kernaufgabe der EU-Mission ist die Umsetzung des UN-Waffenembargos durch den Einsatz von Luft-, Satelliten- und Seemitteln. 

Versteckter Kampf um Erdgasvorkommen  

Insbesondere soll die Mission in der Lage sein, Inspektionen von Schiffen auf hoher See vor der Küste Libyens durchzuführen, die im Verdacht stehen, Waffen oder damit verbundenes Material von und nach Libyen im Einklang mit der UN-Resolution 2292 (2016) zu befördern.

 Vor allem sind die sekundären Aufgaben vielschichtig. „Irini“ soll die illegalen Ausfuhren von Erdöl, Rohöl und raffinierten Erdölprodukten aus Libyen überwachen und Informationen darüber sammeln. Sie soll einen Beitrag zum Aufbau von Kapazitäten und zur Ausbildung der libyschen Küstenwache und Marine in Strafverfolgungsaufgaben auf See leisten und zudem zur Störung des Geschäftsmodells von Menschenschmuggel- und Menschenhandelsnetzwerken beitragen. 

„Irini“ unterscheidet sich Borrell zufolge stark von der Operation „Sophia“. Letztere trat im Oktober 2015 in ihre aktive Phase ein und ermöglichte die Identifizierung, das Einfangen und die Entsorgung von Schiffen, die im Verdacht standen, von Migrantenschmugglern oder Menschenhändlern benutzt zu werden. Seither hat die Operation nach Angaben der EU-Kommission zur Festnahme und Überstellung von Personen beigetragen, die verdächtigt wurden, von Migranten geschmuggelt oder verschleppt worden zu sein. Vor diesem Hintergrund seien 110 mutmaßliche Schmuggler und Menschenhändler an die italienischen Behörden übergeben und 470 Schiffe neutralisiert worden.

Darüber hinaus trug die Operation jedoch auch zur „Rettung von fast 40.000 Menschenleben“ bei. „Sophia“ wurde gestoppt, da Länder, darunter Italien und Österreich, argumentierten, daß die Mission wie ein „Pull-Faktor“ auf Flüchtlinge wirke.

Ziel der Operation „Irini“ sei ausdrücklich nicht die Sicherung der Flüchtlingswege von Libyen nach Europa, erklärte Borrell. Allerdings gebe es „zusätzliche Aufgaben, die unvermeidlich“ seien. Wenn Flüchtlinge in Seenot aufgefunden würden, müßten sie auch gerettet werden. Ohne ins Detail zu gehen, betonte der 72jährige, gebe es eine Vereinbarung zwischen den Mitgliedstaaten, die sich an der Mission beteiligen werden, wie sie in so einem Fall vorgehen, wo die Flüchtlinge von Bord gehen und wie sie die Last verteilen werden. 

Fragen, ob die Operation „Irini“ nicht eine einseitige Intervention der EU im libyschen Bürgerkrieg sei, da sie die Waffenlieferungen über die ägyptisch-libysche Grenze nicht überwache, wischte Borrell beiseite. Es werde keine Bodentruppen etwa zur Sicherung der Landgrenze geben, um den dortigen Waffenschmuggel zu unterbinden, erklärte der Katalane lapidar, zeigte sich aber überzeugt, daß die „sehr weiträumigen Beobachtungssysteme wie Satelliten und Kurzstreckenbeobachtungssysteme und Schiffsradar das Geschehen an der libyschen Ostgrenze systematisch überwachen“ würden. Dabei stehe auch nicht die Türkei oder irgendein anderes Land im Fokus. Denn der Waffenhandel beschränke sich „nicht nur auf ein Land; es sind viele Länder beteiligt“, betonte Borrell. 

Dies sieht der libysche Großmufti Sheikh Sadik al-Gharyani völlig anders. Er verurteilte die EU-Operation „Irini“. Es handele sich hier lediglich um eine „Piraterie-Mission“, die darauf abziele, das Abkommen zwischen der in Tripolis ansässigen Regierung der Nationalen Einheit (GNA) unter Ministerpräsident Fayiz as-Sarradsch und der Türkei zu untergraben, zitiert der Libya Observer den Islamgelehrten. 

Ähnlich sieht es Anas El Gomati, Gründer und Direktor des in Tripolis ansässigen Sadeq-Instituts. „Es gibt zwei Einreisepunkte nach Libyen, die westliche Seegrenze, die die Türkei benutzt, um Waffen an die GNA-Regierung in Tripolis zu liefern, und die östliche Grenze, die Ägypten und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) benutzen“, um General Khalifa Haftar und seine Libysche Nationale Armee (LNA) „zu unterstützen“, zitiert der katarische Nachrichtensender Al Jazeera El Gomati. Es bestehe kein Zweifel daran, so der Libyer weiter, daß Ägypten und die VAE als die größten Gewinner der „Irini“-Operation vor der libyschen Küste hervorgehen werden. 

Laut El Gomati wurde die „Irini“-Operation „von den Griechen entworfen, um speziell die Türkei ins Visier zu nehmen“. „Griechenland, Zypern, Israel und Ägypten haben alle Ansprüche auf diese Gewässer erhoben, von denen angenommen wird, daß sie reich an Erdgas sind. Sie sind alle bereit, zusammenzuarbeiten, um die Türkei auszuschließen.“

Die neue Marine-Mission der EU in Libyen sei „einseitig und schlecht konzipiert“, kommentiert dann auch Ferhat Polat, Experte des Weltforschungszentrums des staatlichen Nachrichtensenders TRT, in einem Beitrag für die Nachrichtenagentur Anadolu. Die Europäische Union habe versucht, das Waffenembargo umzusetzen, aber diese Bemühungen seien bisher kläglich gescheitert. Einige Länder, darunter die Vereinigten Arabischen Emirate, Rußland, Frankreich und Ägypten, hätten ihre Unterstützung für Haftar noch verstärkt. Mit „Irini“ bestrafe die Europäische  die Opfer und belohne die Täter. 

Es hakt bei der Umsetzung der „Irini“-Mission

Doch noch kann sich Ankara zurücklehnen. Denn „Irini“ hätte am 1. April beginnen sollen, doch es gibt Verzögerungen, da die Mitgliedstaaten nicht die erforderlichen Mittel zur Verfügung stellen, erklärte nun das Online-Portal Bruxelles2 (B2). Im Gespräch mit B2 gab General Claudio Graziano, Vorsitzender des EU-Militärausschusses, zu, daß es – auch aufgrund der Corona-Pandemie – Schwierigkeiten gebe, die „komplexe Aufgabe“, reibungslos umzusetzen. 

Deutschland will sich nach Regierungsangaben an der Operation „Irini“ mit bis zu zwölf Soldaten als Stabspersonal sowie mit Luftaufklärung beteiligen. Auf einer Truppenstellerkonferenz am 2. April in Brüssel sei Führungspersonal für die Hauptquartiere sowie eine Überwachungsplattform angeboten worden, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums nach Angaben von dpa. 

Weitere konkrete Ergebnisse gab es laut B2 bis dato nicht. Einige Faktoren versperrten den Weg so die Brüssler: „Griechenland und Italien streiten um die Befehlsgewalt, nicht alle Länder konnten ihr Angebot erfüllen, und andere müssen die Zustimmung ihrer Regierung oder ihres Parlaments einholen.“