© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/20 / 24. April 2020

Über den eigenen Schatten gesprungen
Irland: Auf dem Weg zur Regierungsbildung überwinden die Staatsparteien Fianna Fail und Fine Gael ihren alten Gegensatz
Daniel Körtel

Dem auch in Irland geltenden sozialen Abstandsgebot zur Bekämpfung der Corona-Pandemie zum Trotz sind sich die nationalkonservative Fianna Fail (FF; „Soldaten des Schicksals“) und die bürgerliche Fine Gael (FG; „Familie der Iren“) auf dem Weg zur Regierungsbildung auf einer entscheidenden historischen Stufe näher gekommen. Nun veröffentlichten beide Parteien ein Grundsatzpapier, das die Rahmenbedingungen für eine Große Koalition festlegt. Die wichtigsten Punkte darin betreffen eine Reform des maroden Gesundheitssystems, die Kindesfürsorge, bezahlbaren Wohnraum, die Einführung eines Existenzminimums, die Klimapolitik und vor allem die Bewältigung der Corona-Krise und ihrer wirtschaftlichen Folgen.

Erreicht werden sollen diese Ziele ohne eine Rückkehr zur harten Sparpolitik, mit der die zurückliegende Wirtschafts- und Finanzkrise bekämpft wurde. Ebenso sollen die Sozialhilfesätze nicht beschnitten, die Einkommenssteuer nicht erhöht und höhere Aufwendungen durch Kredite finanziert werden.

Da jedoch beide Partner in der Parlamentswahl vom vergangenen Februar nicht genug Stimmen auf sich vereinigen konnten, um die absolute Mehrheit von 80 Sitzen zu erreichen, ist das Papier hinsichtlich der Kosten und Details weitgehend offen und gespickt mit Lockangeboten, mit denen kleinere Parteien wie die Grünen, Social Democrats oder Labour sowie einige unabhängige Abgeordnete für den Eintritt in die kleine Große Koalition gewonnen werden sollen. Als die mit 38 Sitzen stärkste Partei – gegenüber den 35 der FG – kann der FF-Vorsitzende Micheál Martin voraussichtlich den noch amtierenden Ministerpräsidenten Leo Varadkar (FG) ablösen.

Die Große Koalition wäre für Irland ein vollkommen neues politisches Experiment. „Civil War politics“ ist der Inbegriff jenes scheinbar unüberwindlichen Gegensatzes zwischen FF und FG, der seit fast 100 Jahren die irische Politik bestimmt. In ihm schieden sich Befürworter und Gegner des anglo-irischen Vertrages, der 1922 Irland als Freistaat in die Unabhängigkeit entließ. Die neugewonnene Freiheit war aber an gewisse Zugeständnisse gegenüber Großbritannien geknüpft, so den Treueeid zur Krone, britische Marinebasen und vor allem die als besonders schmerzhaft empfundene Abtrennung des protestantischen Nordirlands. Es folgte ein Bürgerkrieg, worauf sich ein Jahr danach die Vertragsbefürworter durchsetzten, die später die FG gründeten, während sich die Verlierer in der FF sammelten. Seitdem bestimmten beide Parteien abwechselnd die Geschicke des Landes.

Das Ergebnis der letzten Parlamentswahl hat dieser traditionellen Machtbalance aus arithmetischen Gründen jedoch die Grundlage entzogen. Weder FF noch FG sind stark genug, eine Regierung zu bilden. Erschwerend kommt hinzu, daß die linksnationalistische Sinn Féin („Wir selbst“; SF) mit 37 Sitzen einen historischen Erfolg verbuchen konnte, der die FF und FG erst deklassierte. So ist der gemeinsame Wille von FF und FG vor allem von dem Konsens getragen, die SF als früheren politischen Arm der Terrororganisation IRA aus jeder möglichen Regierungsbildung herauszuhalten. Im Schatten der Corona-Krise fiel das öffentliche Echo verhalten aus. Lediglich in der FF wird innerparteilicher Widerstand erwartet.

Zurückhaltend hingegen waren die Reaktionen der kleineren Wunschpartner. Ihr Gesprächsbedarf über die Klärung der noch ausstehenden Details ist daher groß.