© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/20 / 24. April 2020

Zombiefirmen profitieren von Hilfspaketen
Corona-Krise: Die Flucht ins Schutzschirmverfahren rettet nicht nur gesunde Unternehmen
Paul Leonhard

Aufträge werden storniert, Geschäfte müssen geschlossen bleiben, Kunden und Umsätze bleiben aus – viele Branchen trifft der Shutdown hart. Mittelständler und Selbständige kämpfen um ihre Existenz. Selbst bekannte Namen und Großkonzerne rufen nach der Obrigkeit, darunter solche, die schon vor der Pandemie durch Mißmanagement ins Wanken geraten waren. Etwa der im Waggonbau aktive kanadische Bombardier-Konzern mit Werken in Hennigsdorf, Bautzen und Görlitz. Siemens will nach einem Bloomberg-Bericht einen Kredit von drei Milliarden Euro aufnehmen. Dabei hatte Konzernchef Joe Kaeser noch kürzlich versichert, man sei „ein starkes Unternehmen mit einer hohen Liquidität“.

Bei Volkswagen ist die Produktion in Zwickau und Preßburg (Bratislava) wieder angelaufen, in die Zukunft möchte der weltgrößte Autobauer aber lieber nicht blicken: „Es ist im Moment nicht absehbar, wann eine neue Prognose für das aktuelle Geschäftsjahr möglich ist“, teilte der Vorstand mit. „Die durch die Pandemie hervorgerufenen Auswirkungen auf die Kundennachfrage, Lieferketten und die Produktion sind aktuell nicht verläßlich einschätzbar.“ Im ersten Quartal lag der Umsatz fünf Milliarden Euro unter dem Vorjahresergebnis.

Der „Volksstromer“ ID.3 auf sächsischen Parkplätzen

Im Februar überholte der Renault Clio den neuen Golf 8 beim Absatz in Europa. Auch der gefeierte „Volksstromer“ ID.3 soll mit „Softwareproblemen“ auf sächsischen und ostfriesischen Parkplätzen stehen: Das VW-Elektroauto sei „weit entfernt von der Marktreife“, zitierte die Süddeutsche Zeitung schon vor dem Shutdown eine interne Quelle.

Finanzhilfen hat der global aktive Oberflächenspezialist Nanogate SE bei der Staatsbank KfW beantragt. Aber für den Autozulieferer laufen die Geschäfte schon länger nicht mehr rund. Für 2019 meldete das im Saarland ansässige Unternehmen einen Verlust von 14 Millionen Euro. Anleger sehen allerdings positiv, daß die Banken einer Verlängerung der Aussetzung der Kreditbedingungen bis Ende August zugestimmt haben. Die Aachener „e.GO Mobile“ machte schon voriges Jahr einen 50-Millionen-Verlust, „grüne“ Investoren halfen aber aus. Doch zu Monatsanfang war Schluß – die E-Auto-Firma flüchtete in ein Schutzschirmverfahren.

Das ist eine besondere Form des deutschen Insolvenzrechts, die für eine begrenzte Zeit vor den Forderungen der Gläubiger schützt. „Wir wären in vier bis fünf Monaten eigentlich aus dem Gröbsten raus gewesen“, behauptete e.GO-Gründer Günther Schuh im Handelsblatt. Aber schon seine Streetscooter-Idee entwickelte sich für die Deutsche Post zum „Verlustbringer auf Rädern“ (JF 12/20). Und wer soll angesichts der globalen Konkurrenz ausgerechnet das in Kleinserie hergestellte Miniauto „e.GO Life“ kaufen? Selbst Tesla hat bislang noch in jedem Jahr Verluste ausgewiesen, die potente Investoren überdeckten. Der Bau der umstrittenen „Gigafactory Brandenburg“ stockt derzeit.

Um Millionen Arbeitsplätze geht es in der Gastronomie, bei den Modeketten und Bekleidungshändlern sowie in der Reisebranche. Doch auch hier gibt es solche und solche: Zuerst zog das Management der Restaurantkette Vapiano die Notbremse und flüchtete in ein Schutzschirmverfahren. Für die 35 „Maredo“-Steakhäuser war es dafür offenbar schon zu spät. Das 1973 gegründete Unternehmen erklärte am 24. März beim Düsseldorfer Amtsgericht Insolvenz in Eigenverwaltung. Doch im Gegensatz zur erfolgreichen „Block House“-Konkurrenz war „Maredo“ längst angeschlagen: „Absturz einer Steakhaus-Kette“ titelte bereits 2018 Die Welt.

Ebenfalls für das Schutzschirmverfahren entschieden sich Tochtergesellschaften der Modekette Esprit und der Konzern Galeria-Karstadt-Kaufhof. Der rechnet bis Ende April mit einem Umsatzverlust von einer halben Milliarde Euro, nachdem am 18. März auf staatliche Anweisung alle 170 Warenhäuser schließen mußten. Auch eine erfolgreiche Klage gegen die NRW-Coronaschutzverordnung hätte nichts am Grundproblem des Geschäftsmodells geändert: Hertie verschwand 2009, die einstigen US-Riesen Sears und Macy’s sind seit Jahren im Endkampf.

Adidas mußte die meisten seiner Geschäfte weltweit schließen. Doch obwohl der milliardenschwere Dax-Konzern in den Händen globaler Investoren ist, hat die Zentrale im mittelfränkischen Herzogenaurach „mit mehr als 100 Nationalitäten“ (Eigenwerbung) den deutschen Staat entdeckt und mit der KfW einen Kreditrahmen von 2,4 Milliarden Euro und mit Privatbanken Darlehen von über 600 Millionen Euro bei einer Laufzeit bis Sommer 2021 vereinbart. Die Eigentümer BlackRock, FMR LLC, der kanadische Desmarais Family Residuary Trust oder der Elian Corporate Trustee von den Cayman-Inseln hatten offenbar weniger Mitgefühl.

Niedrige Flughafengebühren und Ölpreise hilfreich?

Auch die Lufthansa, wegen EG-Richtlinien zu über 80 Prozent unter deutscher Kontrolle stehend, ist keine „Zombiefirma“ (Markus Krall), doch ihr drohen Umsatzeinbußen von 80 Prozent. „Ohne staatliche Hilfe könne das Unternehmen die Krise nicht bewältigen“, warnte Konzernchef Carsten Spohr. Selbst wenn ein Kanzler Armin Laschet den radikalen Exit aus dem Shutdown anordnen würde, brächte das nur bedingt etwas: Die Flugzeuge dürften außerhalb Deutschlands nicht landen, zwei Drittel der Plätze müßten aus Distanzgründen frei bleiben. Immerhin gibt es in den Jets ein „High-efficiency particulate air“-Filtersystem, das hygienischer ist als die Klimaanlagen in Bahn, Bus oder auf Schiffen.

Die USA stützen ihre zehn großen Airlines mit 25 Milliarden Dollar. Auch „The Big Three“ vom Golf – Emirates, Qatar und Etihad – werden nicht abgeschrieben. Unklar ist die Zukunft des Ferienfliegers Condor, der 2019 aus der Konkursmasse des britischen Reisekonzern Thomas Cook mit 380 Millionen Euro von der KfW gerettet wurde. Doch der polnische Staatskonzern PGL – Eigentümer der Lot und der estnischen Nordica – mußte coronabedingt vom Kaufvertrag zurückgetreten. Nun ist wieder die KfW gefragt. Der britische Billigflieger Easyjet, der in Deutschland viele Air-Berlin-Strecken ersetzt, kann laut Firmenchef Johan Lundgren bis zu neun Monate Stillstand überstehen.

Und der zypriotische Hauptanteilseigner Stelios Haji-Ioannou hat dafür gesorgt, daß eine milliardenschwere Airbus-Bestellung reduziert wird – mit Konsequenzen für deutsche Flugzeugwerke. Ob der verschuldete und durch den Boeing-737-Max-Pfusch gebeutelte Urlauberflieger Norwegian den 4. Mai übersteht, entscheiden dann Aktionäre, Gläubiger und Flugzeugverleaser. Ryanair-Chef Michael O’Leary verwies auf 3,8 Milliarden Euro Cash, die zu drei Viertel schuldenfreie Boeing-737-800-Flotte. Bei dem zum Neustart erwarteten „Preiskrieg“ seien die niedrigen Ölpreise und niedrigere Flughafengebühren hilfreich.

Fast jede fünfte Firma sehe sich durch Corona von Isolvenz bedroht, jede vierte rechnet mit massiven Einbrüchen – so das Ergebnis einer Umfrage der IHK Nord unter mehr als 4.500 Betrieben. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt die IHK Chemnitz: 85 Prozent der Firmen rechnen mit gravierenden Umsatzrückgängen, 95 Prozent befürchten negative Auswirkungen auf ihre Geschäfte, 22 Prozent gaben an, akut von Insolvenz bedroht zu sein.

Immerhin entbindet das neue „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht“ Firmen bis zum 30. September von der Pflicht, bei Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit einen Insolvenzantrag zu stellen, wenn es dazu „vermutlich“ durch die Corona-Krise gekommen sei. Wie viele „Zombies“ dadurch am Leben gehalten werden, ist nicht absehbar.

 bmjv.de