© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/20 / 24. April 2020

Verhinderte Buchungswarnung
Thomas-Cook-Pleite: Die Bundesregierung will trotz der Corona-Krise Urlauber bis Jahresende entschädigen
Hermann Rössler

Für Bruno Bürgel war die „Leidenschaft des Reisens das weiseste Laster, welches die Erde kennt“. Den Boom im Nachkriegsdeutschland erlebte der 1948 verstorbene Berliner Schriftsteller allerdings nicht mehr: 2019 unternahmen die Deutschen 70 Millionen Urlaubs- und 88 Millionen Kurzreisen von bis zu vier Tagen. Doch in diesem Jahr dürfte der Corona-Shutdown der Reisebranche existentiell zusetzen. Und wer schon auf gepackten Koffern saß, muß diese wieder ausräumen.

Aber was ist mit dem ausgegebenen Geld für Flug, Hotel oder Pauschalreise? Die Bundesregierung ermöglichte es den Touristikanbietern, Kunden, die vor dem 8. März gebucht haben, statt Rückzahlungen Gutscheine auszustellen – mit einer Gültigkeit bis Ende 2021. Erst danach gibt es das Geld zurück. Nach der seit 2018 EU-weit geltenden Pauschalreiserichtlinie stehen die Veranstalter eigentlich in der Pflicht, ausfallende Flüge innerhalb von sieben und Pauschalreisen innerhalb von 14 Tagen zu erstatten. Brüssel muß den deutschen Kompromiß noch absegnen. Die meisten Fluggesellschaften bieten kostenlose Umbuchungen an.

Der Präsident des Deutschen Reiseverbands (DRV), Norbert Fiebig, freute sich, der Beschluß käme „gerade noch rechtzeitig“. Die Rückzahlungspflicht hätte sonst „sehr viele Unternehmen in die Insolvenz getrieben“. Der Verbraucherzentrale Bundesverband bemängelte dagegen, die „Zwangsgutscheine verteilen die Lasten auf eine unzumutbare und unfaire Weise“, so Verbandschef Klaus Müller. Es sei nicht am Staat zu verordnen, „wofür die Menschen ihr Geld ausgeben“, so der frühere grüne Umweltminister Schleswig-Holsteins.

Auch Marija Linnhoff vom Verband unabhängiger selbstständiger Reisebüros (VUSR) mahnt: Kunden und Reisebüros dürften nicht zu „Banken der Veranstalter werden“. Die Bundesregierung habe es versäumt, „eine funktionierende Kundengeldabsicherung zu verabschieden“. Die in der Boulevardpresse „Orakel aus Iserlohn“ genannte VUSR-Chefin warnte übrigens schon Februar 2019 bei einem „Parlamentarischen Frühstück“ in Berlin vor der absehbaren Thomas-Cook-Pleite.

Hunderttausende von der Insolvenz betroffen

Es wurden „Preise auf den Markt geworfen, die jeden kaufmännisch denkenden Reiseverkäufer stutzig gemacht haben“, so Linnhoff in den Badischen Neuesten Nachrichten. Doch „ich wurde belächelt. Die Politik glaubte mir nicht, weil alle anderen touristischen Verbände nicht auf meiner Seite standen.“ Aus rechtlichen Gründen durfte sie aber keine Warnung herausgeben: „Der VUSR hat nur die reinen Fakten weitergegeben. Die Bewertung war Sache jedes einzelnen“ – Konzernanwälte verstehen keinen Spaß.

Doch im September meldete Thomas Cook Insolvenz an. Der britische Mutterkonzern riß die deutschen Ableger – Neckermann, Bucher Reisen, Öger Tours und die Fluglinie Condor – mit in die Pleite. Während sich kein Käufer für den Gesamtbetrieb finden ließ, übernahm Galeria Karstadt Kaufhof 106 von 125 Reisebüros. Anex Tour kaufte Bucher und Öger, Condor wurde ein Fall für die Staatsbank KfW. Aber über 600.000 Urlauber waren zum Zeitpunkt der Thomas-Cook-Insolvenz über den Konzern verreist, mußten aufwendig in die Heimat zurückgebracht werden. Zehntausende hatten bereits weitere Reisen gebucht. Dirk Wieland berichtet der JF, mit seiner Familie und der seiner Schwägerin habe er sich im Oktober 2019 auf die Mittelmeerinsel Mallorca gefreut. Statt Sonne, Sand und Meer muß der 50jährige sich nun aber um sein Geld sorgen.

Thomas Cook war zwar über die Zurich Insurance Group versichert, allerdings nur bis zu der in Deutschland gesetzlich vorgeschriebenen Haftungsobergrenze von 110 Millionen Euro. Schon im November waren jedoch Schadensmeldungen von 250 Millionen Euro eingegangen. Dafür wird die Züricher Versicherung nicht aufkommen. Die deutsche Gesetzgebung beißt sich hier mit der EU-Pauschalreiserichtlinie. Nicht zuletzt um Klagen zu verhindern, garantierte die Bundesregierung den Geschädigten, die übrige Summe zu übernehmen.

Wieland kontaktierte also im Oktober den hessischen Touristikdienstleister Kaera AG, der die Verfahren für die Zurich abwickelt. Im März landeten 17,5 Prozent des gezahlten Betrags für einen Teil seiner Familie „unter Vorbehalt einer eventuellen Rückforderung“ auf seinem Konto. Die 17,5 Prozent ergeben sich aus den verfügbaren 110 Millionen Euro der Versicherung. Bis Ende Juni gibt die Kaera an, alle Gläubiger entschädigt zu haben. Und erst dann will auch die Bundesregierung zahlen. Auf der Seite des Bundesjustizministeriums (BMJV) wird angekündigt, „im Frühjahr“ ein Webformular bereitzustellen, durch das Ansprüche geltend gemacht werden können.

Neben einer Menge Papierarbeit und Telefonaten mit Versicherungen, die nicht immer zu erreichen sind, und Ministerien, die jeweils andere Zuständigkeiten haben, bangt Wieland um sein Geld, besonders in Anbetracht der Corona-Pandemie. In einer Mail vom BMJV heißt es: „Zudem erschwert die Covid-19-Pandemie die Vorbereitungsarbeiten.“ Auf Anfrage der JF bekräftigt das Ministerium aber, bis Ende 2020 alle Forderungen begleichen zu wollen. „Nicht, daß die Bundesregierung die Krise zum Anlaß nimmt, uns auf den Kosten sitzen zu lassen“, sorgt sich Wieland.

Der Thomas-Cook-Fall kann sich als trauriges Paradebeispiel für Urlaubsanbieter erweisen, die nun mit dem Corona-Shutdown und der Insolvenz kämpfen müssen. Ein Gutachten der Kanzlei Burkhardt, das der FAZ vorliegt, bemißt die von Reiseunternehmen zurückzuzahlende Summe bis Ende April auf 3,5 Milliarden Euro. Und Bruno Bürgel müßte man heute erwidern: Die Leidenschaft des Reisens ist derzeit weniger weise, dafür mehr eine Last und zwar für Anbieter und Kunden.

 www.kaera-ag.de