© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/20 / 24. April 2020

Blauäugig Geld verteilt
Corona-Soforthilfe: Je schneller das Geld fließen soll, desto geringer sind die Barrieren, um einen Betrug zu begehen
Martina Meckelein

Ein riesiger Topf voll Gold: Der Bund stellte Mitte März dieses Jahres 50 Milliarden Euro Corona-Soforthilfe zur Verfügung, um Kleinstunternehmer das geschäftliche Überleben zu ermöglichen – und das schnell und unbürokratisch. Doch soviel Geld lockt auch Kriminelle aus dem In- und Ausland an. Populärster Fall in Deutschland: Die Berliner Staatsanwaltschaft ermittelt gegen einen islamistischen Haßprediger. Ahmad A. steht in Verdacht, gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin 18.000 Euro Corona-Hilfe erschlichen zu haben. 

Das Geld der schwer arbeitenden Ungläubigen scheint Ahmad A. und seine Partnerin, sie soll Sozialhilfeempfänger sein, in diesem Fall nicht „haram“ gewesen zu sein. Doch die Muslime sind kein Einzelfall. Hunderte von Anzeigen werden derzeit geprüft. Der Schaden ist allerdings noch nicht bezifferbar: Sicher scheint jedoch schon jetzt, daß er in die Millionen geht. Und die Antragsfrist läuft noch bis Ende Mai. Und das sind nur Bundesmittel. Einzelne Länder haben eigene Soforthilfeprogramme aufgesetzt. Wie agieren die Kriminellen und wie steuern die Länder dagegen, um unsere Steuergelder zu schützen?

„Um den Aufwand für die Antragsteller gering zu halten, sind nur wenige Angaben notwendig, um einen Antrag zu stellen“, erklärt Matthias Stoffregen vom Wirtschaftsministerium Sachsen-Anhalt gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. 200 Millionen Euro hat das Land bereitgestellt. „Auf das Einreichen von Belegen und Nachweisen wurde von den Richtliniengebern, Bund und Land, ganz bewußt verzichtet. Die Anträge können aufgrund dieser Vorgehensweise nur auf Plausibilität geprüft werden.“ Sachsen-Anhalt scheint aber nicht so blauäugig zu sein wie andere Bundesländer. Es hat laut Stoffregen „bislang auf Online-Verfahren verzichtet“. 

41 Ermittlungsverfahren wegen Betrugs in Berlin

Die Anträge müssen heruntergeladen und ausgefüllt, dann per Post oder E-Mail an die Investitionsbank Sachsen-Anhalt gesendet werden. „Das Verfahren“, so Stoffregen, „schützt vor Mißbrauch- und Betrugsfällen, wie sie es in Nordrhein-Westfalen gegeben hat.“ Diese Kontrollen erklären aber auch, warum von den 37.000 bisher eingegangenen Anträgen nur 6.700, allerdings mit einem Gesamtvolumen von 63,2 Millionen Euro (Stand 15.04.), bewilligt wurden.

 Zurück nach Berlin: Am Mittwoch vergangener Woche durchsuchten Beamte des Landeskriminalamtes Räume in der Sprengelstraße. Hier leben Ahmad A.  (46) und seine Lebensgefährtin. Der Mann ist ein sogenannter Gefährder. Ein islamistischer Haßprediger. Früher predigte er in der seit 2018 geschlossenen As-Sahaba-Moschee im Wedding. Die Fahnder entdeckten 18.000 Euro, sicherten das Geld und elektronische Geräte, so die Staatsanwaltschaft. Es bestünde der Verdacht, daß der Mann gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin und der Schwiegermutter 18.000 Euro sich widerrechtlich angeeignet habe – aus der Corona-Soforthilfe. 

Der Mann soll, laut Bild, angegeben haben, Honighändler zu sein. Der Verdacht der Ermittler: Ahmad A. plante das Geld zur Terrorfinanzierung einzusetzen. 

Allerdings, so berichtet der RBB, kamen die Beamten dem Mann nicht durch Abgleich der Angaben auf dem Corona-Antrag auf die Spur. Es waren Fahnder des LKA 8, zuständig für Islamismus, denen die Transaktionen im Zusammenhang mit ihrem alten Bekannten auffielen. Demnach soll erst die Lebensgefährtin 9.000 Euro beantragt haben und dann noch mal die Schwiegermutter, ebenfalls 9.000 Euro. Die hatte zwar einen Gewerbeschein vorzuweisen, aber offenbar, so der Sender, sei mehr als fraglich, ob sie coronabedingte Einbußen hatte, da sie kein Geschäft betrieben haben soll, das geschlossen werden mußte. 

Im Fall der Frauen des islamistischen Honigmannes geht es um simplen Subventionsbetrug, strafbar nach Paragraph 264 StGB, darüber hinaus droht ihnen ein Verfahren wegen falscher Versicherung an Eides statt – Paragraph 156 StGB. Die JUNGE FREIHEIT fragte natürlich auch in der Berliner Wirtschaftsbehörde nach – bis Drucklegung gab es keine Resonanz. Die Generalstaatsanwaltschaft in Berlin hingegen veröffentlichte, daß bis zum 17. April das Landeskriminalamt schon 41 Ermittlungsverfahren wegen Subventionsbetrug bearbeite.

 Der Berliner Fall ist symptomatisch für die Auszahlungsregelungen. Denn je schneller das Geld fließen soll, desto geringer gestalten sich zwangsweise die Kontrollmechanismen und damit die Barrieren, um einen Betrug zu begehen.

 Einen Mittelweg zwischen schneller Auszahlung und Plausibilitätsprüfung hat dagegen der Freistaat Thüringen von Anfang an eingeschlagen. Resultat: Von 34.180 Anträgen wurden bis zum 15. April 13.438 bewilligt und 79 Millionen Euro ausbezahlt. Peggy Hoy, stellvertretende Pressesprecherin des Thüringer Wirtschaftsministeriums, zur jungen freiheit : „Ein weiterer wichtiger und auch moralischer Aspekt beim Umgang mit öffentlichen Mitteln, also letztlich Steuermitteln ist – und das ist auch anders im Vergleich zu anderen Bundesländern –, daß wir auf die Unterschrift des Antragstellenden bestehen, statt daß dieser nur ein digitales Formular absenden muß.“ Im Freistaat werden die IBAN-Nummern doppelt kontrolliert, und es wird nur auf inländische IBAN-Nummern ausgezahlt.

Sachsen nutzt ein doppeltes Unterschriftenverfahren

Auch in Rheinland-Pfalz müssen die Anträge unterschrieben und per PDF eingereicht werden. „Zudem verlangen wir die Kopie des Personalausweises“, so Nicola Diehl vom Wirtschaftsministerium. Das ist nicht alles: Steuernummer, Nachweis, daß das Unternehmen in Rheinland-Pfalz geführt wird, und der Liquiditätsengpaß muß deutlich gemacht werden. Vielleicht sind es diese Hürden, die dazu führen, daß in Rheinland-Pfalz bisher nur 67.900 Anträge eingegangen sind, davon 40.000 bearbeitet wurden? „Wir wollen daß das Geld bei den notleidenden Unternehmern ankommt und nicht auf den Konten der Betrüger.“ 128 Millionen Euro wurden bisher bewilligt.

 Baden-Württemberg hat ein zweistufiges Prüf- und Bewilligungsverfahren. „Nach unserer Kenntnis als einziges Bundesland“, so Katja Lumpp aus dem Wirtschaftsministerium. Eingebunden sind alle zwölf Industrie- und Handelskammern, die acht Handwerkskammern und das Landesamt für Landwirtschaft, Ernährung und Ländlichen Raum. Auch Baden-Württemberg hat ein zusätzliches Landesprogramm aufgelegt. Insgesamt wurden bis zum 16. April 196.225 Anträge nach der Prüfung und Beurteilung an die Landesbank übermittelt. Und davon 157.868 Anträge bewilligt. Die Auszahlungshöhe beträgt laut Ministerium 1,529 Milliarden Euro. 80 Prozent der Anträge entfallen auf die Kategorie bis fünf Vollzeitäquivalente (Arbeitsplätze auf einen Vollzeitarbeitsplatz umgerechnet) zu 9.000 Euro und neun Prozent auf die Kategorie sechs bis zehn Vollzeitäquivalente zu 15.000 Euro. Diese Gelder stammen aus dem Bundesprogramm. 

Knapp acht Prozent entfallen auf elf bis 50 Vollzeitstellen und werden über das Landesprogramm finanziert, über drei Prozent gibt es keine Angaben. Nach Bekanntwerden der Betrugsfälle in Nordrhein-Westfalen wurden die Sicherheitsmaßnahmen noch einmal verschärft, so das Ministerium. Bisher seien nur wenige Betrugsfälle identifiziert worden. Es handele sich dabei um falsche Unterschriften oder Beantragung Dritter aus dem persönlichen Umfeld von Unternehmern.

 Auch der Freistaat Sachsen hat ebenfalls ein zusätzliches Hilfspaket unter dem Namen „Sachsen hilft sofort“ geschnürt. Es handelt sich um Darlehensanträge, die ein doppeltes Unterschriftenverfahren benötigen. „Seit dem 23. März können Unternehmen – auch Soloselbständige – mit einem Jahresumsatz von bis zu einer Million Euro von diesem Darlehensprogramm profitieren und Hilfen bis zu 50.000 Euro beantragen“, erklärt Kathleen Brühl vom Wirtschaftsministerium.

 Am 17. April ist das Förderprogramm auf Unternehmen mit bis zu 100 Mitarbeitern und mehr als eine Million Euro Jahresumsatz ausgeweitet worden. Sie können bis zum 30. September Darlehensbeträge bis zu 100.000 Euro beantragen. Bisher sind 15.065 Anträge eingegangen und davon 6.193 mit einem Volumen von 205,9 Millionen Euro bewilligt. Wer Soforthilfe vom Bund beantragt, wird in Sachsen von der Sächsischen Aufbaubank-Förderbank (SAP) überprüft. 61.611 Anträge gingen bisher ein, 43.000 mit einem Volumen von 354,3 Millionen Euro wurden bewilligt.

Immer wieder verweisen die Ministerien der Länder auf Nordrhein-Westfalen. Welche Folgen fehlende Kontrollmechanismen haben, ist dort zu beobachten. „Das Antragsverfahren ist rein digital“, bestätigt Kim-Anh Ngzyen vom dortigen Wirtschaftsministerium gegenüber dieser Zeitung. 384.927 Anträge gingen bis vergangene Woche ein, 363.760 von ihnen wurden genehmigt, mehr als drei Milliarden Euro bisher ausgezahlt.

 Eine genaue Zahl der Mißbrauchsfälle könne das Ministerium „aufgrund der Komplexität der Ermittlungen“ derzeit nicht nennen. Bei der Polizei in NRW seien allerdings bis zum 15. April ca. 450 Online-Strafanzeigen mit Bezug zu Betrugsdelikten mittels gefälschter Webseiten eingegangen. Das heißt: von Opfern. Denn die Unternehmen haben keinen Cent gesehen.

Viele Mißbrauchsfälle sind noch nicht erkannt 

Was ist denn dort genau passiert? Einerseits kopierten Kriminelle über einen Server in den USA und mittels der Hilfe eines Anwalts aus Panama die komplette Seite des nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministeriums. Auf dieser Seite, mit einem anderen Domainnamen, war auch der Antrag der Corona-Soforthilfe. 

Den füllten nichts ahnend die Kleinstunternehmer auf der Fake-Seite aus. Die Kriminellen ersetzten deren Kontonummer mit ihrer eigenen und schickten den Antrag mit den so abgegriffenen korrekten Daten der Antragsberechtigten, aber eben mit der falschen Kontonummer, ab. Nachdem der massenhafte Betrug aufgefallen war, nahm NRW den Antrag vom Netz. Die Fake-Seite konnte gelöscht werden. Darüber hinaus will das Land, so das Ministerium gegenüber der jungen freiheit, eine „Sicherheitsschleife“ aktivieren, und auf die Unterstützung der Finanzverwaltung in Nordrhein-Westfalen zurückgreifen. Die NRW-Soforthilfe soll nur noch auf ein dem Finanzamt bekanntes Konto überwiesen werden.

 Wie in Nordrhein-Westfalen kaperten Kriminelle die Antragsseite der Investitions- und Förderbank Hamburg (IFB), über die die Unternehmen der Hansestadt Hilfe beantragen können. Die Fakeseite war vermutlich seit dem 11. April online. In Hamburg kamen Mitarbeiter der IFB, wohl auch sensibilisiert wegen des Falls in NRW, den Gangstern schnell auf die Spur. 

Nach Bekanntwerden wurde die Fakeseite auf einem Server in Tschechien innerhalb zweier Stunden vom Netz genommen. Das LKA ermittelt. „In Puncto Sicherheit erfolgt die Eingabe der persönlichen Daten über ein Log-in-Verfahren“, so Christian Füldner von der Wirtschaftsbehörde. „Selbstverständlich gibt es weitere nachgelagerte Sicherheitsprozesse.“ In dem aktuellen Fall sei vermutlich kein Schaden entstanden. Bis zum 16. April wurden von den 44.062 Anträgen 36.002 bewilligt. Auszahlungssumme: 145.239.351 Euro.

 In Bremen sind über Bundes- und Landeshilfsprogramme 14.000 Anträge eingegangen, davon 4.000 bisher bewilligt und 18 Millionen Euro ausgegeben. Bis zum 21. April konnten Anträge händisch ausgefüllt werden. Es gibt bisher nur „eine einstellige Anzahl von Anzeigen“, so Kai Stührenberg, Sprecher der Bremer Wirtschaftssenatorin, zur JF. Demnach wurden ausländische Bankverbindungen angegeben und gefälschte Personalausweise eingescannt.

 Stührenbergs Betrugsprognose ist allerdings ernüchternd: „Wir gehen davon aus, daß in der Nachprüfung eine dreistellige Zahl zustande kommen wird.“ Zu dem Schluß kommt man auch in Sachsen, obwohl im Freistaat noch keine Mißbrauchsfälle bekannt geworden seien. „Der Anteil der mißbräuchlich gestellten Soforthilfeanträge läßt sich aktuell auch noch nicht beurteilen“, so Kathleen Brühl. „Da wesentliche Angaben zu den Fördervoraussetzungen zunächst aufgrund von Eigenerklärungen der Antragsteller erfolgen, ist dies erst im Rahmen der Verwendungsnachweisprüfung möglich.“ 

Die Antwort der Pressesprecherin wurde von der Realität schon Stunden später eingeholt. Die Auszahlung der Soforthilfe-Zuschüsse des Bundes wird bis zur Klärung des Sachverhalts gestoppt“, teilte die Sächsische Aufbaubank am Donnerstag abend mit. Wie in Nordrhein-Westfalen und Hamburg wurden auch in Sachsen gefakte Webseiten in Umlauf gebracht, um Corona-Hilfen umzuleiten.