© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/20 / 24. April 2020

Übers Ziel hinausgeschossen
Der Schriftsteller Wolfgang Bittner hat eine Anklageschrift gegen den US-Imperialismus verfaßt
Thomas Fasbender

Seit seinem Ukraine-Bändchen „Die Eroberung Europas durch die USA“ (JF 22/15) ist Wolfgang Bittner als aufmerksamer Beobachter der imperialen US-Politik bekannt. Jetzt hat er deren Gesamtkritik vorgelegt: „Der neue West-Ost-Konflikt.“ Das Urteil fällt vernichtend aus, vor allem mit Blick auf die Komplizenschaft der Bundesrepublik seit ihren Anfängen.

Daß die USA hierzulande seit Jahrzehnten erstklassige PR- und Lobbyarbeit leisten, steht außer Frage. Die Netzwerke arbeiten wie geschmiert, vor allem wenn es um die Positionierung gegen Rußland geht. So spiegelt die Ausleuchtung der russischen Politik in den Mainstream-Medien unisono den jeweils proamerikanischen „Spin“.

Großmächte spielen alle nach ihren eigenen Regeln

Bittner liefert eine Tour d’horizon der US-Großmachtpolitik von der Ukraine bis Venezuela. Abschnittstitel wie „Berufen, die Welt zu beherrschen“ und „Einmischung und Sanktionen als verdeckte Kriegsführung“ geben eine Vorstellung davon, wohin die Reise geht. Er wäre jedoch glaubwürdiger, wenn Rußland in weniger rosigen Farben erstrahlte. In der Realität stehen die Rivalen USA, China und Rußland einander kaum nach; alle spielen nach ihren eigenen Regeln. Und die sind weder appetitlich noch moralisch. Gut und Böse sind sekundär.

Als Leser hätte man sich auch gefreut, statt der gewiß legitimen Empörung des Autors über die Untaten der USA mehr über die geopolitischen Machtverhältnisse und ihre Verschiebungen zu erfahren. Anders ausgedrückt: weniger Anklage, mehr Analyse. 

Zu kurz kommen auch die konkreten Handlungsvorschläge für eine künftige deutsche oder europäische Politik. Bittner erkennt zwar die Bedeutung des deutsch-französischen Verhältnisses, lehnt aber die Vorstellungen von Emmanuel Macron und den Deutsch-Französischen Freundschaftsvertrag von 2019 ab – das Dokument ist ihm zu militärisch angehaucht. Mit der Empfehlung, zwischen Deutschland und Frankreich würde „ein gutnachbarliches Verhältnis durchaus genügen“, überschätzt Bittner die einzelstaatlichen Gestaltungsspielräume dann doch gewaltig. In der Kakophonie von Mächten wie den USA, China und Rußland haben die westeuropäischen Interessen ohne eine grenzüberschreitende, zumindest die Achse Berlin-Paris umfassende Sicherheitszusammenarbeit keinerlei Chance auf Gehör.

Bisweilen klingt Bittner geradezu unpolitisch, etwa wenn er „ein geeintes Europa der Nationalstaaten, und zwar unter Einbeziehung Rußlands“, für wünschenswert hält. Das ist Polit-Fiktion, ähnlich solchen pazifistischen Forderungen der achtziger Jahre wie „Frieden schaffen ohne Waffen“. In einem Jahrhundert, in dem das chinesische Comeback die globalen Gleichgewichte nachhaltig verändern und Amerika seinen europäischen Brückenkopf unter allen Umständen verteidigen wird, ist die Hoffnung auf ein idyllisches Nebeneinander europäischer Nationalstaaten von Lissabon bis Wladiwostok schlichtweg naiv.

Deutschland lediglich als politisches Objekt betrachtet

Bittners größtes Manko liegt darin, daß er die Rolle einiger geopolitischer Maximen im Verhältnis der angelsächsischen Mächte zu Deutschland überbewertet. Konkret geht es um die Eindämmung deutscher Machtambitionen und möglicher deutsch-russischer Annäherungen. Daß einflußreiche britische und US-Strategen solche Maximen vertreten haben (und heute noch vertreten), ist unbestritten. Dennoch ist es wenig zielführend, den Ausgang langfristiger, historischer Prozesse allein den Strategiezielen einer der Konfliktparteien zuzuschreiben.

Genau das aber versucht Bittner. Dabei hilft ihm das konsequente Kleinreden der deutschen Verantwortung für die eigene Geschichte. So präsentiert er eine Neuauflage der Kriegsschulddiskussion beider Weltkriege, die erwartungsgemäß revisionistisch ausfällt. Selbst das Aufkommen des Nationalsozialismus lastet er den späteren Westalliierten an: „Mit Hitler und der NSDAP“ hätten „die britischen und US-amerikanischen Geheimdienste in den 1920er Jahren den Geist aus der Flasche gelassen.“ Dabei läßt er sich zu kontrafaktischen Binsenweisheiten hinreißen: „Ohne den Ersten Weltkrieg hätte es keinen Versailler Vertrag und damit auch keinen Hitler und keinen Zweiten Weltkrieg gegeben.“

Das Fatale an solchen Milchmädchen-Argumenten ist, daß Deutschland in ihnen lediglich als Objekt vorkommt: passiv, verführt, besiegt, entmannt, wehrlos und ehrlos. In Kriege getrieben, die es verliert, nach Kapitulationen geknechtet und beraubt. Man muß 

sich ernsthaft fragen, warum dieses larmoyante Selbstbild im deutschen Konservatismus, einst der Hort von Stolz und Mannes-ehre, so viele Anhänger findet.

Es ist schon bedauerlich, daß Bittners in vielerlei Hinsicht korrekte Auflistung der aggressiven, auf diskursive und faktische Hegemonie ausgerichteten US-Politik in ein derartiges Wegducken mündet. Indem er Deutschland als „Kolonie der USA“ darstellt, kultiviert er das Selbstmitleid einer geprügelten Nation, die es sich im Verlierereck bequem gemacht hat. Daß aus so viel Weinerlichkeit keine politischen Konzepte für die Zukunft erwachsen, liegt auf der Hand. Es wäre in der Tat traurig, wenn die deutsche Geopolitik rechtskonservativer Prägung sich in Ressentiment und Opferpose hineinkuschelte.

Wolfgang Bittner: Der neue West-Ost-Konflikt. Inszenierung einer Krise. Verlag Zeitgeist Print & Online, Höhr-Grenzhausen 2019, broschiert, 320 Seiten, 19,90 Euro