© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 19/20 / 01. Mai 2020

Wenn Einheit eine Chiffre für gespalten ist
AfD: Die Partei ringt wieder einmal mit sich selbst / Unterstützung für und Kritik an „Dresdner Erklärung“ / Bundestagsfraktion stellt ihren Pressesprecher frei
Christian Vollradt

Wenn man nach außen mit seinen Anliegen nicht durchdringt, richtet sich der Unmut eben nach innen.“ So lautet die etwas resignierte Begründung eines AfD-Politikers angesichts der Beschäftigung seiner Partei vorrangig mit sich selbst. Kein wirklich neues Phänomen, aber für viele ein immer wieder frustrierendes. Aktuelles Beispiel: die sogenannte „Dresdner Erklärung“. 

Ganz unverfänglich wird in dem aus der sächsischen AfD stammenden Aufruf die Corona-Krise als allen „auferlegte Prüfung“ bezeichnet und als Ziel ausgegeben, „in einer dem inneren und äußeren Frieden verbundenen, freiheitlichen und sozial ausgewogenen Gesellschaft zu leben, in der wir uns als Deutsche wiederfinden und wohl fühlen können“. Dies lasse sich am ehesten mit einer geschlossen auftretenden  „Volkspartei“ AfD erreichen. So weit, so unaufregend. 

Doch in einem gefetteten Absatz am Ende heißt es dann, man werde „in unseren Reihen nur solche Personen respektieren und fördern, die sich diesem Ziel verpflichtet sehen und die sich unmißverständlich und glaubhaft in Wort und Tat zur Einheit der Partei bekennen.“ Dieser Passus sei, so sind sich viele inner- wie außerhalb der Partei einig, ziemlich unverhohlen gegen Parteichef Jörg Meuthen gerichtet, der kürzlich mit seinem – später wieder zurückgezogenen – Vorschlag einer möglichen Trennung der Partei in eine freiheitlich-konservative und eine „sozial-patriotische“ für Furore gesorgt hatte. 

Kritiker der nun öffentlich aus dem Freistaat erfolgten Retourkutsche monieren, daß solch ein Appell an die Einheit und Geschlossenheit zumeist das genaue Gegenteil signalisiere: daß die AfD gespalten und zerstritten sei. Die Beteuerung von Landespressesprecher Andreas Harlaß, der Text sei „kein Angriff auf Jörg Meuthen. Alles andere ist eine Fehlinterpretation“, hat da offensichtlich wenig entschärft. Auch im Freistaat selbst traf das von sieben der acht sächsischen AfD-Bundestagsabgeordneten – darunter Tino Chrupalla –, elf Landtagsabgeordneten und sechs Mitgliedern des Landesvorstands, darunter der Vorsitzende Jörg Urban und sein Generalsekretär Jan Zwerg unterzeichnete Dokument auf Widerspruch. Als „überflüssig“ bezeichnete sie etwa der Landtagsabgeordnete und Bundesvorstandsmitglied Carsten Hütter. 

Darüber, inwieweit diese Erklärung wirklich bedeutsam ist oder nicht, gehen die Meinungen auseinander. „Spielt hier keine Rolle“, meint ein westdeutscher AfD-Abgeordneter, ein anderer hält die Sache für durchaus brisant. Nicht so sehr wegen des Inhalts, sondern weil der als gegen Meuthen gerichtet interpretierbare Passus ausgerechnet vorneweg von dessen Co-Vorsitzendem Tino Chrupalla unterzeichnet wurde. „Wie sollen die beiden denn jetzt noch vertrauensvoll im Bundesvorstand zusammenarbeiten?“ fragt sich der Politiker zweifelnd. 

Weitgehend einig sind sich viele Beobachter, daß die Erklärung in erster Linie aus den Reihen des nun auf Druck aus dem Bundesvorstand und größeren Westverbänden stillzulegenden „Flügel“ betrieben wurde. Dafür spricht eine Vielzahl von dort zu verortenden nicht-sächsischen Unterzeichnern. Darunter als prominentester Brandenburgs Landeschef Andreas Kalbitz. Aber auch mindestens zwei Mitglieder, gegen die Parteiausschlußverfahren eingeleitet wurden. 

Unterdessen wurde am Freitag vergangener Woche der Leiter der Pressestelle der AfD-Bundestagsfraktion, Christian Lüth, von seinem Posten freigestellt. Der 43jährige war 2014 Pressesprecher der Bundespartei geworden und seit dem Einzug in den Bundestag für die Fraktion als Sprecher tätig. Als Grund für die disziplinarische Maßnahme gilt das Bekanntwerden von Kurznachrichten Lüths gegenüber einer jungen Frau, die nicht tolerierbar seien. 

So habe er unter anderem auf die Frage der Gesprächspartnerin, ob er „Reaktionär“ sei, geantwortet: „Faschist“. Die Nachfrage, ob er das ernst meine, habe Lüth mit „Natürlich“ erwidert.