© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 19/20 / 01. Mai 2020

Klick und weg
Abtreibung: Wegen Corona können Schwangere auch online beraten werden / Schutz der Ungeborenen wird ausgehöhlt
Zita Tipold

Das aktuelle Abtreibungsprozedere gleicht einem Hürdenlauf ohne Hindernisse: Lediglich die Ziellinie muß rechtzeitig erreicht werden. Denn wegen der Corona-Epidemie kann der notwendige Beratungsschein nun auch vom heimischen Sofa aus geordert werden. 

Normalerweise müssen Frauen ein persönliches Gespräch bei einer staatlich anerkannten Beratungsstelle führen, um den Schein zu bekommen, der notwendig ist, damit eine Abtreibung straffrei vorgenommen werden kann. Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) hatte Ende März aber verkündet, daß Frauen die Konfliktberatung nun auch online oder telefonisch wahrnehmen können. Mit dieser Ausnahmeregelung werden die Beratungsscheine während der Corona-Krise auch per E-Mail oder postalisch zugestellt. 

Die Vorsitzende des Bundesverbandes Lebensrecht, Alexandra Maria Linder, kritisierte diesen erleichterten Vorgang. Wenn es um Leben oder Tod ginge, müsse sich persönlich begegnet werden, eine Abtreibung sei keine Kleinigkeit, diesen Eindruck vermittle die vereinfachte Vorgehensweise aber. Dem pflichtet auch die Vorsitzende der Initiative Christdemokraten für das Leben (CdL), Mechthild Löhr, bei: „Eine unkontrollierbare Versendung von ‘Beratungsscheinen’ bagatellisiert die Abtreibung noch weiter und entspricht weder dem Respekt vor jedem ungeborenen Leben noch der Bedeutung der Gesundheit der Frau“, sagte sie. 

Schon lange zeichnet sich eine hitzige Debatte zwischen den Vertretern der sogenannten „Pro-Life“-Bewegung einerseits und „Pro-Choice“-Anhängern andererseits ab. Die Pro-Life-Befürworter möchten sich für einen Schutz des heranwachsenden Lebens einsetzen, die Pro-Choice-Seite fordert eine freie Wahlmöglichkeit, ob man das Kind bekommen möchte oder nicht. 

Die Corona-Epidemie hat die Diskussion, wie zugänglich Abtreibungen sein sollen, nun neu entflammt. Pro-Choice-Anhänger kritisieren, Frauen hätten in der Corona-Krise keinen leichteren, sondern einen deutlich schwereren Zugang zu Abtreibungen. Unter den 1.200 Medizinern, die in Deutschland die Behandlung durchführten, würden viele zur Risikogruppe gehören und könnten somit nicht eingesetzt werden. Zudem seien Krankenhäuser seit dem 16. März bundesweit angewiesen, alle nicht dringend notwendigen Eingriffe zu verschieben. Ob Abtreibungen unter diese Regel fallen, habe das Gesundheitsministerium nicht eindeutig beantwortet. Seit Beginn der Pandemie und den daraufhin erlassenen Einschränkungen würden sich auffällig viele Frauen bei den Beratungsstellen melden, berichtet etwa Isabel Otte von Pro Familia im niedersächsischen Stade. Die Schwangeren hätten Angst, nicht mehr rechtzeitig einen Termin zu bekommen. 

Eine hohe Nachfrage beim Beratungs-angebot verzeichnet auch 1.000plus, ein Projekt von Pro Femina, das sich schwangeren Frauen unter dem Motto „Hilfe statt Abtreibung“ widmet. Der Vorstandsvorsitzende des Vereins, Kristijan Aufiero, schildert, daß allein im ersten Quartal dieses Jahres 4.803 Frauen beraten worden seien. „Wir haben derzeit mehr Beratungsanfragen als je zuvor“, sagte er der JUNGEN FREIHEIT. 

Die Abtreibungsärztin Kristina Hänel (JF 29/19) betonte dagegen die Bedeutung eines gesicherten Zugangs zu Abtreibungen. Es ginge jetzt darum „Frauenleben zu retten“, sagte sie der Süddeutschen Zeitung. Der Bundesverband von Pro Familia regte an, auf eine medikamentöse Abtreibung im „Home-Use“, also für den Gebrauch in den eigenen vier Wänden, zu setzen, um unabhängiger von den Krankenhäusern zu sein. Bisher erfolgen von den 100.000 jährlichen Abtreibungen in Deutschland drei Viertel operativ. 

Cornelia Rohn von Pro Familia Sachsen-Anhalt forderte die Bundesregierung auf, klarzustellen, ob Abtreibungen zu den notwendigen Eingriffen gehören. Diese Frage will auch die Linksfraktion im Bundestag beantwortet wissen und brachte am vergangenen Donnerstag einen entsprechenden Antrag ein, in dem die Partei die Bundesregierung aufforderte, Abtreibungen als „notwendige medizinische Leistungen im Sinne der Pandemiebestimmungen für medizinische Einrichtungen“ anzuerkennen. Der Antrag wurde an den Familienausschuß überwiesen. Die Bundesvorsitzende der Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA), Cornelia Kaminski, hat darauf eine klare Antwort: „Eine normal verlaufende Schwangerschaft ist niemals ein ‘Notfall’, selbst dann nicht, wenn die Eltern des Kindes sie nicht beabsichtigt haben“, sagte sie in einer Stellungnahme. Während Krankenhäuser bestrebt seien, in der Corona-Krise Menschenleben zu retten, sorgten sich Abtreibungslobbyisten darum, wie Abtreibungsärzte ihrem tödlichen Geschäft weiter nachgehen könnten. 

Corona als strategische Hintertür?

Zudem offenbare die Forderung von Pro Familia nach einer medikamentösen „Do-It-Yourself-Abtreibung“ , daß es beim Beharren auf leicht zugängliche Abtreibungen nicht wirklich um den Schutz der Schwangeren gehe, da der medikamentöse Eingriff mit schweren Nebenwirkungen einhergehe. Die „Abtreibungspille“ bewirkt, daß der Embryo aus der Gebärmutter herausgelöst wird und innerhalb von 36 bis 48 Stunden stirbt. Danach werden Wehen ausgelöst, die zur Ausstoßung des toten Kindes führen. Dabei können schwere Nebenwirkungen auftreten, zum Beispiel starke Blutungen oder Herz-Kreislauf-Versagen. 

Auch Kristijan Aufiero befürchtet, die Abtreibungslobby könnte die Krise nutzen, „um ihre Agenda durch die Hintertür durchzusetzen“. Er gibt zu bedenken, daß die gleichen Akteure, die nun auf Ausnahmeregelungen pochen, schon seit Jahren die Abschaffung der Beratungspflicht fordern. Dem schloß sich die stellvertretende Vorsitzende der AfD-Fraktion im Bundesag, Beatrix von Storch, an: „Die Abtreibungslobby läßt keine Gelegenheit aus, um den Schutz des ungeborenen Lebens auszuhöhlen. Wenn die Bundesregierung auf diese Forderungen eingehen würde, wäre dies vermutlich der Einstieg in eine neue Pro-Abtreibungspolitik“, sagte sie.