© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 19/20 / 01. Mai 2020

Grüße aus Brüssel
Medizinisch interessant
Albrecht Rothacher

Auf Taiwan hatte ich mir eine Vireninfektion im Bein zugezogen. Nach der Rückkehr ging ich zur Wundbehandlung erst mal zu einem Hautarzt. Merkwürdig: Im Wartezimmer waren lauter Tätowierte, und es stank furchtbar nach verbrannter Haut. 

Ich war in eine Laser-Klinik zur Tattoo-Entfernung geraten. In der Notaufnahme des Uni-Krankenhauses Saint-Luc dann das übliche Publikum: zugekiffte Drogensüchtige, frischverletzte Alkoholiker, schreiende Kinder und durchgedrehte Alte. Eine rief lauthals immer nach ihrem Hermann und verfluchte ihn dabei. Immerhin war ich ein medizinisch interessanter Fall, wurde fotografiert, und auch zwei Chefärzte interessierten sich.

Mein zweiter Zimmergenosse war ein sympathischerer pakistanischer Tortenbäcker.

Mein erster Zimmergenosse war ein marokkanischer Autohändler, der seine Kunden auch gern einmal telefonisch bedrohte. Er würde ihnen das Genick brechen, wenn sie nicht zahlten. Bei seinen Gläubigern dagegen winselte er erbarmungswürdig um Gnade. Andererseits konnte er den Helfern in seiner Garage auch sehr sachliche Anweisungen geben, wie sie die Motoren zu pflegen oder auch mal zu frisieren hätten. Meinen Geldbeutel schloß ich lieber sicher ein. 

Mein zweiter Nachbar war ein wesentlich sympathischerer pakistanischer Tortenbäcker aus Tervuren in der Provinz Flämisch-Brabant in Flandern, der mit Infarktverdacht eingeliefert worden war. Plötzlich tauchte sein Clan auf und entschied, er solle sofort zurück in seine Backstube, anstatt faul im Krankenhaus herumzuliegen. Gegen die lauten Proteste der Ärzte ließ er sich sofort entlassen. 

Mein dritter Stubengenosse war schon mit 50 Jahren demenzkrank. Er kramte nächtelang nach seinem verlorenen Handy, urinierte unkontrolliert und fiel nachts aus seinem Bett, worauf er angeschnallt wurde. 

Zur Überraschung holte mich einmal ein afrikanischer Pfleger zu einer Untersuchung ab und karrte mich im Rollstuhl durchs Krankenhaus. Plötzlich erhielt er ein Telefonat und ließ mich in einem dunklen Keller stehen. Es dauerte etwa eine Stunde, bis ich auf mich aufmerksam machen konnte und gerettet wurde.

Nach fünf Tagen wurde ich nach einer Zwei-Minuten-Visite des Chefarztes glücklich geheilt entlassen, bedankte mich bei den Schwestern und Assistenzärzten, trank in der spitalseigenen Kneipe noch ein gepflegtes belgisches Klosterbier und spazierte fröhlich nach Hause.