© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 19/20 / 01. Mai 2020

Trockene Aussichten
Agrarmarkt: Während Öl fällt, wird Weizen in der Corona-Krise wieder teurer
Thomas Kirchner

Vor einem Jahr kostete ein Faß der Leichtölsorte West Texas Intermediate noch über 65 Dollar. Im Februar dieses Jahres rutschte WTI unter 50 Dollar, im März wurde die 20-Dollar-Linie gerissen – der Preiskampf zwischen den 13 Opec-Mitgliedsländern, Rußland und Förderweltmeister USA (JF 13/20) sowie der Shutdown in der globalen Corona-Krise erklären den Absturz.

Doch in der vergangenen Woche spielte der WTI-Ölpreis scheinbar verrückt: Ein Barrel WTI (Faß je 159 Liter) notierte kurzzeitig bei minus 40 Dollar. Besitzer von Mai-Futurekontrakten für WTI mußten diese bis 21. April loswerden, koste es, was es wolle – ansonsten hätten sie die Öllieferung abnehmen müssen, doch die meisten Lager waren voll (JF 18/19). Am Freitag war WTI dann wieder auf über 17 Dollar geklettert. Der deutsche Autofahrer hatte wenig von dem Preissturz, denn für ihn ist der Preis der Nordseeölsorte Brent entscheidend, der bei über 21 Dollar notierte. Der Liter Super verharrte über 1,21 Euro, Aral & Co. bekommen davon nur 35 Cent – der Rest sind Steuern, Abgaben und sonstige Kosten.

Bei Weizen geht der Preis hingegen nach oben, das war in der Finanzkrise 2008/09 nicht so. Spielen die Rohstoffmärkte verrückt? Gemeinsam ist den Kapriolen: staatliche Intervention. Ist es beim Öl das Opec-Kartell, das den Preissturz angesichts des Corona-Stillstands gezielt organisiert, so sind es beim Weizen Entscheidungen wichtiger Exportnationen, die bei gleichzeitig ungünstigem Wetter die Preise treiben. Zwar erntete Australien zwei Jahre lang wegen anhaltender Dürre und ausufernder Buschfeuer fast die Hälfte weniger als bei seiner Rekordernte von 2016/17. Auch die EU, die USA und Rußland liegen weit unter früheren Ernterekorden.

Die Schätzungen für die Saison 2019/20 sagen trotzdem einen globalen Anstieg der Produktion um 4,5 Prozent voraus, weil viele kleinere Produzenten solide Ernten haben dürften. China erwartet eine neue Rekordernte, weshalb Regionalregierungen dort bereits zusätzliche Silokapazitäten erwerben. Dazu kommen Lagerbestände, die mehr als ein Drittel der erwarteten Produktion ausmachen. Akute Sorgen um die Nahrungsmittelversorgung muß sich also in den entwickelten Ländern keiner machen.

Von hohen Weizenkursen zur Revolution?

Aber es besteht die Gefahr, daß der Produktionsanstieg, anders als die Prognosen vorhersagen, ausfällt. Während Australien derzeit endlich wieder ausreichend Regenfälle verzeichnet und Graincorp, eine der nur fünf Firmen mit Exportlizenzen, eine Zunahme der Ausfuhren um 50 Prozent vorhersagt, ist es in der EU, am Schwarzen Meer und in weiten Teilen der USA sehr trocken. Die allgemeine Nervosität der Corona-Krise in Verbindung mit der Trockenheit veranlaßt einige betroffene Länder, Exportbeschränkungen einzuführen.

Rumänien machte den Auftakt und verbot den Weizenexport in Drittländer außerhalb der EU. Der Balkanstaat beliefert normalerweise Nordafrika und Südkorea. Die Auswirkungen dürften sich aber in Grenzen halten, denn schon 90 Prozent der für diese Saison erwarteten Exporte sind abgeschlossen. Ähnlich verhält es sich mit den Exportbeschränkungen Kasachstans und Rußlands, die erst im Mai in Kraft treten sollen. Die Vorschriften sollen so löchrig sein, daß trotz der Restriktionen fleißig exportiert werden dürfte. Die Ukraine exportiert in der Saison bisher mehr als sonst üblich. Sobald die Quoten voll ausgeschöpft sind, will aber auch die Kornkammer Europas die Ausfuhr einstellen.

Die Weizen-Notierungen reagieren schon jetzt vorausschauend auf mögliche Engpässe. Am europäischen Terminmarkt in Paris wie auch im US-Markt in Chicago kostete eine Tonne Weizen etwa 200 Euro, was zwar ein erheblicher Anstieg gegenüber dem Tiefststand von 153 Euro am 9. September ist, aber immer noch im Rahmen des Preisniveaus vom 3. und 4. Quartal 2018 liegt, als weder Virus noch Ausfuhrbeschränkungen drohten. Während der Hochpreisphase von 2010 bis 2012 kostete die Tonne sogar bis zu 260 Euro. Nur 2009 wurde mehrfach die 125-Euro-Linie unterschritten.

Gewinner des Preisanstiegs könnten die Bauern in Deutschland und Frankreich sein, zumindest wenn es nicht noch länger trocken bleibt. Der Preisanstieg dürfte auf Panikkäufen beruhen, möglicherweise durch die Corona-Krise verstärkt. Bei längerer Trockenheit kann sich die Lage aber schnell ändern. Denn auch bei Reis steigen seit drei Monaten die Preise. Die letzte Saison stark steigender Getreidepreise war 2011. Damals kam es zum Arabischen Frühling. Steigen die Preise jetzt weiter und bleiben sie länger hoch, könnte es auch diesmal wieder Unruhen und Revolutionen geben.

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