© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 19/20 / 01. Mai 2020

Boom mit Schönheitsfehlern
Videokonferenzen: Zoom, Skype und Microsoft sind nicht mehr wegzudenken / Sicherheitsbedenken schwingen immer mit
Christian Schreiber

Seit das Coronavirus den Alltag bestimmt, finden Schule und Arbeit für viele zu Hause statt. Die Video-Chat-Lösung Zoom erlebt deshalb einen wahren Boom, weil sie besonders einfach zu benutzen ist. Es ist derzeit der beliebteste Download auf der Computer-Plattform CHIP und hat im Vergleich mit Skype und Microsoft Teams einige Vorteile. Es bietet einerseits viele Funktionen, macht die Bedienung aber einfach, weil Teilnehmer weder Zoom-Konto noch Abo oder die Software selbst benötigen. Einladungs-Links lassen sich auch im Browser nutzen. Der größte Vorteil: Mittels der App können Tausende Menschen zum gleichen Zeitpunkt in einer Konferenz anwesend sein. Doch in den vergangenen Wochen wurden erhebliche Zweifel laut, ob Zoom auch hohen Sicherheitsstandards genügt. 

Boris Johnson macht Werbung für Zoom 

Wie populär Zoom derzeit ist, zeigt alleine die Tatsache, daß auch die britische Regierung online auf ihrem Kanal tagte. Premierminister Boris Johnson postete in der vergangenen Woche auf Twitter den Screenshot einer Videokonferenz seiner Minister und Berater. „Heute morgen habe ich die erste digitale Kabinettssitzung geleitet“, schrieb Johnson.

Dabei waren etliche Details wie die Identifikationsnummer der Konferenz und die Anmeldenamen mehrerer Teilnehmer zu sehen, was von Experten umgehend kritisiert wurde. „Im schlimmsten Fall wird die Identifikationsnummer (ID) der Konferenz wiederverwendet, ist nicht durch ein Paßwort geschützt, und ein Mithörer kann sich einklinken“, sagte Jonathan Knudsen von der US-Softwarefirma Synopsis.

Zoom wurde für den Einsatz in Unternehmen entwickelt, in der aktuellen Krise sprangen aber auch in großem Stil Schulen, Kirchen und Verbraucher auf den Dienst auf. Dadurch seien im März bis zu 200 Millionen Nutzer an einem Tag aktiv gewesen, erklärte Zoom-Chef Eric Yuan. Die neue Art der Nutzung habe „unvorhergesehene Probleme mit unserer Plattform“ zutage gefördert, räumte er ein. Als größtes Problem neben den bereits geschilderten Sicherheitsbedenken hat sich das sogenannte „Zoombombing“ entwickelt, bei dem Fremde in Videokonferenzen eintreten. Wie die Nachrichtenagentur DPA berichtet, sei dies möglich, wenn der Link für die jeweilige Konferenz öffentlich wird und die Teilnehmer nicht erst im virtuellen Warteraum landen und vom Organisator hinzugefügt werden. So seien allein in den USA mehrere Fälle bekannt, in denen Schulstunden und Zoom-Gottesdienste mit Beschimpfungen und dem Vorzeigen von NS-Symbolen gestört wurden.

Gegen das sogenannte „Zoombombing“ greifen ab sofort zwei neue Maßnahmen, wie das Technikmagazin TechCrunch berichtet. So richtet die Firma zusätzlich eine Paßwortabfrage ein. Erhält ein Nutzer den Link beziehungsweise die ID zum Zoom-Meeting, muß er danach noch das entsprechende Paßwort eingeben, um der Konferenz beitreten zu können. Damit Nutzer nicht unmittelbar und willkürlich in die Konferenz eintreten können, erhält der Moderator der Konferenz außerdem mehr Befugnisse. Zusätzlich zur Paßwort-Abfrage gibt es nun auch einen Warteraum. Der Moderator entscheidet manuell, welche Teilnehmer in die Konferenz dürfen und welche nicht.

Als sicherheitstechnisch heikel wurde auch die Tatsache eingestuft, daß die Firma kürzlich einräumen mußte, daß Video-Meetings im Februar teilweise über in China stationierte Server geleitet wurden. Auch dann, wenn die Konferenzen nicht in China stattfanden. Der Hintergrund: Da Zoom nicht für den enormen Zugriff ausgerüstet war, nahm das Unternehmen viele neue Server in Betrieb, um für die neue Masse verfügbar zu sein. Unzählige dieser neuen Server stehen auch in China, wie es heißt.

Dies sei seit dem 3. April wieder geändert worden, so daß nur noch Server in der Nähe des Nutzers verwendet werden, erklärte der Vorstandsvorsitzende Yuan. Alle Entwickler von Zoom würden sich ab sofort nicht mehr um neue Funktionen der App kümmern, sondern die nächsten drei Monate nur an Sicherheits- und Datenschutzthemen arbeiten, schrieb Yuan in einer Erklärung. Man wolle die Sicherheit der App außerdem von unabhängigen Experten überprüfen lassen.

Experten glauben, daß es mit dem „Zoom-Boom“ schon bald wieder vorbei sein könnte. Wie die Washington Post berichtet, ist beispielsweise die Schulverwaltung von New York dazu übergegangen, die Plattform für den Online-Unterricht von Zoom auf Microsoft Teams umzustellen. Dies geschah als direkte Reaktion auf eine Warnung der US-Bundespolizei FBI, die darauf verwiesen hatte, daß die App teilweise von Unbefugten gekapert werden könne. Auch andere Schulbehörden in den USA sollen die weitere Nutzung inzwischen überdenken, einige haben die Verwendung von Zoom auch schon kurzerhand untersagt. 

Raumfahrtunternehmen stellt Zoom an den Pranger

Das Raumfahrtunternehmen SpaceX des US-Milliardärs Elon Musk, zu dessen Imperium auch der Automobilhersteller Tesla gehört, hat seinen Mitarbeitern unterdessen die Nutzung von Zoom aufgrund von Sicherheitsbedenken ebenfalls untersagt. Anfang April waren Berichte aufgetaucht, daß Zoom für seine Videokonferenzen keine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung verwendete und Tausenden von Fremden erlaubt hatte, die E-Mail-Adressen der anderen zu sehen.

In einer Erklärung auf seiner Website erklärt Zoom ad hoc, daß die Firma „jedes einzelne der aufgeworfenen Sicherheitsbedenken“ untersuche und „sie so schnell wie möglich beheben“ werde.

Ein weiteres Problem ist offenbar, daß auch andere Applikationen auf Zoom-Daten zurückgreifen konnten. So mußte Yuan einräumen, daß die iOS-App des Dienstes einige Informationen über das benutzte Gerät an Facebook übermittelte – etwa Modell, freien Speicherplatz und Display-Größe. Zoom erklärte dies mit der Funktionsweise von Facebooks Software-Werkzeugen, die zur Umsetzung einer Login-Funktion verwendet wurden. Mittlerweile sei diese Datenlücke aber behoben. Dennoch sieht sich Zoom in den USA einigen Verbraucherklagen ausgesetzt. 

Zoom-Chef Yuan zeigt sich dennoch überzeugt, daß Unternehmen auch nach dem Ende der Coronavirus-Ängste stärker als zuvor Videokonferenzen nutzen werden. Durch die aktuelle Situation hätten viele erkannt, wie nützlich sie seien: „Das wird die Landschaft dramatisch verändern.“

Im vergangenen Geschäftsquartal, das bis Ende Januar lief, habe Zoom noch kaum Coronavirus-Effekte verbucht, sagte Finanzchefin Kelly Steckelberg. Der Umsatz stieg dennoch im Jahresvergleich um 78 Prozent auf 188,3 Millionen Dollar, und der Gewinn sprang von 1,2 auf 15,3 Millionen Dollar hoch. Zoom hatte 81.600 Kunden mit mehr als zehn Beschäftigten – 61 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Doch das Unternehmen hat derzeit nicht nur mit technischen Schwierigkeiten zu kämpfen. Der Videokonferenzdienst zählt zwar an der Börse zu den Gewinnern der Corona-Krise, wurde dort bislang jedoch häufig mit einer ganz anderen Firma verwechselt.

Um weitere Irritationen zu verhindern, hat die US-Börsenaufsicht den Handel des Namensvetters Zoom Technologies Ende März vorübergehend gestoppt. Wer als Anleger nicht genau hinsah, konnte sich bei den Aktien leicht vergreifen. Denn das Tickerkürzel „ZOOM“ ist von Zoom Technologies belegt, was dem Unternehmen seit Jahresbeginn ein Kursplus von fast 900 Prozent bescherte. Das Problem: Mit dem erfolgreichen Videokonferenz-Anbieter Zoom Video hat die Firma nichts zu tun. 

Während Zoom mit dem sprunghaften Wachstum ein Stück weit überfordert erscheint, rüstet die Konkurrenz eifrig nach. Allen voran der Internetriese Microsoft mit der kostenlosen MacOS-App „Microsoft Teams“ und der Tochter Skype („Free Conference Call“). Auch Googles Videokonferenz- und Instant-Messaging-Dienste „Hangouts“ und „Meet“ oder die US-Videochat-App „Houseparty“ starten seit Mitte März mit ungewohnt hohen Downloadzahlen durch.  

Der Wettbewerb um den Kunden wird von Tag zu Tag härter. Da kommt es nicht gut, wenn der Branchendienst  onlinemarketing.de titelt: „Skype und Google Meet kopieren Zoom für bessere Videokonferenzen“. Skype integriere personalisierbare Hintergründe – wie bei Zoom. Und auch Google rolle das angekündigte Upgrade für Meet aus, inklusive Galerie-View, die an Zoom erinnere, so der Hamburger Onlinedienst.

Wettrüsten bei Zoom, Microsoft und Google 

Microsoft will nun eine Alternative zu Zoom bieten und fügt Skype ein Feature hinzu, wodurch Einladungen und direkte Videokonferenzen kein Konto mehr voraussetzen. Hierfür soll eine Inter-netseite zur Verfügung gestellt werden, wo der Nutzer über den „Kostenlose Besprechung erstellen“-Knopf ein eigenes Video-Meeting beginnen kann. Der Link kann mit allen Teilnehmern geteilt werden, läuft nicht aus, und es wird kein Skype- oder Microsoft-Konto für die Einwahl benötigt.

Auch Facebook will vom Boom profitieren und bringt seinen Chatdienst Messenger mit einer eigenständigen App auf Windows- und Mac-Computer. Bisher mußten die Nutzer dafür Facebooks Internetseite auf dem Rechner verwenden – und schon auf dieser Basis habe sich die Nutzung für Anrufe im vergangenen Monat mehr als verdoppelt, erklärte Messenger-Chef Stan Chudnovsky. Der Messenger-Dienst, der bisher vor allem für die Nutzung auf Smartphones gedacht war, hat insgesamt mehr als 1,3 Milliarden Nutzer.

Datenschützer beobachten das Wettrüsten im Kampf um die Konferenz-Kunden unterdessen mit Sorge. „Die Maßnahmen, die zur Eindämmung der Verbreitung des Coronavirus getroffen wurden, stellen uns alle vor Herausforderungen“, sagt der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber (SPD) der Frankfurter Rundschau. Der nachvollziehbare erste Impuls in der Arbeitswelt sei gewesen: „Wir müssen jetzt schnell etwas zum Laufen bekommen.“

Im zweiten Schritt gehe es nun jedoch darum, langfristig sichere Lösungen zu finden. Datenschützer Kelber fordert in dem Gespräch mit der FR von den IT-Dienstleistern, „Angebote zu schaffen, die flexibel und leistungsfähig genug sind, um auch in Situationen wie der aktuellen Lage zuverlässig und sicher zu funktionieren“. Grundsätzlich sollten die Nutzer von Videokonferenzen darauf achten, so Kelber, daß der Anbieter „keine Metadaten sammelt, zu eigenen Zwecken verarbeitet und an Dritte weitergibt“.