© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 19/20 / 01. Mai 2020

Dorn im Auge
Christian Dorn

Der Tagesspiegel berichtet über die Bemühungen im Berliner Ensemble, wo, so der Intendant, das aktuelle Repertoire wegen der Jacobs-, pardon, Corona-Krönung „uminszeniert“ werden soll – keine Kußszenen mehr, keine Prügeleien, keine Umarmungen, kurz: „Eine wahnsinnige Vorstellung.“ Dabei brauchte es diesen neuartigen Brechtschen Verfremdungseffekt im BE-Betrieb gar nicht. Denn der Theaterbetrieb geht ja überall weiter – ab Montag muß ganz Deutschland „in die Maske“. Nebenan, wo der seit Jahrzehnten beheimatete Nähartikel-Laden wegen exzessiv erhöhter Ladenmiete weichen mußte, eröffnet ein weiterer Kosmetik-Salon, wie mir die Frauen, als sie gerade aus der Tür treten, erzählen. An das Schaufenster sind bereits das männliche und das weibliche Geschlechtszeichen gemalt, dazwischen ein Herz. Flüchtig frage ich mich: Ist das jetzt ein Zeichen für angestrebte „Diversität“ oder das unverblümte Bekenntnis zur „heteronormativen“ Geschlechterordnung? 


Wie egal diese Frage sein kann, demonstriert beispielhaft der neue – unbedingt sehenswerte – Dokumentarfilm von Rosa von Praunheim (und Mark Tiarks) „Operndiven – Operntunten“ (Arte-Mediathek bis 18. Mai 2020), in dem unter anderem der Intendant der Komischen Oper, Barrie Kosky, der Feuilletonredakteur Tilman Krause, der Musikwissenschaftler Kevin Clarke, der Regisseur Axel Ranisch oder der US-Autor Wayne Koestenbaum, Autor von „The Queen’s Throat“ (deutsch: „Königin der Nacht“), dem Schlüsselwerk über Oper, Homosexualität und das Mysterium des Begehrens, zu Wort kommen. Laut Koestenbaum lernt der schwule Opernfan vom Mut der Diva, von ihrer Haltung und Selbstsicherheit. Überhaupt, so berichtet eine in Bayreuth gastierende Sängerin, transzendiere die Oper das Schmerzvolle in vollendete Schönheit, was den besonderen „Hang“ der Schwulen zur Oper erkläre – dabei, so Kevin Clarke, firmiere der Festspiel-Hügel von Bayreuth zugleich als „Cruising-Hügel“ unter dem schwulen Schutzpatron Siegfried Wagner. Für Barrie Kosky, der unlängst den Antisemitismus des selbsternannten „Volkslehrers“ demaskierte (siehe Youtube) und auf dem Hügel die „Meistersinger“ inszenierte, erklärt sich die Faszination schwuler Männer für Wagner aus deren „Obsession für den Tod, ob bewußt oder unbewußt.“ Jedenfalls, so Regisseur Ranisch, seien die großen Emotionen der Musik, diese gewaltigen Klänge, diese Melodramen und Tragödien, wo „es wummst“, nicht zu ersetzen: „Mit einem Popsong kommst ja nicht so weit, nach drei Minuten mußt du’s dann ja in der Endlosschleife hören: Das ist ja furchtbar!“