© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 19/20 / 01. Mai 2020

Staatswirtschaft oder Alternativen für die Welt nach der Corona-Krise
Dem Markt die Freiheit!
Von Reiner Osbild

Das Ingangsetzen wirtschaftlicher Aktivität im Zuge des „Exit“ aus dem Corona-bedingten Stillstand ist eines der wichtigsten Ziele staatlichen Handelns. Allenthalben scheint die Auffassung vorzuherrschen, mit üppigen Staatshilfen könne man an den Status quo ante anknüpfen. Dies ist eine Illusion. Denn nur mutige angebots­politische Maßnahmen, die die Betriebe stärken, stellen die Marktwirtschaft wieder her. Ohne diese schlingern wir in einen paternalistischen Sozialismus mit marktwirtschaftlichen Einsprengseln.

Die von einer üppigen Geldmengenvermehrung getragene hohe öffentliche Neuverschuldung – nicht nur in Deutschland – ist in der Krise nötig. Es ist zunächst richtig, daß an der Angebots- und Nachfrageseite gleichermaßen angesetzt wird, indem Betriebe überlebensfähig gehalten und Einkommensausfälle (weitgehend) kompensiert werden. Ob dies ausreicht, eine Insolvenzwelle abzuwenden, wie sie im Hotel- und Gaststättengewerbe befürchtet wird, bleibt abzuwarten; notfalls werden Bundes- und Landesregierungen draufsatteln, denn in einem ungedeckten Geldsystem kann quasi „unbegrenzt“ geholfen werden.

Alle Krisen der beiden vergangenen Jahrzehnte – Börsencrash 2000 bis 2002, Finanzkrise 2007, Eurozone 2009, Corona 2020 – wurden und werden durch immense Mengen Geld „gelöst“. Waren es zunächst nur Banken und Finanzdienstleister, die künstlich liquide und solvent gehalten wurden, so traten mit der Eurokrise (kleinere) Staatshaushalte hinzu, die „gerettet“ wurden, und jetzt sind es Privathaushalte und Unternehmen, also ganze Volkswirtschaften.

Daß die exorbitante Geldmengenausweitung rund um den Globus, die über höhere Staatsschulden in den Wirtschaftskreislauf gelangt, Inflation auslösen kann, wurde schon mehrfach in der JUNGEN FREIHEIT thematisiert. Der Geldentwertung geht indes eine Anspruchsinflation voraus.

Denn wenn ein Staat alle(s) und jeden „retten“ kann und Verschuldungskennziffern keine Rolle mehr spielen, warum dann nicht das Paradies auf Erden schaffen? Warum nicht gleich als nächstes die Altersarmut mit frisch gedrucktem Geld beseitigen, die verstärkte Aufnahme von Migranten über billige Kredite finanzieren; ja, warum nicht gleich ein sattes bedingungsloses Grundeinkommen ausrufen? Höhere Beiträge an die EU – geschenkt! Wir verschulden uns zum Nulltarif und können uns plötzlich alles leisten.

In Deutschland herrscht ohnehin eine schwärmerische fundamentalistische (Wirtschafts-)Politik vor. Eurorettung, Energiewende, Klimarettung, Einwanderer: Der deutsche Steuerzahler löst alle Probleme. Der Steuerzahler? Nur, solange die schwarze Null stand. Doch jetzt können wir noch viel mehr Gutes tun, da die Notenbank unserem (noch) mit Triple-A-bewerteten Gemeinwesen mit ungedeckten Krediten unter die Arme greift.

Doch leider ist das der Weg in den Sozialismus. Denn der Reichtum des Landes wird nicht mehr abhängen von Sparen und Investieren, von Human- und Realkapital, von Wettbewerb und Effizienz, von einer klugen internationalen Arbeitsteilung, nein: Er wird vermeintlich abhängen von der Bereitschaft des Staates, sich weiter zu verschulden, um dieses und jenes zu finanzieren, um die Einkommen von Interessengruppen über das Marktübliche hinaus anzuheben, um soziale und umweltpolitische Ziele zu erfüllen. Interessengruppen – ob Sozial-, Umwelt-, selbst Rüstungslobby – werden den Staat piesacken, die gewünschten Milliarden für die gewünschten Zwecke lockerzumachen.

Die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung wird sich fundamental ändern. Der Staatskonsum wird zum Treiber Nummer eins für das gesamtwirtschaftliche Bruttoinlandsprodukt, nicht der private Konsum. Marktwirtschaft war gestern. Fleiß, Risikobereitschaft, Effizienz, Kostensenkung – ebenso. Die Investitionen werden sich immer weniger danach ausrichten, was Konsumenten und Kunden wünschen, sondern was der Staat will, und ob er die Investitionen gegebenenfalls noch bezuschußt.

Da das Ganze indes kein rein deutsches Problem ist, könnte es übergreifend einen Weg in den Staatssozialismus geben. Leider wird es nach Corona eine hohe Arbeitslosigkeit geben, und diese wird, wenn nicht durch Staatshilfen, dann doch durch Protektionismus bekämpft – jedenfalls wird man es versuchen. Die Wohlfahrt durch Handel wird durch zunehmende Nationalismen beschädigt werden. Zölle und nicht-tarifäre Handelshemmnisse werden um sich greifen, ebenso Appelle, einheimische Produkte zu kaufen; viele Güter werden als strategisch eingestuft werden und damit der internationalen Arbeitsteilung entzogen. Und wieder ist es der schier allmächtige Staat, dessen Außenhandelspolitik über Beschäftigungs- und Einkommenschancen entscheidet und der damit nolens volens die Investitionstätigkeit lenkt.

Es gilt, die Angebotsbedingungen zu stärken und den freien Markt in Gang zu setzen. Der Unternehmer soll in einer riskanter werdenden Umwelt seine Energie auf sein Unternehmen und die Märkte richten, statt kleinlichen Vorschriften nachzukommen. 

Der Kapitalmarkt hingegen fällt als Schiedsrichter über die Rentabilität von Investitionen aus. Bereits die Niedrigzinspolitik hat Unternehmen überleben lassen, die unter normalen Bedingungen längst pleite gegangen wären. Ein wettbewerblicher Strukturkonservatismus hat Altes übermäßig bewahrt und Innovationen verhindert; er hat zu Zombie­unternehmen beigetragen, die operativ schwach sind, jedoch dank geringer Kapitalkosten überleben. Solange die Schuldenorgie immer weiter geht, wird kaum eine Zentralbank an eine „Zinswende“ auch nur denken können. Daher werden diese Zombies im Windschatten des Notenbank- und Budgetsozialismus weitersegeln und überleben, zu Lasten innovativer Konkurrenten, die schon am Markteintritt scheitern.

So weit das düstere Szenario. Es gibt aber Alternativen für die Welt nach Corona.

Es gilt, die Voraussetzungen für ein verstärktes Wirtschaftswachstum herzustellen und den freien Markt in Gang zu setzen. Das beinhaltet, eine ganze Reihe Marotten und Ideologien hintanzustellen oder gänzlich aus dem Weg zu räumen. Der Unternehmer soll in einer riskanter werdenden Umwelt seine Energie auf sein Unternehmen und die Märkte richten, statt kleinlichen Vorschriften nachzukommen.

Nötig wäre ein umfassender Bürokratieabbau: Alle Normen, die in ökonomischen Schönwetterzeiten möglicherweise ihre Berechtigung hatten, gehören auf den Prüfstand. Ausgesetzt oder abgeschafft gehören überzogene Meldepflichten, bilanzierungs- und steuerrechtliche Aufzeichnungs- und Berichtspflichten, kostentreibende Bau- und Umweltstandards, Genehmigungsverfahren. Gerade die komplizierten Genehmigungs- und Umweltauflagen haben mit zum Exodus der pharmazeutischen Industrie beigetragen, so daß aus der einstigen Apotheke der Welt ein Bittsteller für Antibiotika wurde.

Die Energiewende muß rückabgewickelt werden. Angesichts der schon in Friedenszeiten über eine Billion Euro verschlingenden Energiewende, bei nicht meßbarem Effekt für das Weltklima, soll der Fokus auf Kostensenkungen gelegt werden. Dabei ist zu denken an das stufenweise Herunterfahren der Steuern und Abgaben auf Strom, zeitgleich den Abbau der Subventionen auf Erneuerbare Energien. Ziel ist es einerseits, die Kaufkraft der Kundschaft zu stärken, andererseits die Betriebe, soweit sie keiner Befreiung unterlagen, auf der Kostenseite zu entlasten. Diese Entlastung ist geboten vor dem Hintergrund eines absehbaren Verfalls der Preise für fossile Energieträger. Kartellartige Absprachen dürften diesen Trend kaum bremsen. Dieses aber bedeutet einen wachsenden Kostennachteil für unseren Mittelstand auf dem Weltmarkt, da die ausländischen Wettbewerber sich etwa des preiswerten Kohlestroms bedienen können.

Die Automobilindustrie mit ihren vielen mittelständischen Zulieferern ist das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Eine Befreiung von Investitionen in die Elektromobilität würde Kräfte freisetzen. Denn zum einen dürfte in Post-Corona-Zeiten, in denen Einkommen und Kaufkraft geschmälert sind, die Nachfrage nach teuren Elektroautos sinken; zum andern folgt die Produktion der Elektroautos nicht dem Markt, nicht dem Kundenwunsch, sondern einer ideologiegeblendeten Verordnungswut aus Berlin und Brüssel. Die Automobilindustrie möge das herstellen, was sie am besten kann, was die Kunden am meisten mögen und was sie sich leisten können: Verbrennungsmotoren. So wird der Neustart auch hier, von ideologischem Ballast befreit, schneller vonstatten gehen können. Bilanzen und Finanzen der Automobilkonzerne und ihrer Zulieferer werden durch den Wegfall riskanter, weil ideologisch gewollter Investitionen, entlastet.

Die Angebotsseite muß gestärkt werden, um wieder Einkommen und Beschäftigung zu steigern. Wir müssen kraftvoll aus der Staatswirtschaft aussteigen, denn nicht das beliebig vermehrbare Kreditgeld macht reich, sondern die Schaffenskraft der Menschen. 

Last but not least: Keine Steuererhöhungen, keine Vermögensteuer, keine Neiddiskussion.

Es gilt aber auch drei verteilungspolitische Hygienemaßnahmen zu ergreifen. Mit Verteilung ist hier anders als üblich nicht die personelle Einkommensverteilung, die Schere zwischen Arm und Reich, gemeint. Hier betrifft es die Verteilung von Einkommen zwischen guten und schlechten Unternehmen, sicheren und unsicheren Jobs, reichen und armen Staaten.

Fangen wir mit dem ersten Paradigma an: „gute“ gegen „schlechte“ Unternehmen. Die Flut an staatlichen Geldern, Krediten und Bürgschaften halten solche Unternehmen am Leben, die ansonsten, mit oder ohne Corona, früher oder später Insolvenz hätten anmelden müssen. Das sind die bereits angesprochenen Zombie-­Unternehmen. Wir klammern an dieser Stelle die Frage aus, warum nach zehnjährigem Aufschwung die Rücklagen bei der Masse der Unternehmen offenkundig recht gering waren, oder ob es nicht auch massive Mitnahmeeffekte gab. Wenn nämlich mit Hilfe staatlicher Subventionen, gepaart mit dauerhaftem Niedrigzins, Unternehmens-Zombies Marktanteile behaupten, die den gesunden, eigenkapitalstarken und operativ gut gemanagten Wettbewerbern verwehrt bleiben, so ist dies eine marktwidrige Umverteilung von Einkommens­chancen zu Lasten innovativer Einheiten.

Eine andere Art der Verteilung betrifft das Verhältnis des öffentlichen Dienstes zur Privatwirtschaft. In einer Zeit ständiger Krisen, einer Phase, in der die Einschläge immer heftiger werden, ist das Unkündbarkeitsprivileg der Beamten ein massiver geldwerter Vorteil. Er ist um so höher, je höher das Arbeitsplatzrisiko im privatwirtschaftlich organisierten Teil der Volkswirtschaft ist. Daher ist es den Beamten zuzumuten, für diese implizite Versicherung mehr zu bezahlen als in der Vergangenheit. Dies könnte durch mehrjährige Nullrunden im öffentlichen Dienst bewerkstelligt werden. Verdiente Gruppen und knappe Qualifikationen, etwa bei der Polizei, könnten davon ausgenommen werden. Es würde nebenbei den Anstieg der Pensionszahlungen abbremsen und im Sinne des „Flattening the curve“ den schuldengeplagten Staat sinnvoll und dauerhaft entlasten.

Da die betriebliche wie private Altersvorsorge, etwa über Lebensversicherungen, über Jahrzehnte hinweg nur geringe Renditen abwerfen dürften, wäre es aberwitzig, Einkommen umzuverteilen von den gesetzlich Rentenversicherten zu den ohnehin besser gestellten Pensionären.

Nicht zuletzt ist die Verteilung innerhalb der Staatengemeinschaft neu zu justieren. Die Abführungen der Nettozahler an die EU, die ja ohnehin im Zuge des Brexits steigen müßten, sind strikt zu deckeln. Damit wird auf die EU Druck ausgeübt, allzu üppige Ausgaben, etwa im Kohäsions- und Strukturfonds, auf wesentliche Projekte zu beschränken.

Coronabonds oder ähnlich „gemeinschaftsstiftende“ Instrumente beruhen auf der Sichtweise, der reiche Norden Europas müsse mehr für den armen Süden tun. Nur hält dieses Argument keiner kritischen Prüfung stand. Es gibt bereits unzählige Umverteilungsmechanismen über EU-Haushalt, EIB, ESM, Rettungsschirme; zudem hat Deutschland mit Eintritt in die Währungsunion den Euro-Partnern seine Bonität geschenkt, so daß jene Kredite zu historisch niedrigen Zinsen aufnehmen konnten. Und schließlich zeigen verschiedene Untersuchungen, daß die Median-Vermögen der privaten Haushalte in allen Euroländern höher sind als in Deutschland. Man könnte überspitzt sagen: In Deutschland haben wir einen reichen Staat und arme Bürger, in Süd­europa den armen Staat und reiche Bürger.

Statt daß der arme Staat nun den reichen zur Kasse bittet, wäre ein anderer Weg denkbar: nämlich zuerst die relativ reichen eigenen Bürger zu belasten; natürlich behutsam und mit der gebotenen Vorsicht, denn die oben genannten Argumente bezüglich der Revitalisierung des Wirtschaftslebens treffen auch auf den Südteil der Eurozone zu. Aber andererseits kann Deutschland die Welt und das Weltklima nicht retten, es kann nicht im Alleingang die Not der Dritten Welt beseitigen, es kann die Folgen von „Corona“ nicht ausfinanzieren, auch nicht im Verbund mit Ländern wie Österreich und den Niederlanden. Sonst kommen wir zu einer Situation, in der sogar für Bundesanleihen wieder Risikoaufschläge gezahlt werden müßten. Das kann nicht im Sinne Südeuropas sein.

Die Solidarität Deutschlands darf die eigenen Bürger nicht überfordern. Die Angebotsseite muß gestärkt werden, um rasch wieder Einkommen und Beschäftigung zu steigern. Vor allem aber müssen wir kraftvoll aus der Staatswirtschaft aussteigen, denn nicht das beliebig vermehrbare Kreditgeld macht reich, sondern die Schaffenskraft der Menschen!






Prof. Dr. Reiner Osbild, Jahrgang 1962, hat den Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Emden/Leer inne. Von 2012 bis 2015 lehrte er Volkswirtschaft an der privat geführten SRH-Hochschule Heidelberg. 2010/11 war er für ein Jahr Gastprofessor in Dalian (VR China). Zuvor arbeitete er im Kapitalmarktgeschäft großer deutscher Geldhäuser. 1993 wurde Osbild mit einer Arbeit zum Thema „Staatliche Eingriffe in den Arbeitsmarkt“ promoviert.

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