© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 19/20 / 01. Mai 2020

Allah handelt mit seinen Gläubigen nichts aus
Staatsordnung: Der „Club der besten Schwestern“, das Grundgesetz und die nationale Identität
Dirk Glaser

Bedroht der Massenzustrom von Menschen aus vormodernen Kulturkreisen die Identität der  Deutschen? Ist eine Politik, die ihn fördert, zugespitzt formuliert, ein kalter Staatsstreich von oben, der das deutsche Volk als Souverän des Grundgesetzes in seiner ethnisch-kulturellen Substanz auflöst, um auf dem zur Besiedlung für jedermann freigegebenen deutschen Staatsgebiet einen „multikulturellen“ Vielvölkerstaat zu errichten? Sitzen die wahren, Recht und Gesetz aufhebenden Verfassungsfeinde mithin im Bundeskanzleramt, den Ministerien und den Zentralen der Altparteien?

Die zu Ende gedachte Argumentation des seit langem eine Mindermeinung verfechtenden Teils der deutschen Staatsrechtslehrer, allen voran Dietrich Murswiek (Freiburg), erlaubt jedenfalls einen solchen Schluß. Sehen sie doch das deutsche Volk als Subjekt der Verfassung durch eine ethnisch-kulturelle Nation determiniert, die durch die bisher vornehmlich aus dem orientalisch-muslimischen Raum einströmende, seit 2015 forcierte Massenzuwanderung in ihrem Bestand bedroht sei. Murswiek hat 2018 dazu wesentliche Positionen in einem Aufsatz über „Staatsvolk, Demokratie und Einwanderung im Nationalstaat des Grundgesetzes“ vorgetragen (JF 27/18). 

Der Text antwortete auf die radikale Grundgesetzauslegung des Erlanger Emeritus Walter Leisner (JF 51/16), dem Sprachrohr der „herrschenden Meinung“, für die Volk und Nation keine verfassungsdogmatisch relevanten Begriffe mehr sind. Leisner hält es daher für verfassungskonform, sollte die Bundesrepublik „große Teile der Bevölkerung ausländischer Staaten oder gar deren ganze Populationen“ aufnehmen. Davon ist die Politik der Merkel-Regierung im Zeichen von UN-Migrationspakt und UN-„Resettlement“, der per Charterflug organisierten „Umsiedlung“ afrikanischer Wirtschaftsflüchtlinge, nicht mehr sehr weit entfernt.    

Volk und Nation als Entgleisung der Geschichte

In diese Debatte, die unter den Schlagworten „Leitkultur“ und „Integration“ seit 2000 hin und wieder öffentliche Resonanz erzielte, hat nun die Fürther Rechtsanwältin und Erlanger Privatdozentin Angelika Emmerich-Fritsche mit ihren Betrachtungen über „Verfassungsrechtliche Fragen nationaler Identität und Homogenität sowie einer Leitkultur“ eingegriffen (Der Staat, 4/2019). Dafür zweitverwertet die Verfasserin ihre Habilitationsschrift mit dem programmtischen Titel „Vom Völkerrecht zum Weltrecht“ (2007) und folgt überraschungsfrei der Linie Leisners.

Da, mit Nietzsche zu reden, in jedem Gedanken ein Gefühl steckt, können zur Textexegese die Daten zur emotionalen Selbstverortung hilfreich sein, die Emmerich-Fritsche über sich im Internet preisgibt. Nach den bis 1990 abgelegten juristischen Staatsexamina und der Promotion (1998) scheint demnach der Gipfel ihrer akademischen Karriere mit der Habilitation für Staats- und Verwaltungsrecht (2006) und einem Lehrauftrag für Internationales Wirtschaftsrecht (2009) bereits erreicht, da sie seit 2009 als Partnerin in einer Fürther Anwaltskanzlei wirkt. Neben dem Beruflichen blieb jedoch Muße für ein vielfältiges gesellschaftliches Engagement, das hart das Klischee der von Langeweile getriebenen Chefarztgattin schrammt, die zwischen Jodel-Examen und Boutique-Eröffnung schwankt, um sich „etwas Eigenes“ (Loriot) zu gönnen. So amtierte sie bis 2018 als Präsidentin des Fürther Vereins „Soroptimist“, eines lokalen Ablegers des 1921 in den USA gegründeten „Clubs der besten Schwestern“, einem Rotary Club für Frauen. Hier baute sie zusammen mit einer CSU-Stadträtin, der SPD-Kulturreferentin und anderen „Schwestern“ aus dem provinziellen Establishment ein Netzwerk für benachteiligte Mädchen und Frauen in Mittelfranken auf, wendet sich gegen migrationsbedingt zunehmende Genitalbeschneidungen von Mädchen, tut Gutes mit einer „Asylothek“. Trotzdem bleibt Zeit, um mit ihrem Mann einen Kleinverlag für deutsche Lyrik und französische Grafik zu leiten. 

Als „behaglich“ hätte Theodor Storm dieses Milieu machtgeschützter Äußerlichkeit empfunden. Dem zudem eine verstörende Atmosphäre von Weltfremdheit anhaftet. Letztere durchdringt Emmerich-Fritsches Reflexionen über Grundgesetz und nationale Identität porentief, wobei weder Nation noch Identität definiert werden. Gemeint ist wohl, entsprechend der lateinischen Grundbedeutung des Wortes, Nation als Gemeinschaft gleicher Abstammung, die das Individuum als Teil von sich selbst, als mit sich identisch empfindet. Schon nicht mehr gemeint ist, wie die Emphase verrät, mit der die Verfasserin Volk und Nation generationstypisch als pathologische Entgleisung der Geschichte begreift, die positive Konnotation in der weit ins 20. Jahrhundert reichenden Tradition Wilhelm von Humboldts, die noch das Menschenbild des Grundgesetzes prägt. Und der zufolge, gemäß der preußischen Maxime „Freiheit in Gebundenheit“, die Identifikation mit dem Ganzen nur so weit gehen soll, wie sie zur Ausbildung einer zu vernünftiger Selbstbestimmung fähigen „Persönlichkeit“ nötig ist.  

Die verfassungsrechtliche Kernfrage lautet daher: Ist der auf nationaler Identität beruhende Zusammenhalt eines Großkollektivs Produkt der freiheitlichen Rechtsordnung oder deren Voraussetzung? Das berühmte Paradoxon Ernst-Wolfgang Böckenfördes entscheidet sich für die zweite Variante: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ Als freiheitlicher Staat könne er nur bestehen, wenn sich die Freiheit aus der historisch-kulturell überlieferten moralischen Substanz von innen reguliere. 

Kraft Menschenwürde ein Teil des deutschen Volkes

Demgegenüber steht das realitätsferne, gerade deswegen zur Staatsideologie eines geschichtslosen Landes taugende Weltbild von Jürgen Habermas, das Emmerich-Fritsches Fürther Damenkränzchen genauso Orientierung gibt wie den Karlsruher Richtern, die mit ihrem surrealen Grundsatzurteil zum NPD-Verbotsantrag vom Januar 2017 den ethnischen Volksbegriff als verfassungsfeindlich einstuften. Womit sie zwar noch nicht ganz auf das Niveau Angela Merkels abrutschten, für die Volk „jeder“ ist, „der in diesem Land lebt“, aber immerhin dem Maßstab von Habermas genügten. Für den Theoretiker des „reinen“ kommunikativen Handelns funktioniert sozialer Zusammenhalt nämlich ohne historisch gewachsene kulturelle Homogenität. 

Schon als junger Sozialromantiker ersann er eine „ideale Sprechsituation“, die „wahren Konsens“ nur garantiere, wenn „ideale Sprecher“ auf ihre „Persönlichkeitsmerkmale“ verzichten würden. Mehr „Abbau des Menschlichen“ (Konrad Lorenz) geht nicht. In einer identitätsarmen Bevölkerung ohne kulturelle Kohärenz, die das politische Volk des demokratischen Rechts- und Sozialstaats ersetzen soll, führt der „reine“ Habermas-Mensch demnächst seine marktkonform „ideale“ Punktexistenz. 

Sich sklavisch an ihren Vordenker haltend, dekretiert die Wirtschaftsanwältin Emmerich-Fritsche im neoliberalen Jargon, daß in einer „offenen Gesellschaft“ der „Zusammenhalt der multikulturellen Bürgerschaft ohne vorgegebene kulturelle Gemeinsamkeiten funktioniert“. Dafür genüge, daß sich alle an die „gemeinsame Rechtsordnung“ hielten. Nach dieser Minimalanforderung an Neubürger sei jeder, der die deutsche Staatsangehörigkeit erwerbe, kraft seiner „Menschenwürde Teil des deutschen Volkes“. Einziges kulturelles Überbleibsel, das als funktionelle Voraussetzung demokratischer Willensbildung weiter zu beachten sei, um die „Grundlagen guten Lebens auszuhandeln“, ist die Sprache – „derzeit Deutsch“! 

In der Weltgeschichte findet sich kein Beispiel für die gelungene Umsetzung einer solchen wahnwitzigen Utopie. Die von Emmerich-Fritsche bemühte „multikulturelle Staatsordnung“ des Römischen Reiches beweist das exakte Gegenteil. Als sich Multikulti dort nach dem Tod des Kaisers Augustus entfaltete, kündigten sich prompt Dekadenz und Untergang an. Während ihre schüttere Geschichtskenntnis solche Einwände ignorieren mag, schlägt ihr Optimismus bezüglich der Integration von jedermann in ruchlosen Illusionismus um, so bald die Habermas-Adeptin sich der muslimischen Minderheit zuwendet. Die „generelle Vermutung“, diese Klientel eigne sich nicht für rechtstreues Zusammenleben in der „offenen Ordnung“ moderner Industriegesellschaften, widerspreche dem Menschenwürde-Postulat von Artikel 1 des Grundgesetzes, weil sie verkenne, daß ein Mensch nicht nur Muslim sei. Ihm sei also nicht zu unterstellen, daß sein Handeln stets Glaubenssätzen gehorche. 

Hier kippt die in Fürth und anderswo gepflegte Ahnungslosigkeit betreffs dieser totalitären Politreligion um in blanken Kulturrassismus. Ein Muslim, der wie ein gewöhnlicher Westeuropäer lax ist im Glauben? Der aus der allumfassenden, keine Menschenrechte, keine Individuation erlaubenden Umma, der Gemeinschaft der Gläubigen, ausbricht, um mit Allah im „herrschaftsfreien Diskurs“ neue Spielregeln seines Daseins „auszuhandeln“? Im Sinne des fallierten „Euro-Islam“-Konzepts? Die Fragen stellen heißt, die Seifenblasen blauäugiger Integrationspolitik platzen zu lassen. Denn ein bißchen Islam geht genauso wenig wie ein bißchen schwanger.

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