© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 19/20 / 01. Mai 2020

Das Dilemma eines preußischen Juden
Micha Brumlik versucht sich an einem Porträt des Religionswissenschaftlers Hans-Joachim Schoeps
Karlheinz Weißmann

Ohne Zweifel war Hans-Joachim Schoeps eine einflußreiche Gestalt der westdeutschen Nachkriegsgeschichte. Dabei sagt der Name Schoeps heute kaum noch jemandem etwas. Das hatte auch damit zu tun, daß er als „preußischer Jude“ in der NS-Zeit seine Heimat verlassen mußte, aber schon 1946 in das kriegszerstörte Land zurückkehrte. Der Berliner war aber kein Emigrant wie andere Emigranten und selbst unter den jüdischen Vertriebenen, die sich eine neue Existenz in den Besatzungszonen oder dann in der Bundesrepublik aufzubauen suchten, eine Ausnahme. Die Hauptursache dafür lag in Schoeps’ religiöser und politischer Verortung: als gläubiger, aber weder orthodoxer noch liberaler, noch zionistischer Jude, und als Konservativer klassischer Prägung.

Merkwürdige Stilblüten des christlich-jüdischen Dialogs

Was den ersten Aspekt angeht, findet man in dem Buch von Micha Brumlik interessante Aufschlüsse in bezug auf die Entwicklung des jungen Schoeps, der sich früh um eine selbständige theologische Position bemühte und dabei in Konflikt mit althergebrachten, aber auch mit neueren Positionen geriet. Für einige seiner Kontrahenten – Gershom Scholem zum Beispiel – war es besonders verstörend, daß Schoeps wichtige Anstöße aus der – christlichen – Dialektischen Theologie aufnahm. Dazu gehörte vor allem die Abwehr von Rationalisierung und Ethisierung, aber auch die Offenheit für Konzepte, die sich seit dem Ende des Ersten Weltkriegs mit der Frage des „Volksnomos“ auseinandersetzten. Damit war ein jedem Volk eigenes „Gesetz“ – verstanden im Sinne von Lebensgesetz – gemeint, das ihm Gott vor der Offenbarung Christi eingestiftet hatte. Schoeps lehnte zwar die Lehre von der Erlösung durch Christus ab, akzeptierte aber die Vorstellung von der Tora als Volksnomos, der allerdings seit dem Untergang des antiken Israel nicht mehr im politischen Sinne gefaßt werden könne.

Die bekannteste Kontroverse, die seine Argumentation auslöste, fand ihren Niederschlag in dem noch 1932 publizierten Buch „Streit um Israel“, das neben seinen Beiträgen die Hans Blühers zum Thema enthielt. Ohne Zweifel gehört diese Veröffentlichung zu den merkwürdigsten des jüdisch-christlichen oder christlich-jüdischen Dialogs. Aber sie verdankte ihre Entstehung der inneren Logik jener Wahl, die Schoeps getroffen hatte: zugunsten der deutschen Nation einerseits und zugunsten jener intellektuellen Suchbewegung, die man als „Konservative Revolution“ bezeichnet, andererseits. 

Zu den größten Schwächen des Buches von Brumlik gehört, daß er diese Entscheidungen nicht nur nicht begrüßt, sondern nicht zu verstehen willens ist. Unter „Verstehen“ ist dabei keine inhaltliche Bejahung gemeint, sondern die dem Historiker gestellte Aufgabe, das, was die Früheren dachten und taten, nachzuvollziehen. Nichts davon bei Brumlik, dem die Darstellung regelmäßig dazu dient, sein Befremden, aber auch die Überlegenheit seiner eigenen Einsichten zu demonstrieren.

Schoeps wurde von 68ern als „Nazi-Jude“ beschimpft

Es ist angesichts dessen nicht überraschend, daß das Buch weder leistet, was man von einer Biographie erwartet – die Wiedergabe einer Lebensgeschichte –, noch geeignet ist, die Versuche Schoeps’, einen Platz für die jüdischen Deutschen im NS-Staat zu finden, begreiflich zu machen oder die Umstände zu klären, die ihn nach dem Zusammenbruch bewogen, eine im Grunde hoffnungslose Position zu beziehen, die ihm keinen Dank, sondern zuerst die antisemitischen Beleidigungen der Unbelehrbaren und dann die Beschimpfungen der 68er als „Nazi-Jude“ und „jüdischer Obersturmbannführer“ einbrachten. Nach der linken Kulturrevolution mußte Schoeps jedenfalls begreifen, daß nicht nur sein Maximalziel – die Wiederherstellung der Hohenzollernmonarchie – in unerreichbarer Ferne lag, sondern auch der Plan einer „Konservativen Sammlung“ innerhalb der CDU zum Scheitern verurteilt war.

Angesichts der inhaltlichen Schwächen des Buches von Brumlik erscheint die immense Zahl von Schludrigkeiten und Fehlern fast als Nebensache (selbst in einem Traditionshaus wie Böhlau scheint man sich keinen Lektor mehr zu leisten oder einen Korrektor, der wenigstens die gröbsten Schnitzer entfernt). Wer sich für Schoeps interessiert, dem kann deshalb nur empfohlen werden, die Lektüre des Bandes zu lassen und stattdessen auf eine, wenngleich in Hinblick auf die Fragestellung engere Arbeit zurückzugreifen, die vor einigen Jahren von dem Historiker Frank-Lothar Kroll veröffentlicht wurde (Geschichtswissenschaft in politischer Absicht. Hans-Joachim Schoeps und Preußen, Duncker & Humblot, Berlin 2011).

Was das Buch von Brumlik angeht, bleiben als Aktiva eigentlich nur die längeren Zitate aus bisher unveröffentlichten Texten von Schoeps; so ein Ausschnitt eines Briefes, in dem er 1949 im Hinblick auf den Vorwurf der Kollektivschuld aller Deutschen schrieb: „Haben die Bolschewicki [sic], deren Hände vom Blut trieften (vom Zaren Nikolaus bis zu Trotzkij), die heuchlerischen Engländer, die Geldsack-Amerikaner ein Recht zu Gericht zu sitzen? Sie haben es nicht; es ist nicht ihr Verdienst, daß Gott sie zur Zuchtrute bestimmt hat. Und die Vergeltung für die Massenvergewaltigungen der Russen und die Hungerblockade der Angelsachsen werden wir …, so Gott will, noch erleben.“

Micha Brumlik: Preußisch, konservativ, jüdisch. Hans-Joachim Schoeps‘ Leben und Werk. Böhlau Verlag, Köln 2019, gebunden, 296 Seiten, 39 Euro