© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 19/20 / 01. Mai 2020

Gescheitert an der Neuzeit
Heinz Schillings Biographie des deutschen Kaisers Karl V. zeigt den Herrscher in seiner Zeit
ALexander Graf

Herrscherbiographien kranken oft daran, nur Altbekanntes aufzuwärmen. Dabei bieten sie die Möglichkeit, mehr als nur den Porträtierten zu beleuchten. Der neuen Arbeit des emeritierten Frühe-Neuzeit-Spezialisten Heinz Schilling gelingt es, den Habsburgerkaiser Karl V. sowohl als machtpolitischen Akteur als auch als tiefreligiösen Menschen zu zeigen. 

Als junger Mann sicherte sich der Herrscher aus dem Hause Habsburg den spanischen Königsthron und kurz darauf auch den deutschen. Mit der deutschen Krone war zugleich die Kaiserwürde verbunden. Die Kaiserkrönung 1530 kann zu Recht als politischer Höhepunkt im Leben Karls bewertet werden, war sie doch zugleich eine Demonstration der Stärke der Christenheit gegen die Türken, die Europa bedrohten. Zwar war der Habsburger damit der mächtigste europäische Herrscher, doch diesen Status mußte er immer wieder gegen Angriffe des französischen Königs Franz I. verteidigen. 

Langjährige Rivalität mit Frankreichs König Franz I.

Wie Schilling betont, handelte es sich bei den vier sogenannten Franzosenkriegen, die zwischen 1521 und 1544 ausgefochten wurden, keinesfalls um den Beginn der späteren „Erbfeindschaft“ zwischen Deutschen und ihren westlichen Nachbarn. „Vielmehr ging es um den Vorrang in der Gesellschaft der Fürsten und Dynastien sowie eng damit verknüpft um die Machtverteilung im sich herausbildenden neuzeitlichen Mächtesystem.“ Schilling vergleicht die beiden Monarchen, die unterschiedlicher kaum sein konnten. Auf der einen Seite der tiefgläubige Karl, mit einem für damalige Fürsten ungewöhnlichen Sündenbewußtsein, der die Einheit der Christenheit wahren wollte und zugleich den Reformbedarf der Kirche erkannte. Dort Franz, der als „allerchristlichster König“ (sa majesté très chrétienne) gegen den Habsburger sogar Bündnisse mit den moslemischen Türken einging – ein für die Zeitgenossen ungeheurer Vorgang. Hier Karl, der nach dem Tod seiner Frau Isabella von Portugal 1539 als Witwer keine weitere Ehe einging. Da der vom Autor als Gewaltmensch und Ehebrecher charakterisierte Franzose. 

In der Erinnerung im deutschsprachigen Raum ist jedoch die Auseinandersetzung zwischen Karl V. und dem Reformator Martin Luther präsenter. Wie Schilling betont, habe Karl kurz vor seinem Tod 1558 noch damit gehadert, den aufmüpfigen Mönch nicht getötet zu haben, als er während des Reichstags 1521 die Gelegenheit gehabt hätte. Schilling vertritt in seiner detailreichen und gut lesbaren Biographie die These, daß „ein offenes Konzil unter Beteiligung Luthers und der Protestanten manche Glaubensfrage hätte lösen können, ehe sie sich zu unüberbrückbaren Feindseligkeiten verhärtete“. Doch mit dem Augsburger Konfessionsreichstag 1530 bahnte sich der „universalgeschichtlich folgenreiche Weg ins konfessionelle Zeitalter an“. 

Einen Vorgeschmack auf die kommenden Religionskriege in Europa gab bereits die Plünderung Roms durch ein spanisch-deutsches Heer des Kaisers im Mai 1527. Vor allem deutsche Landsknechte, die Anhänger Luthers waren, ließen ihrer Zerstörungswut an katholischen Kirchen freien Lauf. Der Sacco di Roma sollte sich für Jahrzehnte als schwere Hypothek für die kaiserliche Politik in Italien erweisen. 

Schilling gelingt die Charakterisierung des Herrschers, dessen Reich sich von Osteuropa bis Südamerika erstreckte, als tragische Gestalt in der Übergangsphase vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit. „Dieses Unzeitgemäße, das Nicht-Mehr und Noch-Nicht, macht uns heute die tragische Einheitsidee Karls V., des ersten im modernen Sinne global agierenden Römischen Kaisers Deutscher Nation, gleichermaßen vertraut wie fremd.“

Heinz Schilling: Karl V. Der Kaiser, dem die Welt zerbrach. C. H. Beck, München 2020, gebunden, 457 Seiten, 29,95 Euro