© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 20/20 / 08. Mai 2020

Erdogans Macht endet in Eschwege
Moscheeverband Ditib: Hessen setzt Kooperation aus
Christian Vollradt

Nun ist Schluß. Endgültig? Vorerst. Hessens schwarz-grüne Landesregierung hat die Zusammenarbeit mit dem Moscheeverband „Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion“ (Ditib) in Sachen islamischer Religionsunterricht beendet. Die Kooperation werde mit dem Ende des Schuljahres auslaufen, teilte Kultusminister Alexander Lorz (CDU) vergangene Woche mit. „Geruht“ hatte das Projekt schon längere Zeit, nachdem es zuvor „auf den Prüfstand gestellt“ worden war. 

Aufgrund der veränderten Bedingungen durch den Putschversuch 2016 in der Türkei und insbesondere nach der sogenannten Ditib-Spitzelaffäre (JF 9/17) hatte Wiesbaden den Verein aufgefordert, bis Ende 2018 seine Struktur so zu ändern, daß der hessische Landesverband unabhängig vom Ditib-Bundesverband in Köln sowie der staatlichen türkischen Religionsbehörde Diyanet arbeitet. Nach Ansicht des Kultusministeriums wurden diese Auflagen jedoch nicht erfüllt. Daraus folgt nun die Entscheidung, die Zusammenarbeit auszusetzen.

Gutachter: Verband steht auf „tönernen Füßen“

2012 hatte das Land Hessen die Ditib sowie die Ahmadiyya als Religionsgemeinschaften anerkannt und ihnen erlaubt, in Zusammenarbeit mit dem Staat bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterricht anzubieten. Der konfessionsgebundene Religionsunterricht ist als Schulfach in Deutschland durch Artikel 7 des Grundgesetzes geschützt. Das Fach wird „in Übereinstimmung mit den Religionsgemeinschaften erteilt“. Sie haben das Recht, Inhalt des Unterrichts sowie der Lehrpläne zu bestimmen und erteilen den Lehrern die Lehrerlaubnis. Der Staat finanziert diesen Unterricht, bildet die Lehrer aus und sorgt durch die staatliche Schulaufsicht dafüt, daß der Unterricht den Lehrzielen und der Rechtsordnung entspricht.

„Diese Konstruktion haben die Väter des Grundgesetzes auf die katholische und evangelische Kirche zugeschnitten. Sie paßt jedoch nicht auf den Islam, weil er eine ‘Religion ohne Kirche’ ist und dem Staat somit ein Kooperationspartner für den Religionsunterricht fehlt“, wandte der Journalist und Autor Joachim Wagner dazu kritisch ein. Dennoch wurde wie in Hessen beispielsweise auch in Hamburg der Ditib-Landesverband per Staatsvertrag als Religinsgemeinschaft anerkannt. 

Fünf Bundesländer – Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Saarland und Rheinland-Pfalz – haben islamischen Religionsunterricht als zeitlich befristeten Modellversuch eingeführt und, da den Dachverbänden der Muslime die kirchenrechtlichen Voraussetzungen fehlen, Beiräte oder Runde Tische gegründet. In Bayern und Schleswig-Holstein wird an Grundschulen eine Islamkunde ohne Bekenntnischarakter erteilt. In Bremen, Berlin und Brandenburg entfällt durch die „Bremer Klausel“ die verfassungsrechtliche Pflicht zum bekenntnisorientierten Religionsunterricht. Bundesweit nahmen 2018 etwa 54.000 Schüler an solchen Unterrichtsangeboten teil; laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge beläuft sich das Potential von Muslimen zwischen 8 und 18 Jahren in Deutschland indes auf rund 600.000 Personen. 

Nach überwiegender Rechtsauffassung kann ein religiöser Verein, der rechtlich von einem ausländischen Staat abhängig ist, nicht als Religionsgemeinschaft anerkannt werden. Während einer der vom Land Hessen beauftragten Gutachter zu dem Ergebnis kam, der Religionsunterricht der Ditib erfülle die rechtlichen Erwartungen, da die Abhängigkeit von Ankara sich im Alltag nicht auswirke, waren zwei weitere Wissenschaftler deutlich skeptischer. Der Landesverband stehe in Wahrheit auf „tönernen Füßen“ – wegen seiner institutionellen Verbindung zur staatlichen türkischen Religionsbehörde und zu Präsident Erdogan selbst, meinte etwa der Verfassungsrechtler Josef Isensee. 

Und der Türkei-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik, Günter Seufert, ist überzeugt, daß mit dem neuen erdogantreuen Führungspersonal an der Spitze die „Erwartungen über eine größere Unabhängigkeit der Diyanet vom Staatspräsidenten nicht mehr realistisch“ sei. Bereits im Sommer vergangenen Jahres hatte Wiesbadens Kultusminister Lorz daraufhin neben dem bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterricht in Zusammenarbeit mit der Ahmadiyya auch eine bekenntnisfreie Islamkunde in rein staatlicher Regie (JF 35/19) eingeführt. 

„Wir sind froh, daß die Landesregierung endlich erkannt hat, daß Vertreter des sunnitisch-fundamentalistischen Islams wie Ditib nichts an deutschen Schulen zu suchen haben“, kommentierte der bildungspolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Heiko Scholz, das nun verkündete Ende der Kooperation. Bereits im Januar 2019 habe man dies in einem Antrag gefordert. „Wir müssen unsere Kinder zu freien und unabhängigen Menschen erziehen. Ditib hätte dem im Weg gestanden“, so Scholz.

Auch die Hamburger AfD-Fraktion forderte nun den rot-grünen Senat auf, dem Beispiel der schwarz-grünen Landesregierung in Wiesbaden zu folgen und die Ditib-Kooperation ebenfalls zu beenden. „Der lange Arm Erdogans greift tief bis in unsere Hansestadt. Das muß ein Ende haben“, meinte der Vorsitzende Dirk Nockemann. Staatsverträge könnten nur mit Partnern geschlossen und auch eingehalten werden, „die sich auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bewegen und unseren Wertekanon nicht mit Füßen treten.“ Das sei bei Ditib nicht der Fall.