© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 20/20 / 08. Mai 2020

Artikel Acht
Corona-Maßnahmen: Demonstranten gehen landesweit für das Ende der Einschränkungen auf die Straße
Martina Meckelein

Trieb die Angst vor dem Virus die Deutschen vor Wochen in die eigenen vier Wände, treibt sie jetzt die Verunsicherung über die rigiden Corona-Maßnahmen hinaus auf die Straße. Noch sind es bundesweit nur einige tausend – wie vergangenes Wochenende –, aber die Zahl der Kritiker und Zweifler steigt. Sie fordern das Recht auf Versammlungsfreiheit und das Recht wieder arbeiten zu können. Freiheiten, die durchs Grundgesetz garantiert sind. 

Für die Berliner Ordnungshüter bedeutet der 1. Mai seit Jahrzehnten Großkampftag. Dieses Jahr sind vergangenen Freitag allein in Berlin 5.000 Beamte im Einsatz. Sie haben rund zwanzig genehmigte Veranstaltungen zu betreuen, jeweils zwanzig Personen sind erlaubt. Dabei sind solch wichtige Versammlungen wie ein Autokorso von Kreuzberg nach Dahlem oder die Kundgebung „Keine Diskriminierung von Reptilienmenschen“ auf dem Rosa-Luxemburg-Platz. Doch dort fallen die Wechselwarmen nicht weiter auf, dafür eine ältere Frau im Sommerkleid. Sie liegt schluchzend auf der Straße, ihr Gesicht ist verzerrt. Polizisten mit Mundschutz beugen sich über sie. Dann ergreifen die Männer ihre Hand- und Fußgelenke, heben sie wie einen Sack hoch und schleppen sie weg. „Schämt euch“-Rufe sind vereinzelt zu hören. 

Ein Mann, vorschriftsmäßig mit Mundschutzmaske ausgerüstet, eine Einkaufstüte voller leerer Pfandflaschen dabei, wird von zwei Polizisten wie ein Verbrecher abgeführt. Eingeschüchtert wiederholt er immer wieder: „Aber ich hab doch gar nichts gehört, ich weiß gar nicht, was los ist.“ Was er nicht gehört haben will, ist die Aufforderung der Berliner Polizei via Lautsprecher, sich vom Platz zu entfernen. Die Ansammlung widerspricht der, wie es im Amtsdeutsch heißt, Eindämmungsmaßnahmenverordnung in Verbindung mit dem Infektionsschutzgesetz. Die abgeführten Menschen waren Teilnehmer der verbotenen „Hygienedemonstration“. Sie findet seit Ende März statt, initiiert von einem ehemaligen taz-Redakteur, der sich immer mehr Berliner anschließen, über 300 am Freitag. 

Die Polizei hat bis zum späten Nachmittag „bei 91 Personen die Identitäten festgesellt und Ordnungswidrigkeiten- sowie Strafverfahren eingeleitet.“ Einer, der davonkommt, ist der Berliner FDP-Abgeordnete Marcel Luthe. Als ein Beamter ihn abführen will, wehrt der sich: „Wollen Sie mich in meinen Grundrechten beinträchtigen?“ Der Polizist läßt von ihm ab: „Üben Sie Ihr Mandat aus, viel Spaß dabei!“

Demonstrant fürchtet       sich vor einem Bürgerkrieg

Das scharfe Vorgehen Berlins gegen Anti-Corona-Demos ist fragwürdig. Kippte doch das Bundesverfassungsgericht schon Mitte April ein von der Stadt Gießen verhängtes Versammlungsverbot und gab teilweise einem Eilantrag statt. Demonstrationen waren unter dem Motto: „Gesundheit stärken statt Grundrechte schwächen – Schutz vor Viren, nicht vor Menschen“ angemeldet worden. Die Stadtverwaltung hatte sie verboten, weil sie annahm, daß die hessische Corona-Verordnung Versammlungen von mehr als zwei Personen, die nicht im selben Haushalt leben, verbieten würde. Das Verfassungsgericht sah hier aber einen ungenutzten Entscheidungsspielraum der Behörde.

Die Berliner Polizei scheint Entscheidungsspielräume hingegen dann zu sehen, wenn die Demonstranten Linksradikale sind. Um 18 Uhr hat die Gruppe „Der Revolutionäre 1. Mai“ auf den Oranienplatz nach Kreuzberg geladen. Die Linken wollen „Gegen die Stadt der Reichen“ flanieren – mit Bannern und Plakaten. Doch die sind dort kaum zu sehen, dafür leere Bierflaschen, die als Wurfgeschosse dienen können, busselnde Hipster, Schlangen vor den auch spät abends geöffneten Kiosken („Spätis“), auf Bänken kuschelnde Anarchisten – Partytime! 

Die Polizei schreitet nicht ein. Abends eskaliert die Stimmung. Hunderte Linke liefern sich Schlägereien mit der Polizei. Dabei soll auch eine Journalistin von einem Polizisten geschlagen worden sein. Von 332 Personen stellen die Beamten die Identitäten fest, rund 100 von ihnen werden festgenommen. Bei 3.000 illegal Demonstrierenden eine doch eher schwache Ausbeute im Vergleich zum Rosa-Luxemburg-Platz. Dies ungerecht erscheinende Vorgehen der Polizei sorgt bei vielen Bürgern für Empörung. So versuchte der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, über Facebook die Wogen zu glätten, als er schrieb, daß die freie Meinungsäußerung ein hohes Schutzgut sei, das der Polizei am Herzen liege. Doch in den knapp 3.000 Kommentaren unter dem Artikel weisen viele Leser darauf hin, daß gegen Linksradikale und arabische Clan-Familien diese polizeiliche Härte fehle. 

In Stuttgart nahmen am vergangenen Samstag etwa 5.000 bis 7.000 Bürger an der fünften „Mahnwache Grundgesetz“ auf dem Cannstatter Wasen teil. Zwar hatte die Stadt zuvor ebenfalls Anti-Corona-Verordnungs-Demonstrationen verboten, doch auch hier wurde geklagt, und auch hier kippte das Bundesverfassungsgericht Mitte April das Verbot. 

Dem ersten Aufruf von Veranstalter Michael Ballweg waren zunächst 50 Leute gefolgt, eine Woche später 500. Kritik gab es seitens der Ordnungshüter an fehlenden Sicherheitsabständen zwischen den Teilnehmern. Organisator Ballweg fürchtet indes keine Ansteckungen: „Wir hatten ausreichend Fläche, waren im Freien.“ Und für die Fortsetzung an diesem Samstag rechnet er laut Bild mit 70.000 Teilnehmern. Auch in der niedersächschen Landeshauptstadt Hannover protestierten am Wochenende 400, statt der gemeldeten 40 Demonstranten. Wirtschaftsprofessor Stefan Homburg, Lockdown-Kritiker und Demo-Teilnehmer, äußerte in einem Interview mit dem NDR die Befürchtung, daß eine bürgerkriegsartige Situation eintreten könnte, sollte die Regierung die überzogenen Maßnahmen nicht zurücknehmen.

Nackte Überlebensangst treibt unterdessen die Bus- und Touristikbranche auf die Straße. In Dresden hat der Reisebüro-Inhaber Rainer Maertens eine Kundgebung vor dem Landtag angemeldet, berichtete der MDR. Er kritisierte, daß die bisher von Bund und Ländern auf den Weg gebrachten Hilfen, die Tourismusbranche nicht ausreichend unterstützt. Es brauche daher eine Gesamtlösung für die Branche, keine Verteilung nach dem Gießkannenprinzip. Kundgebungen seien in 40 Städten angemeldet.





Angriff auf ZDF-Kamerateam

Im Anschluß an die Berliner Demonstration gegen die Corona-Regeln am vergangenen Freitag ist ein Kamerateam der ZDF-Satiresendung „Heute Show“ auf dem Weg zu seinen Fahrzeugen von einer Gruppe vermummter Personen angegriffen worden. Unter anderem gingen die Angreifer mit Stangen auf die Journalisten los. Fünf der sieben ZDF-Mitarbeiter seien verletzt worden. Vier von ihnen hätten ins Krankenhaus eingeliefert werden müssen. Der Geschäftsführer der beteiligten Produktionsfirma, Harald Ortmann, schrieb: „Sie sind mit Totschlägern auf das Team los. Unserem Tonassistenten wurde ins Gesicht getreten – mit einer Brutalität, mit der man in Kauf genommen hat, daß es ein Mensch nicht überlebt.“ Für den Dreh seien auch drei Sicherheitsleute engagiert worden, was bei Demonstrationen mittlerweile Standard sei. Der Polizeiliche Staatsschutz ermittelt. Die mutmaßlichen Täter, die festgestellt, aber wieder freigelassen wurden, seien dem linken Spektrum zuzurechnen. Die Bundesregierung verurteilte den Angriff: „Wer Journalisten angreift, bedroht oder verletzt, der steht weit außerhalb unserer demokratischen Ordnung und wird und muß uns alle gegen sich haben“, sagte Sprecher Steffen Seibert. Laut Tagesspiegel ist der Attacke ein Streit zwischen dem ZDF-Team und den Angreifern vorausgegangen, weil diese nicht gefilmt werden wollten. Die Ermittlungen gestalteten sich schwierig „angesichts der Dynamik und Unübersichtlichkeit des Geschehens“, teilte die Staatsanwaltschaft mit. (zit)