© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 20/20 / 08. Mai 2020

Francos Volkswagen
70 Jahre Seat: Die einstige Staatsgründung mit Fiat-Hilfe ermöglichte Spanien den Aufstieg zum zweitgrößten Autoproduzenten Europas
Jörg Fischer

Mit 220.000 registrierten Infizierten und 25.000 Covid-19-Toten bei 47 Millionen Einwohnern ist Spanien nach Belgien das am stärksten von Corona gebeutelte EU-Land. Der Tourismus, der wie in Österreich 15 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) beiträgt, liegt brach. Die Banco de España (BdE) wies im März Target-Verbindlichkeiten von 407 Milliarden Euro aus – die zweithöchsten nach Italien (492 Milliarden Euro): Importe und Auslandsinvestitionen werden per EZB-Überziehungskredit finanziert. 41,3 Milliarden Euro sind aus den Rettungspaketen an Pleitebanken geflossen.

Doch Spanien ist nicht arm: Mit einem BIP pro Kopf von 29.961 Dollar liegt es laut IWF hinter Südkorea (31.430 Dollar/Deutschland: 46.563 Dollar) und weit vor Griechenland (19.974). In Spanien gibt es laut „Global Wealth Report 2019“ 979.000 Millionäre, in Deutschland 2,2 Millionen. Ein Erwachsener hat ein Durchschnittsvermögen von umgerechnet 207.531 Dollar, in Deutschland sind es 216.654 und in Griechenland nur 96.110 Dollar.

Dies ist nicht nur Mallorca und dem Immobilienbesitz geschuldet, sondern einem Industrieanteil von 22 Prozent am spanischen BIP. In Frankreich sind es weniger als 17 Prozent, in Deutschland laut Weltbank-Rechnung noch 28 Prozent. Spanien ist nach Deutschland der zweitgrößte Autohersteller Europas und der neuntgrößte der Welt: 2,25 Millionen Pkws sowie 575.000 Lkws und Transporter liefen 2019 von den Bändern in den 17 spanischen Autowerken. In Frankreich waren es nur noch 1,68 Millionen bzw. 527.000 Stück.

Dieser Erfolg ist einer Gründung unter dem „Caudillo“ Francisco Franco zu verdanken: Am 9. Mai 1950 wurde vom Instituto Nacional de Industria (Ini) die staatliche Sociedad Española de Automóviles de Turismo (Seat) mit Hilfe von Fiat und spanischen Banken in der Zona Franca bei Barcelona gegründet.

Gute Facharbeiter und Ingenieure herangebildet

Wirtschaftsminister war damals der Marineingenieur Juan Antonio Suanzes Fernández, der das Ini 1941 nach dem Vorbild der Mussolini-Staatsholding IRI gründete, um die „Wiederbelebung unserer Industrien voranzutreiben“ und „wirtschaftliche Autarkie“ zu gewinnen. Der Bürgerkrieg von 1936 bis 1939 hatte nicht nur Hunderttausende Opfer gekostet und das Land verwüstet, auch die Finanzen waren zerrüttet: 585 Tonnen Gold der BdE waren 1937 auf Anordnung des sozialistischen Finanzministers Juan Negrín Lopez in die Sowjetunion verschifft worden – offiziell als Bezahlung für Waffenlieferungen an die republikanische Regierung.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das neutrale und rechtsautoritär regierte Land zudem von UN-Mitgliedschaft und Marshallplan ausgeschlossen. Ideologisch waren Franquismus und Sowjetsystem Todfeinde, beim Staatsdirigismus gab es Parallelen – aber unter dem zweiten Ini-Chef José Sirvent Dargent ab 1963 die Wende zur staatskapitalistischen Planification à la Jean Monnet.

Zwar existierten schon vor dem Spanienkrieg kleinere Autofirmen wie Hispano-Suiza und Ableger von General Motors und Ford, aber die Volksmotorisierung begann erst 1957 mit dem Seat 600 und 1966 mit dem Seat 850 – beides Fiat-Kleinwagen mit Heckmotor. Der größere Fiat 124 lief von 1968 bis 1980 im baskischen Pamplona (Iruñea) als Seat 124 vom Band – in der Sowjet­union hieß der Lizenzbau Shiguli und für den Export Lada. Doch das Ini war klüger als der Kreml: 1953 startete in Valladolid (Kastilien-León) auch die Renault-Produktion, 1956 in Linares (Provinz Jaén) der Land-Rover-Nachbau oder 1965 in Madrid die Fertigung des US-Straßenkreuzers Dodge Dart.

Die Qualität war bescheiden und die Herstellung oft defizitär, aber es wurden Facharbeiter und Ingenieure herangebildet und Hunderttausende Arbeitsplätze geschaffen. Francos Industriepolitik ermöglichte wie in Südkorea unter Militärherrscher Park Chung-hee eine allmähliche Marktöffnung und den Wandel zur Industriegesellschaft.

1982 konnte Seat daher mit Fiat brechen. Das Kompaktmodell Ibiza war – dank Motoren mit Porsche-Genen – die erste erfolgreiche Eigenentwicklung. Zugleich begann Seat 1984 mit der Montage des VW Polo in Pamplona und des Passat der Zona Franca. Zwei Jahre später erfolgte der EWG-Beitritt, und die VW-Beteiligung an Seat wurde zur Übernahme. 1989 eröffnete in Martorell bei Barcelona das damals modernste Autowerk Europas, und 1995 begann in Palmela (Portugal) die Produktion der baugleichen Mini-Vans VW Sharan, Seat Alhambra und Ford Galaxy.

VW hat mit Seat selten Gewinne erwirtschaftet, aber der Standort Spanien steht in Wolfsburg nicht zur Disposition: Der Audi A1 ist wie der Polo und der VW T-Cross „Made in Spain“ – der SUV Seat Tarraco ist hingegen „Made in Germany“ und der kleinere Ateca „Made in Bohemia“. Das Autowerk im baskischen Vitoria-Gasteiz ist seit 1981 in Mercedes-Besitz und heute das zweitgrößte Transporterwerk des Konzerns. Auch bei Ford, Nissan und PSA (Citroën/Opel/Peugeot) sind die spanischen Werke Teil der globalen Produktionskette. Und die wird sicher eher wieder anlaufen als der Tourismus.