© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 20/20 / 08. Mai 2020

Führenden Esoteriker wissenschaftlich aufwerten
Rudolf Steiner für fast alle
(wm)

Die meisten der vielgestaltigen Daseinsentwürfe der Lebensreformbewegung um 1900 büßten nach dem Ersten Weltkrieg an Resonanz ein. Boden- und Rechtsreformer, Natur- und Heimatschützer, Anhänger der proletarischen Freikörperkultur und völkische „Lichtkämpfer“, sie alle führten in der Weimarer Republik lediglich noch belächelte Existenzen am sozialen Rand. Nur wenige Formationen aus dem sektiererischen Gewusel modernekritischer Weltanschauungen setzten sich langfristig durch: die Frauenrechtlerinnen, die ökologische Bewegung mit erheblicher Verspätung, die in den 1970ern wie ein Phönix aus der Asche auferstand und unter der Drohung der „Grenzen des Wachstums“ schnell politikfähig geworden ist, sowie die seit über hundert Jahren kontinuierlich und weltweit wachsende Anthroposophie. Waldorfschulen, biodynamischer Landbau, Weleda-Kosmetik, Mistelpräparate und Eurythmie-Kurse haben immer Konjunktur. Ebenso die Schriften ihres „umstrittenen“ Gründervaters Rudolf Steiner (1861–1925), der als führender Esoteriker des 20. Jahrhunderts gilt. Um sein Werk jenseits der Zirkel jener „Eingeweihten“ zu vermitteln, die Steiners Lehren als Offenbarungen „höheren Wissens“ empfangen, hat der Stuttgarter Frommann-Holzboog-Verlag 2013 eine „kritische Ausgabe“ seiner Schriften gestartet. Da ein esoterischer Preis von 216 Euro pro Band der Rezeption engste Grenzen zieht, versucht der Verlag nun, Steiner mit einer Open-Access-Zeitschrift (Steiner Studies) in den „allgemeinen wissenschaftlichen Diskurs“ einzufädeln und seine „Anschlußfähigkeit an gegenwärtige Problemstellungen“ zu erproben. 


 www.frommann-holzboog.de