© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 20/20 / 08. Mai 2020

Richter über eigene Verstrickungen
Anmerkungen zur Erkärung der katholischen Bischöfe zum Kriegsende
Gernot Facius

Der 75. Jahrestag des Kriegsendes inspiriert Parteien und gesellschaftlich relevante Gruppen zu Kommentaren, die mehr von der aktuellen Deutung des Vergangenen geprägt sind als vom Blick auf die konkrete Situation in Deutschland unterm Hakenkreuz. Da machen auch die katholischen Bischöfe keine Ausnahme.

In einem 23seitigen-Dokument rechnen sie mit ihren Vorgängern auf nicht gerade differenzierte und brüderliche Weise ab: „Indem die Bischöfe dem Krieg kein entschiedenes ‘Nein’ entgegenstellten, machten sie sich mitschuldig am Krieg.“ Das, so der Vorsitzende des Episkopats, Georg Bätzing (Limburg), sei „tatsächlich ein Schuldbekenntnis“. Und weiter: Bei aller inneren Distanz zum Nationalsozialismus und bisweilen sogar offener Gegnerschaft sei die Kirche „Teil der Kriegsgesellschaft“ gewesen.

Schuldeingeständnisse hat es bereits früher gegeben

Begründet wird dies mit dem Hinweis, daß 1943 rund 3.400 kirchliche Einrichtungen zu „kriegsbedingten Zwecken“ gedient hätten und zwei Drittel aller Ordensfrauen mit „kriegswichtigen“ Aufgaben wie Krankenpflege betraut gewesen seien. Auch seien Zwangsarbeiter in kirchlichen Einrichtungen eingesetzt worden – ein Faktum, das seit Jahren bekannt ist, das aber für sich allein genommen wenig aussagt über eine wie immer geartete direkte Mitschuld. „Die Leiden der Anderen kamen nur ungenügend in den Blick“, urteilte dennoch Bischof Heiner Willmer (Hildesheim), Vorsitzender der Kommission „Iustitia et pax“, die für das Dokument „Deutsche Bischöfe im Weltkrieg“ verantwortlich zeichnet. Aus vielen „unstrittigen historischen Fakten“ habe sich „ein Bild der Verstrickung ergeben“.

Willmer provozierte damit in katholischen Internetmedien ironische Kommentare der Art: Es sei immer wieder erhebend, sich an die Brust seiner Altvorderen zu klopfen. Daß es, wie Bätzing meinte, zur Rolle der deutschen Bischöfe im Zweiten Weltkrieg bis heute eine „Erinnerungslücke“ und auch eine „Bekenntnislücke“ gebe, ist zumindest eine zweifelhafte Aussage.

Der deutsche Episkopat hat, wenn auch noch etwas zurückhaltender als die Bischöfe im Jahr 2020, bereits in seinem vielzitierten Wort zum 8. Mai 1995 beklagt, daß viele Deutsche, „auch aus unseren Reihen“, sich von den falschen Lehren des Nationalsozialismus hätten betören lassen: „Es gab das eindeutige Nein der Kirche zur nationalsozialistischen Rassenideologie. Aber es gab keinen öffentlichen Aufschrei, als sie rücksichtslos ins Werk gesetzt wurde.“ Es bleibe eine schmerzliche Feststellung, daß gegen die Nürnberger Gesetze 1935 und nach der sogenannten Reichspogromnacht 1938 nicht mit Entschiedenheit protestiert worden sei.

An eben diese Passage knüpft jetzt, allerdings in zugespitzter Form, die aktuelle Stellungnahme an: „Auch gegen die ungeheuerlichen Verbrechen an den als ‘rassenfremd’ diskriminierten und verfolgten Anderen, insbesondere den Juden, erhob sich in der Kirche in Deutschland kaum eine Stimme.“ Statt dessen habe es des Anstoßes durch Patientenmorde und „Klostersturm“ bedurft, damit einzelne Oberhirten offen Widerstand wagten. Generell hätten die Bischöfe aber „ganz im Sinne der kirchlich tradierten Sicht des Krieges“ die Soldaten und Gläubige „zu Treue, Gehorsam und Pflichterfüllung, zu Bewährung, Sühne und Opfersinn aufgerufen“.

Kontakte von Bischöfen zu Widerständlern

Das wird man nicht bestreiten können. Allerdings läßt sich bei seriöser  Betrachtung nicht ignorieren, daß es vor Kriegsbeginn deutliche kirchliche Wortmeldungen gegeben hat: „Wir sind Anwälte des Friedens.“ Und es gab Predigten gegen das Regime, gegen Menschenrechtsverletzungen, zum Schluß auch gegen Krieg und Völkermord.

Dieses Faktum auszublenden wäre unredlich. Man würde sonst die Kontakte von Widerständlern zu Bischöfen wie Konrad Graf von Preysing (Berlin) leugnen, den Hitler ein „Rabenaas“ nannte, und das mutige Auftreten von Clemens August Graf von Galen (Münster), Johann Baptist Sproll (Rottenburg) und Matthias Ehrenfried (Würzburg) herunterspielen – allesamt Oberhirten, die noch von der Kaiserzeit und dem Gehorsam gegenüber dem Staat geprägt waren, aber dennoch den Protest gegen die weltliche Obrigkeit nicht scheuten. Der Hildesheimer Bischof Joseph Godehard Machens forderte 1941 die Menschenrechte von „Juden und Zigeunern“ ein.

Nach dem Krieg, so 2017 die Historikerin Maria Anna Zumholz in ihrem Buch „Zwischen Seelsorge und Politik. Katholische Bischöfe in der NS-Zeit“, sei ein einseitiges Bild gezeichnet worden, das sich in den Köpfen der Menschen verfestigt habe. „Schweigen trifft nur bedingt zu.“ Zu einem ersten Schuldeingeständnis hatten sich die Bischöfe bereits am 23. August 1945 in Fulda bekannt. Der entsprechende Text ließ allerdings offen, ob auch die Kirche als Organisation versagt hatte.

Einen solchen Schluß legt jetzt die Schrift „Deutsche Bischöfe im Weltkrieg“ nahe. In ihr wird beklagt, daß es nach dem Kriegsende viel zu lange gedauert habe, bis es zur Auseinandersetzung mit der Rolle der Kirche im NS-Staat gekommen sei: „Mit dem Abstand der Jahre ist der Umstand, daß für die Leiden und die Opfer der anderen lange Zeit jeder Blick fehlte – von offenen Worten ganz zu schweigen – besonders beschämend.“

Eine solche Geschichtsbetrachtung gerät freilich in Gefahr, als oberflächlich, unfair und realitätsfremd eingeordnet zu werden. Georg Bätzing hat als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz bei der Präsentation des Dokuments zum 8. Mai richtigerweise gesagt: „Wir wissen, daß uns die Rolle des Richters über unsere Vorgänger nicht gut zu Gesicht steht.“ Die Autoren der Schrift haben sich daran allerdings nicht gehalten. Das mindert die Bedeutung ihrer Wortmeldung.