© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 20/20 / 08. Mai 2020

Heldinnen zeigen sich gleichberechtigt
Theater in der NS-Zeit, JF-Serie: Versteckspiele, komödiantische Nadelstiche und starke Frauenrollen
Günter Scholdt

Darf man sich auch in finsteren Tagen von Komödien unterhalten, in eine Glücks- oder Traumwelt entführen lassen und von deprimierenden Tageseindrücken schmunzelnd Abstand nehmen? Man darf und durfte es zu allen Zeiten, falls man sich nicht hämisch über (von oben zum Abschuß freigegebene) Regimegegner ergötzt oder sich – wie aktuell die hiesige Comedy- oder Karnevalsszene – über quasi vogelfreie Alternative belustigt. 

Nun, die Menschen im Dritten Reich, denen spätestens seit der Tschechen-Krise durchaus bewußt war, daß ein Tanz auf dem Vulkan begonnen hatte, machten davon gebührend Gebrauch. Sie erzwangen per Abstimmung durch Kartenkauf landesweit ein Repertoire, das zu zwei Dritteln aus heiteren Stücken bestand, sieht man von den ersten beiden ideologisch akzentuierten Spielzeiten ab. Zum Meistgespielten gehörten nicht politische Bekenntnisdramen, sondern August Hinrichs’ „Krach um Jolanthe“, in der verschmitzte Bauern sich gegen die obrigkeitliche Pfändung einer Prachtsau wehren, Karl Bunjes (allerdings zeitgemäß aufgemotzte) Militärklamotte „Der Etappenhase“ mit dem Plot, daß Herrn Oberst eine Katze statt Hasenbraten serviert wird, und als absoluter Hit: „Minna von Barnhelm“. 

Zudem erfreuten sich die Deutschen an Curt Goetz’ „Dr. med. Hiob Prätorius“, einer Komödie, die Humor als Therapie empfahl und deren Titelfigur der „Mikrobe der menschlichen Dummheit“ nachstellte und zur Vermeidung künftiger Kriege ein Serum gegen diese „entsetzlichste aller ansteckenden Krankheiten“ zu erforschen empfahl. 254 Aufführungen erzielte dieses Erfolgsstück bis in die ersten Kriegsjahre hinein, als sein Verfasser bereits im Exil weilte. Dabei hatte Alfred Rosenbergs Dienststelle dekretiert, Goetz habe „Mitgliedern der NS-Kulturgemeinde nichts zu sagen“. Vielen Deutschen offenbar doch, wie darüber hinaus der große Zuspruch zu den Filmkomödien „Glückskinder“ und „Napoleon ist an allem schuld“ belegt, zu denen Goetz spritzige Drehbuchtexte geschrieben hatte – im zuletzt genannten Film übrigens als respektlose Satire gegen spleenigen Militarismus. 

Erich Kästner schrieb unter Pseudonym Lustspiele

Daß die Zensur bei Lustspielen zuweilen lässiger verfuhr, zeigte der Fall Erich Kästner, dessen Schreibverbot für das Ufa-Vorzeigeprojekt „Münchhausen“ aufgehoben wurde. Seine Autorschaft lief allerdings unter „Berthold Bürger“, wobei dieses Pseudonym nicht das einzige war, unter dem er an der Lustspiel-Produktion im Dritten Reich beteiligt war. Andere lauteten Eberhard Foerster, Hans Brühl, Melchior Kurtz, Peter Flint oder Robert Neuner, teils von Freunden entlehnt, die mit ihm kooperierten. 

Auf diese Weise kam die Geschichte seines Romans „Drei Männer im Schnee“ (die Verwechslungsgeschichte eines armen Preisausschreiben-Gewinners mit einem inkognito sein Luxushotel besuchenden Millionär) als „Das lebenslängliche Kind“ auf die Bühne und wurde bestens angenommen. Weitere pseudonyme Kästner-Aufführungen hießen „Seine Majestät Gustav Krause“ oder „Verwandte sind auch Menschen“. Hierin leistete sich der Autor sogar die kecke Anspielung, daß ein ständig als Detektiv Versagender ausgerechnet „Emil“ heißt. Kästners (ansatzweise sogar amtsnotorisches) Versteckspiel liest sich in den Akten des Propagandaministeriums als Realkomödie, wiewohl man nie vergessen darf, daß hier jemand um seine Existenz spielte.

Im Bereich der (Boulevard-)Komödie lieferten etliche heute vergessene Autoren zumindest saubere literarische Konfektionsware mit Esprit, allen voran Walter Gilbricht oder Hans Hömberg, denen die nächste Folge gilt, Richard Billinger oder Karl Zuchardt. Auf mehreren Bühnen spielte man Heinz Lorenz’ „Das Huhn auf der Grenze“, eine charmante Posse um einen anarchistischen, Nationalismen abholden Sonderling, der seinen Kneipenwagen mitten im deutsch-französischen Niemandsland plaziert. W. E. Schäfer bot in „Die Reise nach Paris“ die routiniert gefertigte Insider-Story eines Schmierentheaters. 

Zu den Themenschwerpunkten gehörten Liebe ebenso wie der Wunsch nach Frieden und zugleich ein klein wenig Obrigkeitsschelte. Von Heinrich

Spoerls „Maulkorb“ war schon die Rede (Teil III der JF-Serie). Schärfer wirkte Andreas Andermanns „Des Königs jüngster Rekrut“. Die versierte Bearbeitung eines Gutzkow-Stücks von 1844 bot manche Zeitparallele in Sachen Spitzelwesen, Zensur und Sklavengehorsam. Paul Fechters reizvolle Komödie „Der Zauberer Gottes“ spielt Ende des 18. Jahrhunderts in Ostpreußen, wo das Original eines noch halbheidnischen Pfarrers die Essenz christlicher Lehre auf segensreiche praktische Hilfe für einfache Menschen reduziert. Als „echter Masure“ steht er zudem mit Deutsch auf Kriegsfuß. Seine mangelnden Theologiekenntnisse schockieren den ihn beaufsichtigenden Konsistorialrat. Doch bevor er ihn seines Amts entheben kann, stirbt er nach einer spektakulären Rettungstat. 

Natürlich führt das Durchschnitts-Happy-End der Lustspiele zur Hochzeit. Doch wer glaubt, 1933 bis 1945 hätte die Bühnen vorwiegend ein heimchenhafter Frauentyp bevölkert, zeigt schlichte Unkenntnis. Zwar präsentiert etwa Billingers „Stille Gäste“ eine entsagungsvoll-reine, eher legendenhafte Mädchengestalt. Doch abgesehen von spezifischen (provokativen) Tendenzen Weimarer Promiskuität hat sich das Frauenbild auf den Bühnen gar nicht so stark verändert. Zumindest in den Komödien tummeln sich fast durchweg selbstbewußte, emanzipierte Damen.

Weibliche Selbstverwirklichung

Exemplarisch gilt dies für die Heldin in Juliane Kays „Vagabunden“. Sie meistert, nachdem ihr Geliebter sie verlassen hat („Gefühle sind Vagabunden“), ihr Leben als promovierte Ärztin trotz eines nichtehelichen Sohns. In Charlotte Rißmanns „Versprich mir nichts“ ergreift die Frau eines lebensuntüchtigen Malers, der aus übergroßen Skrupeln seine Bilder nicht veräußert, die Initiative und verkauft sie zur Existenzsicherung unter ihrem Namen.

In Per Schwenzens „Jan und die Schwindlerin“ brilliert frau als Rettungsschwimmerin und wählt sich ihren Partner. Andere Hauptpersonen steuern Flugzeuge: in Ilse Langners „Amazonen“ etwa oder Axel Ivers’ „Zwei im Busch“, wo die Pilotin wie folgt charakterisiert wird: „Sie ist wirklich ein patentes Mädel. Hat in Europa alle Arten von Sport getrieben, ist mit allen Wassern gewaschen und fürchtet sich nicht vor Tod und Teufel.“ Eine Filmdiva in Kurt Bortfeldts „Kinder auf Zeit“ läßt sich in ihrer Überlegenheit weder von einem Einbrecher schrecken noch von einem ihr verfallenden Regisseur übertölpeln.

„Die Prinzipalin“ in Karl Zuchardts gleichnamiger Komödie managt ihren ansehnlichen Buchladen aufs Beste. In Zuchardts „Frisch verloren – halb gewonnen“ muß der verliebte Nervenarzt seine ganze Berufskunst aufbieten, um die keineswegs eheversessene Heldin zur Heirat zu „überlisten“. Prinzessin Wilhelmine in Andermanns „Des Königs jüngster Rekrut“ stemmt sich zuweilen mit Temperament gegen den despotischen Vater Friedrich Wilhelm I. und ertrotzt sich schließlich dessen Lob: „Ihr Weiber seid doch manchmal verdammt gescheit. – Wilhelmine, ich glaube, du bist mir gewachsen.“ Weisenborns und Huelsenbecks „Warum lacht Frau Balsam?“ zeigt eine allen überlegene Schmuggler-Chefin. Dominanzfigur in Maximilian Böttchers „Krach im Hinterhaus“ ist die resolute Witwe Bock.

Frauen dominieren in Gilbrichts Lustspielen „Die spartanische Suppe“ und „Schuhe unterm Bett“. Hermann Roßmanns „Heiraten ist besser“ zeigt eine aufmüpfige couragierte Heldin, die sich lieber von ihrem chauvinistischen Büroleiter kündigen als kujonieren läßt. Axel von Ambessers „Lebensmut zu hohen Preisen“ illustriert ohne einseitige Parteinahme einen erst nach Jahrzehnten versöhnlich beigelegten Ehekonflikt zwischen bloßer männlicher Pflichterfüllung und weiblicher Selbstverwirklichung.

Es sind zu viele Beispiele, als daß wir sie übersehen könnten, übrigens auch jenseits der Komödiengattung. Zu den starken Frauengestalten im ernsten Genre gehören Weisenborns „Die Neuberin“ sowie Gilbrichts. „Letizia“ und besonders „Marie Charlotte Corday“. Wolfgang Goetz’ „Der Ministerpräsident“ zeigt eine weibliche Repräsentantin, die allen Intrigen gewachsen ist und nach dem Motto verfährt: „Wenn die Männer versagen, müssen die Frauen an die Front.“ Ilse Langners „Der Mord in Mykene“ plädiert leidenschaftlich für weibliche Gleichberechtigung.

Und ist es nur Zufall, daß Ödön von Horvath 1934, als er sich in Berlin und München mit Filmarbeiten über Wasser hielt und sich unbedingt Deutschland als Markt erhalten wollte, ein (1936 beendetes) Drama konzipierte, das Don Juan gänzlich uminterpretiert? Aus dem erotischen Draufgänger wird ein Passiver im Bann seiner ersten Geliebten, vornehmlich als Objekt weiblicher Sehnsüchte. 

Frauenpower im Dritten Reich? Ein wenig schon.






Prof. Dr. Günter Scholdt, Jahrgang 1946, ist Historiker und Germanist. Seine Serie zu Schlüsseltexten der Inneren Emigration wird in loser Folge fortgesetzt.