Breit liegt die Elbe vor mir. Ihr Wasser blinkert wie Katzengold und kräuselt sich vom Wind, der auch mir durch die Haare fährt. Obwohl die Sonne mich blendet, ahne ich den Felsen der Bastei am Horizont. Am Ufer parliert eine Flottille strahlend weißer Schwäne. Ein kleines Kind, ganz in Rot gekleidet, wirft Brotkrumen. Auf den Steinen sitzen ein grauhaariger Mann und eine junge Frau. Er spielt für sie Gitarre und singt dazu. Die Töne steigen zu mir herauf.

Zuvor muß der Spieler die Temperatur des Flußwassers getestet haben. Denn seine schwarzen Schuhe stehen neben ihm, und die Hose hat er weit über die Knie heraufgekrempelt, so daß die weißen Beine leuchten. Zwei Kinder, die wohl dazugehören, spielen Hopsen. Ihre beiden Laufräder liegen auf dem Pflaster. 

Ich dehne den Spaziergang aus. Der Abholschein ist noch sieben Tage gültig.

Die Klappstühle des Biergartens liegen auf den Tischen. „Geschlossen“ steht auf einem Schild und an den Fenstern der Restaurants. Ich nicke freundlich einem Streifenwagen zu, der langsam über die Brücke rollt. Denn in meiner Jacke habe ich einen Ausgangsschein. Acht Werktage gültig. Vom Hermesboten. 

Der hat mich angeblich nicht in meiner Wohnung angetroffen und eine Botschaft hinterlassen. Ich darf ein Paket abholen. Der Handyladen, der es aufbewahrt, liegt zwar am anderen Ende der Stadt, aber in Zeiten der Ausgangssperre ist das ein Geschenk. Und so bummle ich weiter, hinein in den alten Ortskern, wo es in den Vorgärten frühlingshaft blüht.

Am anderen Flußufer entdecke ich jetzt ein langes Kunststoffbanner entlang des Biergartenzaunes mit einem Zitat von Friedrich Schiller: „Es ist ein Feind, vor dem wir alle zittern, und eine Freiheit macht uns alle frei.“ Ob das immer da hängt, oder ist das auf die aktuelle Situation gemünzt? 

Ich beschließe, mir die Freiheit zu nehmen und meinen Spaziergang fortzusetzen. Das Päckchen kann warten, jetzt scheint die Sonne, und der Abholschein gilt noch sieben Werktage.